Die Wormser Innenstadt hat im Laufe der Jahre ihr Gesicht stark verändert. Wurde diese in den 90er Jahren von inhabergeführten Geschäften dominiert, haben diesen Platz längst deutschlandweit agierende Ketten, Billigshops und Handyläden übernommen. Viel Geld wurde in den vergangenen Jahren in die Hand genommen, um die Fußgängerzone zumindest optisch aufzumotzen, doch genutzt hat das nur sehr wenig.

Besonders die Wilhelm-Leuschner-Straße (KW) und der Bahnhofsvorplatz stehen hier sinnbildlich für die Veränderung der Zeit. Wo zuvor ein trister, in die Jahre gekommener Busbahnhof den Stadteingang nach Verlassen des Bahnhofs dominierte, lud nach jahrelangen Bauarbeiten nun ein modernisierter Platz mit viel Asphalt, ein paar Bäumen und einigen Sitzmöglichkeiten zum Verweilen ein. 1,8 Millionen Euro ließ sich die Stadt die Verschönerung kosten, doch genutzt hat es kaum. Wollte man eigentlich Touristen und Pendler zum Rasten auf diesem sogenannten „Balkon“ einladen, ließen sich schon bald die Randgruppen der Gesellschaft an diesem Ort nieder. Bis heute werden die Bänke vor allem von Obdachlosen, Dealern und Junkies genutzt. Minisupermärkte, Spielcasinos und ein Dönerladen bedienen zusätzlich die entsprechenden Klischees. Da wirkt die einzige Worms-Filiale der Fastfood-Kette Subway fast schon ein wenig verloren.

Alltag auf dem Bahnhofsvorplatz
Es war Mitte Mai, als sich folgende Szene abspielte: Montagabend. Die Bänke waren wieder von der üblichen Klientel besetzt, das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite, während Passanten den Platz querten, um zum Bahnhof zu kommen oder sich von diesem entfernten. Ein älterer Mann, langer grauer Bart, verwahrloste Kleidung, sitzt auf der äußersten Bank Richtung Renzstraße. Er scheint in einem hitzigen Gespräch mit einer Frau zu sein, neben ihr steht ein breitschultriger, hochgewachsener Mann mit Glatze. Plötzlich ändert sich der Tonfall. Das Gespräch wird lauter, die Frau beugt sich vor, verpasst dem Mann eine Ohrfeige, schüttelt ihn und schreit ihn nunmehr an. Es scheint um Geld für Drogen zu gehen. Der Mann kann sich aus der Situation befreien, flüchtet über die Straße Richtung Renzstraße, gefolgt von den beiden anderen. Die anderen Menschen schauen gelangweilt in die Richtung, kümmern sich aber danach wieder um ihre Angelegenheiten. Lediglich zwei dunkelhäutige Männer schenken der Situation Aufmerksamkeit, folgen den drei Personen im sicheren Abstand. Der ältere Mann flüchtet in die Renzstraße und von dort in eine Passage eines Spielcasinos, wohin ihm die Frau und der Mann folgen. Die beiden Männer stellen sich vor die Passage, brüllen etwas, sind unsicher und gehen weiter. Eine junge Frau, ebenfalls mit ausländischem Hintergrund, wird nun aufmerksam. Sie geht ebenfalls zur Passage, aus der die drei Kontrahenten noch nicht zurückgekehrt sind. Mutig schreit sie die Personen an, droht damit, die Polizei zu rufen. Derweil hat bereits der anwesende WO! Redakteur aufgeregt die Nummer der Polizeizentrale (8520) gewählt, allerdings vergeblich, denn niemand nimmt den Hörer ab. Nach der Polizeiandrohung lässt das Pärchen von dem älteren Mann offenbar ab. Sie kehren aus der Passage zurück, ignorieren die junge Frau, steigen in einen Mercedes, der auf dem Bürgersteig Renzstraße parkt und fahren wortlos weg. Eine Szene, die exemplarisch für die Situation am Bahnhofsvorplatz steht.

Eine neue Droge erobert den Bahnhofsvorplatz
WO! sprach mit Thomas Demmerle, Kommissarischer Leiter der Kriminalinspektion Worms und Björn Roth, Leiter Sachgebiet Fahndung, über Kriminalität in der Innenstadt und die Drogenszene auf dem besagten Platz. Die beiden Männer kennen solche Situationen, wie die geschilderte, zuhauf und erklären, dass man bei solchen Situationen auf jeden Fall die Notrufnummer wählen solle. Beide betonen in dem Gespräch, dass wir Mitte Juni führten, dass sie die Entwicklung im Blick haben.

„Wir kennen die Szene vor Ort und treten dort regelmäßig mit Kontrollen auf!“

Beide sind schon seit vielen Jahren in Worms tätig und erklären, dass es für sie zumindest beruhigend ist, dass die Wormser Drogenszene seit einiger Zeit stagniert. Björn Roth nennt eine Zahl von ungefähr 40 Junkies, die sich im Bahnhofsumfeld bewegen.

Wir wollen wissen, warum ausgerechnet der Bahnhofsvorplatz eine solche Strahlkraft hat?

Roth führt aus, dass es genau in diesem Umfeld zwei Ärzte gibt, die Substitutionsmittel verschreiben, weswegen sich viele hier aufhalten. Sorgen bereitet den Polizisten allerdings die Verbreitung einer ganz anderen Droge, nämlich der sogenannten Legal Highs. Bekanntgeworden sind diese Drogen, die man über das Internet bestellen kann, vor einigen Jahren unter dem Namen Spice. Da vielen Abhängigen bei der Einnahme der Substitutionsmittel der Kick fehlt, greifen sie zu diesem vermeintlichen Ersatzmittel. Da niemand jedoch die genaue Dosierung kennt, und vor allem was die Wirkstoffe sind, ist das Risiko unkalkulierbar. Die Folgen kennen viele Anwohner in diesem Umfeld zur Genüge. Die Konsumenten verziehen sich in scheinbar ruhige Einfahrten oder Höfe, konsumieren die Drogen und werden oftmals ohnmächtig. Da die rechtliche Handhabung der Legal High-Produkte schwierig ist, ist es auch kaum möglich, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Wir haken in Bezug auf die Aussage mit dem derzeit ausbleibenden Nachwuchs nach. Es ist kein Geheimnis, dass das Bahnhofsumfeld auch bei einigen Jugendlichen sehr beliebt ist. Besonders in den Abendstunden werden die Gruppen größer. Bier wird getrunken, Musik gehört und man kommt mit anderen Menschen ins Gespräch.

Besteht hier nicht die Gefahr, dass ausgerechnet diese Legal Highs sich auch bei diesen Gruppen ausbreiten könnten?

Tatsächlich bestätigen die beiden erfahrenen Polizisten, dass dieser Gedanke auch bei ihnen vorhanden ist, weshalb man regelmäßig mit dieser Jugendszene das Gespräch suchen würde. Björn Roth hat allerdings Zweifel daran, ob dies zum gewünschten Erfolg führt. „Sprechen Sie mal mit jemanden, der vor den Gefahren des Alkohols warnt, aber selbst niemals einen Tropfen getrunken hat“, meint er und ergänzt, dass natürlich die Jugendlichen die Gefahrenhinweise aus dem Mund eines Polizisten nicht ganz so ernst nehmen. „Letztlich gehört Drogenkonsum, egal ob Alkohol oder andere Stoffe, auch zu unserer Gesellschaft. Es geht vor allem darum, einen Überblick zu behalten und das Schlimmste zu verhindern“, fügt Thomas Demmerle hinzu.

Zunahme der Kriminalität in der KW?
Angesprochen auf die damit zusammenhängende Beschaffungskriminalität können die Polizisten die subjektive Sichtweise vieler Bürger nicht bestätigen, dass es besonders in der KW einen Anstieg der Kriminalität geben würde. Keine Frage, der Charakter der Fußgängerzone hat sich gravierend verändert. Es ist lauter geworden und kulturell vielfältiger. Die Geschäftszeilen wechseln zwischen Leerstand, Dönerbuden, Billigläden, aber auch soliden Fachgeschäften. Eben ein Spiegelbild des gesellschaftlichen Lebens im Worms des Jahres 2018. Für die Kommissare ist es wohl eher ein gefühlter Anstieg der Kriminalität, der sich mit Zahlen nicht belegen lässt. Sie wissen aber auch, dass sie natürlich nicht von allen kriminellen Handlungen wissen. „Was Ladendiebstahl angeht, so melden nicht alle Geschäfte diese Vorfälle. Wir arbeiten mit ein paar Läden sehr eng zusammen, mit anderen nicht“, erklärt Demmerle. Was die Zahlen betrifft, so ist die Kriminalität im Kernbereich Innenstadt sogar zurückgegangen, sagen beide. Beispielhaft nennen sie die Zahlen der PKW Aufbrüche in der Entwicklung der letzten 20 Jahre. Waren es 1997 noch 1350 Autos, die aufgebrochen wurde, sank die Zahl im Laufe der letzten Jahrzehnte kontinuierlich. 2017 verzeichnete man 300 Aufbrüche und das in einer Zeit, in der die Menschen deutlich anzeigenfreudiger sind.

Prostitution und Glücksspiel
Wir wollen wissen, wie es sich derzeit mit Prostitution und Glücksspiel im Umfeld der Wormser Innenstadt verhält. Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, dass sich diese beiden Felder wie ein Gürtel um die Innenstadt legen. Für Aufsehen sorgte im letzten Jahr der Umstand, dass in der Goethestraße in direkter Nachbarschaft zur Karmelitergrundschule ein Bordell in einem ehemaligen Geschäftshaus eröffnet hatte. In der Wormser Zeitung erklärte Uwe Franz im letzten August, dass er höchstpersönlich eine Ortsbegehung durchführe und meldete eine Woche später derselben Zeitung, dass man den Betrieb untersagt hätte. Genutzt hat das Wort des Baudezernenten indes wenig, denn das kleine Bordell, das zu der Kette Studio X gehört, erfreut sich bisher bester Gesundheit und wirbt fleißig auf seiner Homepage mit Besuchszeiten von 10 bis 1 Uhr. Doch das Haus in der Goethestraße ist nicht das einzige. Selbst in der KW finden sich einschlägige Adressen, aber auch in der Wallstraße, Pfauentorstraße und Wollstraße. Die Stadt erklärt zwar, dass dies nach Paragraf 34a des Baugesetzbuches in reinen Wohngegenden nicht möglich wäre, aber das hilft offenbar nicht wirklich. Helfen würde indes eine Neudefinierung der Gestaltungssatzung oder der Erlass von Sperrbezirken, um das Gewerbe, das untrennbar mit unserer Gesellschaft verbunden ist, eher in Gewerbegebiete zu verdrängen. Doch dafür müssten die Stadtverwaltung oder der Stadtrat tätig werden. Aber liegt vielleicht darin die Doppelmoral unserer Gesellschaft bzw. der Stadt, schließlich bezahlen die Dienstleisterinnen auch Gewerbesteuern, die dem maroden städtischen Geldsäckel sicherlich auch gut tun. Selbiges gilt auch für die Spielcasinos und Sportwettenbüros, die im Stadtbild unübersehbar sind. Zwar betont auch hier die Stadt immer wieder, die Lokale gerne schließen zu wollen, aber auch hier zählt wohl der Spruch: „Geld stinkt nicht!“ Aus Sicht der Polizei besteht, sowohl was die Prostitution, als auch das Glücksspiel angeht, kein Handlungsbedarf. Hinweise auf Menschenhandel oder illegale Wettgeschäfte gebe es bisher nicht. Alles würde sehr diskret und unauffällig ablaufen. Alles andere sei Sache der Stadt, betonen die beiden Herren.

Fahrradrowdys und Autoposing
Zuletzt führte die Unterhaltung wieder in die Fußgängerzone und zur immer wiederkehrenden Problematik von Fahrradfahren, die offenbar die Flaneure als Hindernisparcours begreifen und mit größtmöglicher Geschwindigkeit – entgegen des Fahrverbots – durch die Fußgängerzone heizen. Für die beiden Beamten war dies bisher kein Thema, sondern eher eine Randerscheinung, von der man zwar Notiz genommen habe, zu dem es allerdings kaum schriftliche Beschwerden gäbe. Hellhörig und neugierig geworden durch die Schilderungen des Redakteurs, schrieben sie jedoch interessiert mit und betonten, sich mit der Schutzpolizei abstimmen zu wollen. Wie zwischenzeitlich in der WZ zu lesen war, hatte die Polizei in den letzten Wochen mehrfach Kontrollgänge, genau zu diesem Thema, durchgeführt und dabei festgestellt, dass das Radfahren tatsächlich ein Problem darstellt. Es ist manchmal erstaunlich, was ein Gespräch bewirken kann! Abzuwarten bleibt indes wie es sich mit dem Antrag der SPD-Innenstadtfraktion zum Thema Autoposing verhält, der Mitte Juni im Innenstadtausschuss angenommen wurde. Hintergrund ist, dass es besonders in der Sommerzeit immer wieder zu Lärmbelästigungen kommt, bei denen im Regelfall Männer die Motoren ihrer Autos aufmotzen oder einfach nur unnötig in die Höhe ziehen. Immer wieder klagen Anwohner über nächtliche Straßenrennen entlang der Renzstraße und Siegfriedstraße. Auch hier erklären Roth und Demmerle, dass dies bisher kein Thema war, das in der Prioritätenliste ganz oben stand. Man nehme aber die Angelegenheit und den Antrag sehr ernst. Die Schutzpolizei würde sich mit dem Thema ausführlich beschäftigen, um den Antrag mit Fakten zu unterfüttern. Denn zu klären ist aus Sicht der Polizei in erster Linie, was subjektive Wahrnehmung von Lärm ist und was echte Verstöße gegen die StVO sind.

HINWEIS: Frei nach dem Motto „In jedem Ende steckt ein neuer Anfang“ lesen sie im dritten Teil unserer Serie etwas über die Perspektiven und Chancen der Wormser Innenstadtentwicklung.