Als Dieter Wedel 2014 nach 13 Jahren als Intendant der Nibelungen Festspiele seinen Abschied in Worms feierte, hätte kaum jemand damit gerechnet, dass er kurz danach in Bad Hersfeld unterschreiben würde. Der bekannte TV-Regisseur nahm jede Menge alte Bekannte aus Wormser Zeiten mit in die nordosthessische Kurstadt. So gehörten die Wormser Andrè Eisermann und Peter Englert, die Bürstädterin Valentina Jimenez Torres sowie Darsteller aus früheren Nibelungen-Inszenierungen wie Heinz Hoenig, Cosma Shiva Hagen, Markus Majowski oder Lars Rudolph zum festen Ensemble der Bad Hersfelder Festspiele, die noch bis zum 2. August 2015 andauern. Grund genug, der hessischen Kleinstadt einen Besuch abzustatten und Eindrücke aufzusaugen von Festspielen, die bereits seit 1951 in der Stiftsruine, der größten romanischen Kirchenruine Europas, stattfinden.

Schon die erste Begegnung, kurz nach der Ankunft im Hotel in Bad Hersfeld, war bezeichnend für die nächsten Tage. Als sich der Fahrstuhl öffnete, begegnete uns ein Paar aus Worms, das sich übers Wochenende ebenfalls hier eingemietet hatte. Das Familientreffen war dann endgültig komplett, als sich im Laufe der nächsten beiden Tage herauskristallisierte, dass auch ein Großteil der Schauspieler (u.a. unser WO! Kollege Peter Englert oder der ehemalige Nibelungen-Schlagzeuger Matthias Trippner) und die ehemalige Pressesprecherin der Nibelungen Festspiele, Monika Liegmann, im B&F Hotel am Neumarkt einquartiert waren. Hier war man so clever, über den zweiten Stock eines Parkhauses ein Hotel zu bauen, das mitten in der Stadt liegt, nur fünf Gehminuten vom Festivalgelände sowie eine Minute von der kleinen, aber feinen Innenstadt entfernt. Eine Idee, die man auch für Worms aufgreifen könnte, denn leer stehende oder wenig ausgelastete Parkhäuser gibt es hier schließlich zuhauf. Die Innenstadt von Bad Hersfeld bietet keine sonderlich ausgefallenen Einkaufsmöglichkeiten, auch in der nordosthessischen Provinz gibt es die üblichen Verdächtigen wie C&A, H&M oder Rossmann. Auffallend war jedoch die massive Häufung von Cafès und Kneipen am Marktplatz, die auch allesamt sehr gut besucht waren. Die traumhaften Temperaturen des Wochenendes taten hier sicherlich ihr Übriges, dass man sich eine Sitzgelegenheit erst mühsam suchen musste. Auch in Worms muss man dies, allerdings aus einem anderen Grund, gibt es doch in der Innenstadt viel zu wenige Plätze, wo man – gerade im Sommer – im Freien sitzen kann. Da hat man sich in Bad Hersfeld zweifelsohne schon besser auf Touristen und Festspielbesucher eingestellt.

Was Bad Hersfeld von Worms lernen könnte
Derweil das gastronomische Angebot in der Innenstadt durchaus festspielreif war, konnte man das über selbiges auf dem Festivalgelände nicht gerade sagen. Zwar hat man, seit Dieter Wedel die Intendanz übernommen hat, auch den umliegenden Park, der gerade in den Abendstunden schön ausgeleuchtet wurde, als Gastronomie-Meile entdeckt. Gegen unseren Heylshofpark, der um einiges romantischer wirkt, war das aber kein Vergleich. Kultstatus auf dem Gelände rund um die wunderschön anzusehenden Burgruinen genießt die so genannte Festspielkantine. Die Beliebtheit dieser Kantine, die nichts anderes als eine kleine Kneipe mit Guckloch ist, an dem man sich bei sommerlich-schwülen Temperaturen – zumeist mit zehn anderen Personen im Schlepptau – seine Weinschorle bestellen konnte, erklärte sich bei einem weiteren Rundgang durch den knapp 100 Meter entfernten Park, kosteten doch dort die Getränke im Schnitt 2 – 3 Euro mehr. Und weil dies eben auch die Festspielkantine war, konnte es einem durchaus passieren, dass plötzlich eine gewisse Cosma Shiva Hagen direkt hinter einem stand, um ihre Bestellung aufzugeben. An einem Stand vor der Kantine wurden derweil Würstchen und Steaks angeboten. Nichts gegen die gute alte Bratwurst, aber da hätte man sich eine Auswahl an Speisen gewünscht, die eher einem Festspielpublikum entsprechen. Was das angeht, ist man in Worms mit Aktivitäten wie dem „Essen im Park“, einem Cocktailstand und ausreichender Getränkeversorgung (im bezahlbaren Bereich!) an verschiedenen Orten im Heylshof doch schon etwas weiter, auch wenn die Bad Hersfelder den Nibelungen Festspielen 51 Jahre Erfahrung voraus haben. Da zumeist zwei Vorstellungen an einem Abend an verschiedenen Orten (z.B. in der Stiftruine und nebenan Open Air) aufgeführt wurden, war das Festivalgelände die meiste Zeit über gut gefüllt. Umso unverständlicher, dass man dieses Potential in Bad Hersfeld viel zu wenig ausnutzt. Auffällig auch, dass es auf dem Festivalgelände (im Gegensatz zur Innenstadt) kaum Sitzgelegenheiten gab, weshalb sich einige Besucher kurzerhand auf den Rasen setzten. In Worms wäre das undenkbar, dass sich jemand im Heylshof einfach auf den Rasen pflanzt. Welcher Herr will sich schon seinen teuren Anzug oder welche Dame ihre Abendgarderobe ruinieren? Übrigens war dies ein weiterer auffälliger Unterschied zu Worms. Während man in der Nibelungenstadt Wert auf festliche Kleidung legt, waren die Besucher in dem hessischen Kurort, die in feiner Garderobe gekommen waren, klar in Unterzahl.

Was ist in Bad Hersfeld besser?
Während die Nordosthessen also in einigen Bereichen noch von uns Wormsern lernen könnten, konnte man doch ein wenig neidisch sein auf das Zeltdach, das man in Bad Hersfeld über die Zuschauertribüne der Hauptbühne spannen kann. Das kam auch gleich an unserem ersten Abend zum Einsatz und erinnerte von der Konstruktion her stark an das Münchner Olympiastadion. Kein Wunder, ist der Architekt Frei Otto doch der gleiche, der sich zunächst mit seiner beweglichen Überdachung der Stiftsruine in Bad Hersfeld austoben durfte, ehe er von 1968 bis 1972 für die Überdachung des Hauptsportstättenbereiches am Olympiagelände in München sorgte. Wie uns der technische Leiter der Festspiele, Stefan Pruschwitz (ebenfalls ein alter Bekannter aus Worms), erklärte, fahre man das Dach aus, sobald Regen angekündigt wäre. Trotzdem blieb es während „Komödie der Irrungen“ genauso trocken wie in Worms die meiste Zeit über, gilt doch unser Städtchen nicht umsonst als Toskana Deutschlands, wo in 13 Jahren Festspielgeschichte nicht mal eine Handvoll Vorstellungen wegen Regens abgebrochen werden mussten. Tatsächlich neidisch kann man jedoch auf die gebotene Vielfalt sein, werden doch in Bad Hersfeld sieben verschiedene Stücke während der acht Wochen Festspieldauer aufgeführt. Dagegen können wir nur immer wieder mit dem gleichen Thema, der Nibelungensage, aufwarten; Ausnahmen wie „Teufel, Gott & Kaiser“ oder „Jud Süß“ bestätigten diese Regel.

Aus künstlerischer Sicht

Foto: Uwe Zucchi

Foto: Uwe Zucchi

In Worms hat man den Intendanten Dieter Wedel nach der Premiere nur noch selten zu Gesicht bekommen. In Bad Hersfeld schlenderte ein sichtlich entspannter Intendant über das Gelände und hielt hie und da ein Schwätzchen mit den Besuchern. Ohne jedoch der Rezension des Kollegen Dirigo auf den folgenden Seiten über „Komödie der Irrungen“ vorweggreifen zu wollen: Diesmal hat es der ehemalige Lehrling Joern Hinkel seinem Meister gezeigt. Hinkels sommerlich-leichte Shakespeare-Inszenierung von „Sommernachts-Träumereien“, die bestens zu unterhalten vermochte, wurde vollkommen zu Recht mit stehenden Ovationen bei der Premiere gewürdigt. Dagegen sorgte Wedels „Komödie der Irrungen“ zwar für einige Wedel typische Szenen, wie man sie bestens aus seiner Wormser Zeit kennt, aber auch jede Menge Irrungen und Wirrungen. Noch eine wichtige Erkenntnis kann man aus dem knapp zwei Autostunden entfernten Kurort mitbringen. Der Prophet, der im eigenen Land nichts mehr zählt, wurde für seine erfrischende, urkomische Darstellung des Peter Zettel in Shakespeares „Sommernachts-Träumereien“ am meisten vom Publikum gefeiert. In den Zeitungen wurde seine Darstellung sogar als „bestechend“ und „phänomenal“ gefeiert und allabendlich schwoll der Applaus bei ihm besonders laut an. Die Rede ist von Andrè Eisermann, der in Bad Hersfeld eindrucksvoll unter Beweis stellte, dass er auch richtig lustige Rollen spielen kann.

Foto: Klaus Lefebvre

Foto: Klaus Lefebvre

Was gibt es Besonderes in Worms, was Bad Hersfeld definitiv nicht zu bieten hat?
Egal, wen man von den „ehemaligen Wormsern“ auch fragte, erhielt man (fast) überall die gleiche Antwort: „Eine Funzel gibt es hier leider nicht…“ Schließlich war die Eckkneipe hinterm Wormser Hauptbahnhof beliebter nächtlicher Treffpunkt für das letztjährige Nibelungen-Ensemble, von dem ein knappes halbes Dutzend noch bis Anfang August in Bad Hersfeld im Einsatz ist. Wie uns der Herausgeber der Bad Hersfelder Zeitung erklärte, sei hier alles sehr geordnet – gerade was die Sperrzeiten angehe. Und tatsächlich findet man nach 1 Uhr keine Möglichkeit mehr, die Nacht zum Tag zu machen. Wohl dem, der eine Funzel und vor allem keine Sperrfrist hat.