Er war der Überraschungssieger der letzten Bundestagswahl, war es doch dem CDU-Direktkandidaten Jan Metzler erstmals seit mehr als sechs Jahrzehnten gelungen, den Wahlkreis 211, der zuvor immer von der SPD gewonnen wurde, für sich zu entscheiden. WO! hat mit ihm über seine bisherige Zeit in Berlin als Mitglied des Deutschen Bundestages gesprochen.

WO! Herr Metzler, Sie sind seit 22. November 2013 im Deutschen Bundestag. Wie sind Ihre Erfahrungen bislang?
Ziemlich vielschichtig, die Bandbreite ist riesig. Das fängt an mit dem Kennenlernen der Kanzlerin und erstreckt sich bin hin zu Gedenktagen, wie z. B. „100 Jahre Erster Weltkrieg“, „70 Jahre Zweiter Weltkrieg“. Außerdem durfte ich viele interessante Menschen kennenlernen. Peter Altmaier (Chef des Bundeskanzleramtes) ist beispielsweise eine Art väterlicher Freund geworden, weil er Vorsitzender der Landesgruppe des Saarlandes ist, die wir gerade mit Rheinland-Pfalz als zweite Landesgruppe zusammengeschlossen haben. Die Saarländer sind uns von der Mentalität her ziemlich ähnlich. Alleine, dass ich dadurch ein Stück weit an der großen Politik teilhaben darf, ist ein Riesengeschenk.

WO! Gibt es auch Momente, in denen Ernüchterung eingetreten ist?
Natürlich gibt es auch Punkte, wo die Meinung innerhalb der Fraktion nicht unbedingt dem entspricht, was man selbst als Optimum ansieht. Das ureigenste Ergebnis der Demokratie ist aber nun mal der Kompromiss. Es wird immer unterschiedliche Meinungen geben, aber das wichtigste ist, dass man diese auch kundtun darf. Innerhalb der Fraktion habe ich das schon getan, aber ein Ideal bröckelt erst dann, wenn man selbst bereit ist, sich aufzugeben.

WO! Was sind denn Ihre Ideale?
Ich bin ein ziemlich werteverwachsener Mensch. Was die Themen „familiärer Zusammenhalt“, „Solidarität“ oder „sozialer Umgang“ angeht, habe ich sicherlich viel im Elternhaus mitbekommen. Ebenfalls ziemlich geprägt hat mich das Heimatverbundene, das Rheinhessische. Wenn ich mit jemandem aus der Großstadt zusammentreffe, merkt man sofort eine andere Prägung. Ich setze meine Prägung eben für die regionale Wirtschaftsförderung mit ein, wenn es z. B. darum geht, die Digitalisierung Deutschlands voranzutreiben. Ich bin diesbezüglich ein Verfechter der kleinteiligen Struktur in Deutschland. Mein Idealbild ist es bestimmt nicht, dass irgendwann die Ortsschilder abgeschraubt werden, weil es alle in die Metropolen zieht. Das ist sozusagen meine politische DNA…

WO! Sie haben den Wirtschaftsausschuss bereits angesprochen – was sind genau Ihre Aufgaben in Berlin?
Ich bin im ordentlichen Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Berlin ist ein arbeitsteiliges Parlament und ich bin beispielswiese Berichterstatter für Wirtschaftsförderung und Handel. Das ist insofern ideal, weil ich an der HS Worms Handelsmanagement studiert habe und wir in Berlin gerade das Thema „nationaler Handel“ beackern. Dabei ist die Frage zu klären, wie dieser unter modernen Gesichtspunkten zu funktionieren hat. Oder weiter gedacht: Wie funktioniert Handel zukünftig im ländlichen Raum? Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, werden ältere Leute vielleicht bald vor dem Problem stehen, dass sie gar keine Einkaufsmöglichkeiten mehr haben.

WO! Hat die Politik denn Einfluss auf solche Entwicklungen? Letzten Ende ist es eine Frage von Angebot und Nachfrage…
Politik kann Rahmenbedingungen schaffen. Der stationäre Handel verändert sich fortlaufend. Die Frage ist, inwieweit Politik Einzelhandelskonzepte in der Fläche stützen kann. Im Bereich der Wirtschaftsförderung sollte man darüber nachdenken, die bereits angesprochenen kleinteiligeren Strukturen zu schaffen, wo der Einzelhandel ergänzt wird um die Post, den Bankautomaten und ähnliches mehr durch ein Shop-in-Shop-Konzept. So versuchen wir die ländliche Versorgung attraktiv zu machen, um auch diesen Raum nicht komplett abzuhängen. Und darüber hinaus die nachgelagerte Frage: Wie funktioniert dann Infrastruktur, Stichwort ÖPV?

WO! Sieht man letzten Endes auch Ergebnisse seiner Arbeit? Oder zerbröselt alles in Kompromissen?
Wenn es darum geht, die ganz großen politischen Dinge zu gestalten, ist man natürlich nur einer unter vielen. Wenn es aber darum geht, Fördergelder für verschiedene Dinge zu akquirieren (z. B. Denkmalschutz für das Herrnsheimer Schloss), hat man sehr wohl Erfolgserlebnisse, die dann auch ganz konkret messbar sind.

WO! Rheinhessen hat eine Armutsquote von 17,5% und liegt damit über dem Bundesdurchschnitt. Ist das nicht ein Armutszeugnis für eine Industrienation wie Deutschland?
Man muss aber auch sehen, wo wir herkommen. Die Region hat einen riesigen Wandel gemacht in den letzten Jahrzehnten und diese positive Entwicklung ist auch noch nicht abgeschlossen. Das beste Mittel, um Armut vorzubeugen, ist es, dass man den Leuten eine ordentliche Bildung gewährleistet.

WO! Das Ergebnis der Politik der Großen Koalition ist aber, dass der Verteidigungsetat bei 32,3, der Bildungsetat jedoch nur bei 13 Milliarden Euro liegt. Liegt der Schwerpunkt tatsächlich auf der Bildung?
Der Vergleich hinkt insofern ein wenig, weil wir nach der letzten Föderalismus-Reform die meisten Bildungsaufgaben auf die Länder übertragen haben.

WO! Wo es allerdings ebenfalls an allen Ecken und Enden hakt…
Ja, das stimmt. Aber der Bund hat leider keine Einflussmöglichkeiten…

WO! Doch, zum Beispiel beim Thema „Betreuungsgeld“ hat er Einfluss nehmen können…
Hat er ja, auch wenn man grundsätzlich anderer Meinung sein kann. Ich bin zum Beispiel in einer Familie mit mehreren Generationen aufgewachsen, während andere eine Betreuung außerhalb des Eigenheims als ideal ansehen. Uns geht es hierbei um die Wahlfreiheit. Wir haben auch CDU-intern darüber heftig diskutiert, aber Politik produziert nun mal in erster Linie Kompromisse.

WO! Wir hatten uns vor zwei Jahren schon einmal über das Thema Griechenland unterhalten und seinerzeit die Hilfsmaßnahmen sehr kritisch gesehen. Heute muss man leider attestieren, dass die EU die Situation dort noch viel schlimmer gemacht hat…
Das Faktum, dass die größte Handelsflotte der Welt keine Steuern zahlt und das ist auch noch verfassungsmäßig abgesegnet, ist keine Erfindung von deutscher Seite. Ich stelle mir deshalb die Frage, inwieweit ein Land die richtigen wirtschaftlichen Impulse setzt, um die Gesamtgesellschaft langfristig nach vorne zu bringen. Und eines muss man in diesem Zusammenhang sagen: Die gleiche Politik, die jetzt verurteilt wird, hat dazu beigetragen, dass die Portugiesen, die ähnlich schlechte Voraussetzungen hatten, an dem Freitag, an dem wir das Paket für Griechenland um vier Monate verlängert haben, die Hälfte ihrer Schulden, die sie seit 2010 aufgenommen hatten, wieder zurückbezahlt haben.

WO! Wie erleben Sie das Thema Politikverdrossenheit?
Das Problem an der Sache ist das: Diejenigen, die sich melden, sind zumeist hoch politisiert und kennen sich auch gut aus. Diejenigen, die nicht mehr wählen gehen, weil sie frustriert sind, bekommt man oft nicht mehr zu Gesicht. Aber deswegen sind wir als Politiker unterwegs, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Das persönliche Gespräch kann so manchen Frust ersetzen, wenn man den Leuten einfach mal zuhört.

WO! Diesen Weg teilen aber nicht viele Politiker…
Ja, das ist mein Weg. Ich kann es mir einfach machen und auf eine Beschwerde mit einem Standardschreiben reagieren. Ich kann die Leute aber auch anrufen, so wie ich das in der Regel mache.

WO! Wie schaffen Sie alle Ihre Termine zeitlich?
In der Regel bin ich eine Woche im Wahlkreis, eine Woche in Berlin. Aber letzten Monat hatte ich z.B. drei Wochen am Stück Sitzungswoche. Im letzten Jahr dürfte ich ungefähr 1000 Termine in Berlin und in meinem Wahlkreis gehabt haben. Das macht mir immer noch Spaß, weil ich jeden Tag wie ein großes Abenteuer erlebe, weil diese riesige Bandbreite wie ein Geschenk ist.

WO! Wie groß war die Aufregung vor der ersten Rede im Bundestag?
Na klar, war die Aufregung da, wenn man sich klar macht, dass da ein kleiner Bub aus Dittelsheim-Heßloch plötzlich vor 300 — 400 Leuten im Deutschen Bundestag spricht.

WO! Es gab auch ein Erlebnis mit Claudia Roth von den Grünen in Hinblick auf ein Tröpfchen Wein…
Das war bei der ersten Rede. Mit Claudia Roth hatte ich gemeinsam an einem Oktoberfest teilgenommen und wir haben uns hierbei auf der menschlichen Ebene, trotz der unterschiedlichen Auffassungen in vielen politischen Fragen, blendend verstanden. Deswegen hat sie mir auch bei ihrer Rede im Bundestag einen guten Jahrgang gewünscht und ich habe ihr daraufhin beim nächsten Mal einen guten Wein aus Rheinhessen mitgebracht.

Das Gespräch führten: Frank Fischer, Dennis Dirigo