Fassungslosigkeit herrscht derzeit an der Alzeyer Straße. Wie konnten sich so viele vermeintliche Experten auf einmal derart eklatant in der Beurteilung eines Spielerkaders täuschen? Schließlich hatten zehn Trainer der Regionalliga Südwest den VFR Wormatia Worms als einen der Topfavoriten für einen Spitzenplatz auserkoren? Und dann das. Mehr als Abstiegskampf wird es in dieser Saison nicht geben! Das ist die bittere Perspektive bei Wormatia Worms, nachdem noch nicht einmal die Hälfte der Saison absolviert ist. Und man hat nicht das Gefühl, dass der Bock in absehbarer Zeit tatsächlich noch umgestoßen wird. In Anbetracht der hochkarätigen Konkurrenten im Abstiegskampf wird das eine ganz, ganz schwere Kiste.

Als Wormatiafan muss man derzeit leidensfähig sein. Denn immer dann, wenn man denkt, es geht nicht mehr schlimmer, setzt die Mannschaft eine Woche später noch einen oben drauf. Streng genommen, hat man im Jahr 2013 noch keinen einzigen wirklich überzeugenden Sieg gesehen. Dabei sollte doch in dieser Saison, nachdem die Mannschaft in der letzten Spielzeit beinahe abgestiegen wäre, alles besser werden. Die vielleicht wichtigste Personalie vor der neuen Saison war intern schnell abgehandelt, mit dem Neuaufbau wurde Stefan Emmerling betreut. Kurz vor der Winterpause hatte der vorherige Drittligacoach (u.a. RW Erfurt) das Traineramt von Ronny Borchers übernommen, der mit seinem Team, das im Vorjahr Vierter geworden war, nur auf Platz 11 stand und somit die hoch gesteckten Erwartungen des Vereins nicht erfüllen konnte. Dafür sollte Emmerling nun für profihafte Bedingungen sorgen und den VFR auf kurz oder lang in die 3. Liga führen – so das mittelfristige Ziel der Verantwortlichen und Sponsoren. Die Wahrheit auf dem Platz war jedoch eine andere, denn Emmerling hatte eine blutleere und innerlich zerstrittene Truppe übernommen, die mit wenig überzeugenden Leistungen gerade so noch den Klassenerhalt schaffte und auf Platz 14 ins Ziel schlitterte. Trotz dieser durchwachsenen Bilanz, die sogar noch 4 Punkte schlechter war als die seines Vorgängers, schenkte man Emmerling auch für die neue Saison des Vertrauen, weil man die Ursache für das schlechte Abschneiden eher bei der Mannschaft als bei dem neuen Coach sah, der intern wegen seinen Trainings und seiner sachlichen Art als echter Teamplayer hoch angesehen war. Da Emmerling zudem über beste Kontakte in die Fußballszene verfügte, traute man ihm zu, eine Mannschaft zu basteln, die in der Saison 2013/2014 im vorderen Tabellendrittel mitspielen würde. Dafür wurde ihm eine freie Hand bei der Kaderzusammenstellung eingeräumt und nicht zuletzt auch kräftig die Geldschatulle geöffnet. Auch die Anhänger des VFR Wormatia schenkten dem glücklosen Emmerling noch einmal ihr Vertrauen, obwohl in der Rückrunde gerade mal ein überzeugender Sieg gelungen war – und das war ein 4:0 gegen den SV Elversberg, der im letzten Saisonspiel, mit einem Relegationsspiel um den Aufstieg vor der Brust, mit einer Mischung aus zweiter Mannschaft und A-Jugend angetreten war. Die restlichen Spiele konnte man getrost abhaken unter „Hauptsache irgendwie gewonnen“ (4x), „wenigstens ein Punkt“ (5x) oder „schon wieder verloren“ (7x). Aufgrund dieser Voraussetzungen dürfte allen Beteiligten klar gewesen sein, dass das Vertrauen in Emmerling nur ein „Vertrauen auf Zeit“ sein würde. Bei Misserfolg würde die Bombe schneller ticken als gewünscht, hatten doch weite Teile der Anhängerschaft immer noch nicht verziehen, dass man seinem überaus beliebten Vorgänger Borchers wegen Erfolglosigkeit den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte. Auch wenn Emmerling überhaupt nichts dafür konnte.

In der neuen Saison sollte ALLES besser werden…

Den Mund abputzen, aus den Fehlern der Vorsaison lernen und konsequent diejenigen aussortieren, die dem Mannschaftsgeist nicht zuträglich waren – so lautete die Marschrichtung für die neue Spielzeit. Stattdessen sollten Spieler verpflichtet werden, die in ihrer bisherigen Karriere aufgefallen sind durch Charakterstärke, Kampfkraft und einen starken Willen. Wenn die Mannschaft scheitern sollte, dann gewiss nicht daran, weil sie nicht will. Zudem hatte man sich auf Schlüsselpositionen, wie zum Beispiel im Tor und als Mittelstürmer, mit der bisherigen Nummer 1 des SV Waldhof Mannheim, Rainer Adolf, und Markus Müller (zuvor 3. Liga beim SV Babelsberg) stark besetzt. Damit auch die spielerische Qualität und die Erfahrung nicht zu kurz kommen, wurden mit Carsten Sträßer, der es auf insgesamt 127 Zweitligaspiele (u.a. SpVgg. Unterhaching, Carl Zeiss Jena, zuletzt Chemnitzer FC) gebracht hat, und mit der Last-Minute-Verpflichtung Srdjan Baljak (4x Bundesliga, 127 Zweitligaspiele, u.a. für Mainz 05) zwei Spieler verpflichtet, die man durchaus als Hochkaräter bezeichnen konnte – speziell Baljak hatte zuletzt noch in der 2. Liga für den MSV Duisburg gespielt. Diese Verpflichtungen katapultierten die Wormatia in den erlauchten Kreis der Meisterschaftsfavoriten, nicht umsonst wird der VFR bei transfermarkt.de als das Regionalligateam mit dem höchsten Transferwert geführt. Die Aufgabe Emmerlings war es nun, diesen Kader mit insgesamt 13 Neuzugängen zu einem konkurrenzfähigen Team zu formen.

Die Unentschieden-Könige

Nach einem Trainingslager, das alle als äußerst gelungen und fruchtbar bezeichneten, sowie den ersten guten Testspielergebnissen, startete man ordentlich in die neue Saison. Zumindest spielerisch. In den ersten vier Spielen sprangen nur Unentschieden heraus, die man in Anbetracht eines harten Auftaktprogramms verschmerzen konnte, speziell das 0:0 in einem hochklassigen Spiel in Offenbach hatte Eindruck bei den Fans hinterlassen. Als im fünften Spiel Vorjahresmeister Hessen Kassel zu Gast in Worms war, rief die Mannschaft von Stefan Emmerling ihre bis heute beste Saisonleistung ab. Man führte lange Zeit 1:0 und schien endlich den ersten Dreier einzufahren, ehe Kassels Schmeer in der 95. Minute – in einer der turbulentesten Schlussphasen, die man je im Wormatia Stadion gesehen hat – den Wormaten mit seinem Ausgleich einen Dolchstoß versetzte, von dem sich die Mannschaft seitdem nicht mehr erholen sollte. Aus heutiger Sicht wirken diese Partien in Offenbach vor 7.000 heißblütigen OFC Fans oder das an Dramatik kaum zu überbietende Spiel gegen Hessen Kassel wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit, denn in den neun Spielen danach konnte die Wormatia nicht mehr ansatzweise an die Leistung aus diesen beiden Spielen anknüpfen. Als man im sechsten Spiel in Sandhausen bei Aufsteiger Neckarelz seit der 14. Minute in Führung lag und bis zur Halbzeit Ball und Gegner nach Belieben kontrollierte, schien der erste Sieg erneut greifbar nahe. Da die Mannschaft jedoch in der zweiten Hälfte das Spielen einstellte, drehte der biedere Aufsteiger das Spiel in den letzten sieben Minuten und fügte der Wormatia eine schmerzliche 1:2-Niederlage zu. Wie groß das Vertrauen in den Trainer tatsächlich war, zeigte sich bereits kurz nach Abpfiff, als aus dem Fanblock der Wormser die ersten „Trainer raus!“– Rufe hallten, weil Emmerling die Niederlage durch rätselhafte Auswechslungen mit verbockt hatte.

Emmerlings Tage waren gezählt

Als im neunten Spiel endlich der erste Sieg gelang, da hatte man zuvor ein Mal verloren und sage und schreibe sieben Unentschieden herausgespielt. Mindestens fünf davon hätte man auch gewinnen können und hätte dann auch – wie erwartet – in der Spitzengruppe gestanden. Aber alles „hätte“, „könnte“, „wäre“ nützt wenig, denn die Realität war eine andere. Als dann mit dem SC Pfullendorf ein Team aus der unteren Tabellenregion zu Gast in Worms war, waren die Nerven aller Beteiligten bereits zum Zerreißen gespannt. Trotz einer frühen Führung, die eigentlich Sicherheit geben sollte, gaben die Wormser die Kontrolle bis zur Halbzeit völlig aus der Hand, lagen zur Pause mit 1:2 im Rückstand und mussten sich bereits die ersten Pfiffe aus dem Publikum gefallen lassen. Wie schon bei der Niederlage gegen Neckarelz hatte der VFR ein Spiel gegen einen spielerisch limitierten Gegner aus der Hand gleiten lassen, kämpfte sich aber immerhin in der zweiten Hälfte ins Spiel zurück. Als der überragende Adam Jabiri, gerade erst genesen nach seiner Verletzungspause wegen Schien- und Wadenbeinbruch, seinen dritten Treffer zum 3:2 im Tor der Pfullendorfer versenkte, leistete sich Emmerling ein paar harsche Worte gegenüber den Anhängern direkt vor dem Fanblock – ein Gefühlsausbruch, der ihm bei vielen die letzten Sympathien kostete. So sehr man Verständnis hat für den Druck, den auch ein Regionalligatrainer aushalten muss, war er in dieser Situation zu sehr Mensch und zu wenig Profi, um sich ausgerechnet mit denen anzulegen, die zwar eine halbe Stunde vorher – verständlicherweise – noch gepfiffen hatten, aber gewiss nicht schuld an der Misere bei der Wormatia waren. Trotz aller Beteuerungen des Vorstandes, zum Trainer zu halten, war dies der gefühlte Anfang vom Ende von Stefan Emmerling bei Wormatia Worms. Eine Woche später lag der VFR in Koblenz bereits mit 0:3 in Rückstand, ehe die Mannschaft erneut Moral bewies und noch den 3:3-Ausgleich schaffte. Die Mannschaft lebte noch, also ging’s weiter. Als es jedoch im nächsten Spiel bei Aufsteiger Zweibrücken eine 1:3-Pleite setzte, bei der die Mannschaft nahezu keine Gegenwehr gezeigt hatte, zog Emmerling selbst einen Schlussstrich unter sein wenig erfolgreiches Engagement bei Wormatia Worms. In 28 Spielen waren ihm nur 6 Siege gelungen, was zweifelsohne die Bilanz eines Abstiegskandidaten ist. Es ehrt den Heidelberger, dass er seinen Rücktritt erklärte und dem Verein damit weitere Kosten ersparte, weil er vielleicht selbst eingesehen hatte, dass er der Mannschaft keine Impulse mehr geben kann. Da Emmerling wegen einer Erkrankung seiner Frau mental nicht ganz bei der Sache sein konnte, war es wohl für alle Seiten die beste Lösung, die gefunden wurde.

Eine Trotzreaktion blieb aus

Jetzt war Emmerling weg, für viele der Hauptgrund, warum die Mannschaft wenig Erfolg hatte. Auch für einige Spieler, die es nicht in die Stammelf geschafft hatten, konnte er nicht mehr als Alibi herhalten. Wer nun jedoch eine Trotzreaktion erwartet hatte, wurde nun vollends enttäuscht, denn unter Interimstrainer Sascha Eller setzte es eine bittere 0:2-Pleite gegen Tabellennachbar TSG Hoffenheim II. Als kurz später verkündet wurde, dass der Verein mit Hans-Jürgen Boysen einen zweit- und drittligaerfahrenen Coach verpflichtet hatte, hofften viele, dass es dann endlich in Baunatal, beim Aufsteiger und Tabellenletzten, einen Dreier geben würde. Doch weit gefehlt, auch vor den Augen des neuen Trainers vergeigte das Team dank einer pomadigen Leistung. Dann wenigstens eine Leistungsexplosion beim Derby zuhause gegen Waldhof Mannheim? Nach einer engagierten ersten Hälfte mit 3 – 4 dicken Chancen, brach die Mannschaft nach dem 0:1, ohne sich auch nur ansatzweise aufzubäumen, völlig zusammen und musste mit 0:3 die Segel streichen. Spätestens jetzt war auch dem optimistischsten Fan klar, dass diese hochkarätig besetzte Mannschaft im Moment wie ein sicherer Absteiger agiert. Wer bis vor wenigen Spieltagen noch eher die Ergebnisse der Teams in der oberen Tabellenhälfte beobachtet hat, muss schon längere Zeit umdenken. Es geht in dieser Saison nur noch gegen den Abstieg. Mehr nicht.

Schadensbegrenzung bis zur Winterpause

In den nächsten Wochen geht es nur noch darum, möglichst viele Punkte bis zur Winterpause zu sammeln, um den Abstand zu den Nichtabstiegsrängen nicht zu groß werden zu lassen. In der spielfreien Zeit kann dann Hans-Jürgen Boysen erst so richtig seine Arbeit aufnehmen. Im Moment ist das noch ein ziemlicher Scherbenhaufen, den er da übernehmen musste. Entsprechend konsterniert verfolgte der Neue die beiden Niederlagen unter seiner Ägide. Aber wenn es nicht Boysen schafft, der wahrlich ein alter Hase in diesem Geschäft ist, wer dann? Erschwerend kommt hinzu, dass die letzten Spiele bis zur Winterpause knüppelhart sind. Nach dem Auswärtsspiel beim Letzten SSV Ulm, wo man in den letzten Jahren selten etwas geholt hat, kommt mit Sonnenhof-Großaspach ein echtes Spitzenteam nach Worms. Danach geht es zum aktuellen Vierten Mainz 05 II., wo man ebenfalls in der Vergangenheit selten etwas geholt hat, ehe die Offenbacher Kickers mit ihrem Anhang in Worms vorbeischauen und man zum Abschluss zu Eintracht Frankfurt II muss, wo die Trauben zumeist ziemlich hoch hängen. Somit lautet das Ziel bis zur Winterpause nur noch Schadensbegrenzung, d.h. „11 Punkte + x“, anschließend Wunden lecken, gnadenlos aussortieren, frisches Blut dazu holen und auf Hans-Jürgen Boysen hoffen. In Anbetracht dieser Voraussetzungen ist der derzeitige Schmerz vieler Wormatia-Fans irgendwie verständlich. Aber da man sich im Leben drei Dinge nun mal nicht aussuchen kann – den Vater, die Mutter und den Verein – müssen halt alle noch ein bisschen leiden, bis es wieder aufwärts geht. Denn wer ein echter Fan ist, steht gerade in schlechten Zeiten zu seinem Verein – auch wenn das im Moment ziemlich schwer fällt.

Die letzten Spiele der Wormatia bis zur Winterpause:

09. November (SA) | 14 Uhr:
Wormatia Worms – Sonnenhof Großaspach
24. November (SO) | 14 Uhr:
FSV Mainz 05 II – Wormatia Worms
30. November (SA) | 14 Uhr:
Wormatia Worms – Kickers Offenbach
08. Dezember (SO) | 14 Uhr:
Eintracht Frankfurt II – Wormatia Worms