Sie sind noch in bester Erinnerung, die Bilder Tausender Flüchtlinge, die nach ihrer waghalsigen Flucht über das Mittelmeer auf Inseln wie Kos oder Lampedusa gestrandet sind. Oder die Bilder mit hoffnungslos überfüllten Zügen, die von Menschen, die den Asylsuchenden, den Migranten und Flüchtlingen, die über Ungarn kamen, fast schon hysterisch Schilder mit „Welcome“ entgegen reckten. Diese Bilder sind mittlerweile ein paar Wochen her.

Die Faszination dieser Bilder ist längst dem Alltag gewichen. Denn zwischenzeitlich hat man mit der Herkulesaufgabe begonnen, die rund 257.000 bisher angekommenen Menschen in Deutschland zu verteilen. Auch in Worms sind in diesem Jahr bis dato 137 Einzelpersonen sowie 15 Familien mit insgesamt 63 Personen angekommen. Aktuell rechnet die Stadt mit bis zu 800 hilfsbedürftigen Menschen, wobei bezweifelt werden darf, dass diese Zahlen in diesem Jahr noch erreicht werden, ähnlich wie die für dieses Jahr prognostizierten 800.000, da die Flüchtlingsströme erfahrungsgemäß entsprechend der Witterung am Ende des Jahres regelmäßig rückläufig sind. Nichtsdestotrotz, selbst wenn es nur 400 Menschen werden, wird dies für alle Beteiligten eine große Aufgabe. Zwar sind die eingangs erwähnten Bilder noch nicht vergessen, als wir überwältigt, fasziniert oder betroffen vor den Bildschirmen saßen. Zu diesem Zeitpunkt war das Phänomen, das im Grunde keins ist, aber noch weit von uns entfernt. Es ist in diesem Zusammenhang verwunderlich, warum die gewählten Politiker sich mit dieser Situation so schwer tun. War es nicht absehbar, was passieren würde, wenn westliche Nationen permanent auf der Welt zündeln, aber andererseits brandgefährliche Konflikte wie den Syrien-Konflikt jahrelang einfach laufen lassen? Immer waren es ökonomische Interessen oder geostrategische Überlegungen, die darüber entschieden, wie, wo und wann eingegriffen wird – mit teils verheerenden Folgen. So trägt die US-Regierung eine Teilschuld an der Entstehung des IS, vor allem im Irak, während die russische Politik Schuld an der Aufrechterhaltung der blutigen Diktatur in Syrien trägt. Sich anschließend darüber zu wundern, dass die Menschen nicht mehr an ein gutes Ende in ihrer Heimat glauben und beschließen, ihr Glück im vermeintlich goldenen Europa zu suchen, kann ihnen wahrlich niemand verdenken.

Die Situation in Worms
Was die Situation in Worms betrifft, so haben die derzeitigen Ankömmlinge überwiegend einen Balkan Hintergrund. Waren 2014 Syrer die bevölkerungsreichste Gruppe, die Worms zugewiesen wurde, sind es in diesem Jahr hauptsächlich Menschen aus Albanien, dem Kosovo und Mazedonien. Eine Gruppe, die gerne mit dem Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ versehen wird, was dem Schicksal dieser Menschen nicht gerecht wird. Letztlich ist jeder Mensch, der aus blanker Not oder aus nicht vorhandenen Perspektiven heraus seine Heimat verlässt, ein echter Flüchtling, auch wenn der Gesetzgeber dies anders sieht – und das ist auch sicherlich gut so. Klar ist auch, dass unser Land keine unbegrenzten Kapazitäten hat. Und klar ist auch, dass dieser Zustrom schon jetzt eine breite gesellschaftliche Debatte in Gang gesetzt hat. Eine Demokratie lebt davon, unterschiedlichste Meinungen zuzulassen. Dazu gehören unpopuläre aus der rechten Ecke genauso wie die der sogenannten Gutmenschen, die am liebsten direkt einen Flüchtling zum Kuscheln bei sich zu Hause aufnehmen würden. Integration heißt aber, nicht für den Moment euphorisiert mit dem Fähnchen winken und ein paar Teddybären bei der Ankunft abgeben, sondern sich nachhaltig darum zu bemühen, dass diese Menschen mit ihren Traumata einen Platz in unserer Gesellschaft finden, um wirklich anzukommen und einen Alltag beginnen zu können. Ein Ort, wo man versucht, dies in die Wege zu leiten, ist das „Cafe International“ in der Kriemhildenstraße. Zweimal die Woche hat es geöffnet. Gedacht ist es nicht nur als Ort der Begegnungen, sondern auch als Chance für Menschen aus dem Ausland, mit Deutschen ins Gespräch zu kommen bzw. die Sprache zu lernen. 6 bis 7 ehrenamtliche Helfer kümmern sich an diesen Tagen um die ungefähr 30 Besucher.

Ehrenamtliche Helferinnen wie Anna
Die junge Anna Mielke, die gerade mal in die 12. Klasse geht, ist eine dieser Helferinnen. Seit Anfang des Jahres engagiert sie sich in diesem Cafe. Eigentlich sei sie nur zufällig dazu gestoßen, als sie bei einem Termin der Wormser Sektion von Amnesty International war. Es ist keine leichte Aufgabe, aber eine, die sie ausfüllt. Man merkt ihr beim Gespräch an, dass sie überzeugt davon ist, was sie tut. „Es geht darum, dass sie hier ankommen“, erklärt sie und schildert kurz die teils grausamen Biografien, die diese Menschen durchleben mussten.

„Viele, die in das Cafe kommen, sind gefoltert worden, sind traumatisiert von dem Erlebten“,
sagt Anna.

Die meisten Gäste sind junge Männer zwischen 19 und 27 Jahren, was Anna aber auch nicht abschreckt. „Klar, man muss sich abgrenzen können, aber damit habe ich kein Problem“, sagt sie selbstbewusst und betont, dass viele Frauen in ihrem Alter durchaus Berührungsängste haben. Sie selbst sagt, dass es großen Spaß mache und sie davon profitiere. Neben Deutschunterricht wird das Cafe auch für Rechtsberatungen genutzt, wobei Rechtsanwälte immer Mangelware sind, allerdings konnte man durchaus schon die eine oder andere Abschiebung verhindern. Ein weiterer Erfolg, den das Cafe bzw. der Unterstützerkreis erreichte, war die Durchsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Stadt Worms. In den Heimen wurden, aufgrund des Intervenierens seitens des Cafes, das bisherige Catering abgeschafft und durch ein Verpflegungsgeld ersetzt. Was sich hingegen als schwierig erweist, sei die Wohnungssuche, da viele Vermieter nicht mit dem Sozialamt zusammenarbeiten wollen oder schlicht und ergreifend Vorurteile haben. Klar ist Anna, dass in den nächsten Monaten noch viele Aufgaben auf sie zukommen werden, aber auf die freut sie sich natürlich.

Eine große Aufgabe für uns alle. Doch nicht nur Anna wird in den nächsten Monaten herausgefordert werden, denn wir alle werden wohl zeigen müssen, wie tolerant wir wirklich sind. Oder wie Gauck, der vor kurzem sagte:

„Für die Aufgabe, vor der unser Land steht, gibt es kein Vorbild. Es ist eine Kraftanstrengung, wie sie die Bundesrepublik selten meistern musste. Auch unpopuläre Entscheidungen und unbequeme Schritte werden notwendig sein“.
Bundespräsident Joachim Gauck

Übrigens hatte Deutschland schon einmal einen ähnlichen Zustrom zu bewältigen, nämlich 1992. Damals suchten 438.000 Menschen Zuflucht.

Wer sich beim „Helfer- und Unterstützerkreis Asyl Worms“ engagieren möchte,
kann sich unter Tel. 0 62 41 / 49 90-120 oder recht-wahl@onlinehome.de melden.