Bei den bisherigen Inszenierungen der Nibelungen Festspiele war Ortlieb stets nur eine Nebenrolle zugedacht. Autor Albert Ostermaier jedoch wählte Etzels und Kriemhilds Sohn als zentrale Figur seines Stückes, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Gespielt wird diese Rolle jedoch nicht von einem Jungen, sondern von der 1984 in Odessa geborenen Schauspielerin Alina Levshin. Mit der Rolle der Neonazibraut Marisa in dem Film „Kriegerin“ wurde sie bekannt. Für die Filmschauspielerin bedeutet „Gemetzel“ ihr erstes größeres Theaterengagement. WO! sprach bei sommerlichen Temperaturen mit der zierlichen Frau über den ungewöhnlichen Part, den sie bei den Nibelungen Festspielen 2015 übernimmt.

WO! Frauen in Männerrollen sind zwar ungewöhnlich, haben aber durchaus eine gewisse Tradition (zuletzt z.B. bei einer Michel-Inszenierung fürs Wormser Theater). Haben Sie eine Ahnung, warum man Sie für die Rolle des Ortlieb ausgewählt hat? Welchen Bezug haben Sie zu der Rolle?
Das Ganze aus der Perspektive eines jungen Mannes von 14-15 Jahren zu erzählen, hat mir sehr gut gefallen. Ich fand aber auch das Gesamtkonzept sehr spannend. Anfangs stand für mich allerdings die Frage im Raum: Brünhild oder Kriemhild? Als ich mich mit Thomas Schadt traf, stand fest, dass er die Idee hatte, mir die Rolle des Ortlieb zu geben. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass ich mich mit dieser Rolle identifizieren kann. Ich kann bisher nicht unbedingt auf eine lange Karriere zurückblicken, weswegen ich mich auf die Proben mit den Theaterkollegen sehr freue. Film und Theater unterscheiden sich schon sehr stark voneinander. Insofern sehe ich mich auch als ein bisschen naiv wie der Ortlieb und freue mich darüber, dass ich hier lernen kann. Der Bezug zu Ortlieb ist, dass dieser vom Kind zum Erwachsenen wird, ähnlich wie ich hier eine Entwicklung machen werde. Diese Vorstellung fand ich sehr spannend. Und da war mich klar: Was für eine tolle Möglichkeit!

WO! Orlieb spielte bisher in den Inszenierungen eher eine Nebenrolle, die lediglich eine dramaturgische Funktion hatte, bis sein Kopf rollte! Mich irritiert in diesem Zusammenhang durchaus die erzählerische Perspektive. Wird die im Verlauf des Stückes verlassen?
Ohne zu viel zu verraten. Letztlich führt die Geschichte natürlich dazu, dass Ortlieb stirbt. Es ist aber wirklich sehr gut geschrieben und es passiert sehr viel zwischen den Zeilen. Die Geschichte entwickelt sich langsam, man denkt und hofft zwischendurch, dass es doch ein anderes Ende nimmt, aber letztlich passiert es doch. Ich persönlich finde vor allem wichtig, dass diese Geschichte einen Bezug zu heute hat.

WO! Wie nähert man sich als Frau an die Rolle eines jungen Mannes?
Mich interessieren zunächst die inneren Prozesse, die Entwicklung, die Orlieb durchlebt. Natürlich werde ich sehr viel beobachten und bin selbst sehr gespannt darauf, wie sich das entwickelt. Ich denke, es ist alles möglich.

WO! Hatten Sie vor Ihrer Besetzung für die Nibelungen einen Bezug zu der Sage?
Eigentlich gar nicht, denn ich hatte „Die Nibelungen“ nicht im Studium. Ich habe mal einen Teil einer Inszenierung an einer anderen Universität gesehen, was mir gut gefallen hatte. Als ich das Buch von Ostermaier in der Hand hielt, musste ich es ein paar Mal lesen. Anfangs war ich überrannt von der Gewalt, aber auch überwältigt von den vielen Ebenen. Ich dachte, das ist ja der schiere Wahnsinn. Es ist reich an Perspektiven und trotzdem ist die Geschichte ungeheuer menschlich. Sie ist so wie wir sind, wir sind ja nie nur gut oder nur böse.

WO! Mit der Rolle der Neonazibraut Marisa in dem Film „Kriegerin“ wurden Sie bekannt und mit Preisen geradezu überhäuft. Wie nähert man sich einer solchen Rolle, war das schwer für Sie zu spielen?
Bei jeder Rolle, die man angeboten bekommt, gibt es entweder einen Bezug oder einen besonderen Reiz. Bei der Rolle der Marisa war es der Reiz, diesen Part zu spielen. Letztlich hatte ich großes Glück, diese Rolle zu bekommen.

WO! Sehen Sie Verbindungen zwischen diesem Stoff und den Nibelungen?
Ja, natürlich. Gerade weil Ortlieb beide Kulturen in sich trägt. Rassismus ist sicherlich ein Thema, was bei den Nibelungen ebenso zu finden ist.

WO! Abgesehen von Ihren Auftritten als Kind im Friedrichstadt Palast, stehen Sie in erster Linie vor der Kamera. Haben Sie ein bisschen Bammel vor der Premiere am 31. Juli?
Wie Sie gesagt haben, kenne ich das Bühnengefühl aus meiner Kindheit, was ich sehr genossen habe. Damals wusste ich, dass ich das wieder haben möchte. Das Blatt hatte sich für mich dann insofern gewendet, dass ich zum Film kam, was vielleicht Zufall oder Schicksal war. Aber ich hoffte immer, dass einmal ein Angebot kommt, das mich interessiert. Und als es kam, war mir klar: Das ist es jetzt! Ich denke, es kommt alles zu seiner richtigen Zeit.

WO! Wie ist Ihr erster Eindruck von Worms?
Sehr toll. Das Wetter ist perfekt, die Leute sind einfach unglaublich entspannt. Ich freue mich darauf, mal eine gewisse Zeit aus Berlin raus zukommen und in einer kleineren Stadt wie Worms leben zu können. Natürlich hoffe ich, dass das Wetter bis Mitte August so bleibt (lacht). Als ich hier ankam, fiel mir sofort auf, dass es hier deutlich wärmer ist als in Berlin. Ich dachte: Wow!

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!