Deutschland hat gewählt. Wobei man unbedingt erwähnen sollte, dass 28,5 % der Wahlberechtigten überhaupt nichts angekreuzt haben. Ob aus Desinteresse, Politikverdrossenheit oder weil man partout kein „kleinstes Übel“ finden wollte – im Endeffekt spielt es keine Rolle, auch wenn uns das zu denken geben sollte. Erstaunlich ist jedoch, dass von denjenigen, die wählen waren, 15,8% für Parteien abgestimmt haben, die gar nicht im nächsten Bundestag vertreten sein werden. Im Klartext heißt dies, dass fast jeder Zweite den im Bundestag vertretenen Parteien seine Stimme verweigert hat. Auch das spricht eine ziemlich deutliche Sprache. Trotzdem kommt man einer Feststellung nicht vorbei: Es war eine Angie-Wahl. Die Wähler haben gesprochen und mit einem Stimmenzuwachs von fast 8% sehr deutlich gemacht, dass sie weiterhin Angela Merkel als Kanzlerin wollen, aber nicht unbedingt mit der FDP im Schlepptau, die mit 4,8% denkbar knapp – zum ersten Mal seit 1949 – am Einzug in den Bundestag gescheitert sind. Vor allem müssen die Liberalen damit leben, dass man hinter der Linkspartei (8,6%) nur deshalb noch fünfstärkste Kraft im Lande wurde, weil der politische Neuling, AFD, der ebenfalls denkbar knapp an der 5%-Hürde gescheitert ist, gerade einmal 0,1 Prozentpunkte weniger erreichte.
Apropos „Alternative für Deutschland“: Neben den Linken und der CDU darf sich auch die AFD, obwohl man es nicht geschafft hat, in den Bundestag einzuziehen, als Gewinner fühlen, hat doch die Anti-Euro-Partei im Schlussspurt mehr Wähler mobilisieren können, als dies wochenlang vorausgesagt wurde. Auch die Linken dürfen sich, trotz Verlusten von 3,3%, als Gewinner fühlen, weil sie mittlerweile die drittstärkste Kraft im Deutschen Bundestag sind und sogar vor den Grünen lagen. Einen Stimmenzuwachs konnte die SPD erzielen (+2,7%), allerdings ausgehend von dem sehr schlechten Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl (23%). Aber trotz des besseren Ergebnisses als 2009 hat Peer Steinbrück das Ziel, stärkste Kraft im Bundestag zu werden, ganz deutlich verpasst und konnte der Kanzlerin zu keiner Zeit wirklich gefährlich werden. Klarer Verlierer der Bundestagswahl sind die Grünen, die nur noch 8,4% erzielten (10,7%). Trotzdem könnten die Grünen sich noch als Gewinner der Wahl entpuppen, wenn es – wider Erwarten – zu einer schwarz-grünen Koalition kommen sollte. Jetzt ist die Kanzlerin am Zug, Koalitionsgespräche aufzunehmen – ob mit den Grünen oder doch eine Große Koalition mit der SPD steht derzeit noch in den Sternen. Rein faktisch hätte eine rot-rot-grüne Koalition im Moment die Mehrheit der Sitze im Deutschen Bundestag, denn nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis ergibt sich im 18. Deutschen Bundestag folgende Sitzverteilung: CDU/CSU 311 Mandate, SPD 192 Mandate, Linke 64 Mandate, Grüne 63 Mandate.

Sensation: „Unser Jan“ holt das Direktmandat für die CDU

Was den Direktkandidaten für den Wahlkreis 207 angeht, zu dem die Stadt Worms, der Landkreis Alzey-Worms und die Verbandsgemeinden Bodenheim, Guntersblum und Nierstein-Oppenheim gehören, ist es zu einer kleinen Sensation gekommen. Jan Metzler (CDU), der einen bodenständigen und sehr persönlichen Wahlkampf geführt hat, konnte am Ende sogar einen Vorsprung von 5% gegenüber seinem Konkurrenten Marcus Held (SPD) erzielen. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, zählt der Wahlkreis doch als feste SPD-Hochburg, zumal es seit mehr als 60 Jahren kein Christdemokrat mehr geschafft hatte, das Direktmandat zu gewinnen. Umso erstaunlicher, dass dies Jan Metzler gelungen ist, der sich längst nicht auf die Materialschlacht seines härtesten Konkurrenten, Marcus Held, eingelassen hat. Der hatte kurz vor der Wahl in der Wormser Zeitung sein Wahlkampfbudget für seine Kandidatur mit 60.000 Euro, davon 30.000 aus Eigenmitteln, angegeben. In Anbetracht der massiven Plakatierung und Zeitungswerbung hätten nicht wenige sogar mit einem größeren Budget gerechnet. Denn Held überließ nichts dem Zufall und war in den Wochen vor der Wahl wirklich omnipräsent – zumeist mit jeder Menge Wahlhelfer in roten T-Shirts im Schlepptau. Ob Weinbergwanderung, Stadtteilfest oder kurz vor der Wahl mit einem großen Fest auf dem Ludwigsplatz – Held war überall. Und womöglich ist ihm das zum Verhängnis geworden. Sicherlich hat sein Kontrahent Jan Metzler zum Großteil von der Popularität der Kanzlerin und den allgemeinen Stimmenzuwächsen für die CDU profitiert. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum es Metzler erstmals seit 1945 gelungen ist, den Wahlkreis 207 für sich zu verbuchen.
Kaum war die Sensation verkündet, meldeten sich über das Onlineportal der Wormser Zeitung oder via Facebook zahlreiche Wähler zu Wort, die Marcus Held den übertriebenen Einsatz von Werbemitteln anlasteten und die Frage stellten, ob man jemanden wählen kann, der mit Geld nur so um sich wirft? Traut man so einem den verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern zu? Rückblickend gesehen, wäre weniger vielleicht etwas mehr gewesen, was Helds Wahlkampf anging. Doch trotz der herben Niederlage gegen Metzler kann sich der Oppenheimer Bürgermeister freuen, er hatte sozusagen „Glück um Unglück“. Da Gustav Herzog als Direktkandidat des Wahlkreises Kaiserslautern nach Berlin geht, rutscht Held einen Platz nach oben und landet als neunter und letzter Kandidat gerade eben noch im Bundestag. Sein Einsatz hat sich also doch gelohnt und die von ihm aus privater Tasche zugeschossenen 30.000 Euro wird er in den nächsten Jahren mit den Einkünften eines Abgeordneten locker wieder reinspielen. Dieses Last-Minute-Glück hing übrigens bis zuletzt am seidenen Faden, denn der Kaiserslauterer Kandidat der SPD hatte nur einen minimalen Vorsprung von 0,7%. Seit dem 22. September ist Marcus Held tatsächlich so etwas wie der „Held im Glück“