Die Bevölkerung wird immer älter und es müssen dementsprechende Angebote geschaffen werden. Die Stadt steht aber nicht nur wegen des demografischen Wandels in der Pflicht, sondern es muss ebenso neuer Wohnraum entstehen, denn laut aktuellen Zahlen wächst Worms immer mehr, zumindest was die Einwohnerzahl angeht. Die daraus resultierenden Fragen lauten: Kann unsere Infrastruktur dem Wachstum standhalten? Wie steht es um die urbane Lebensqualität in Worms?

Worms wächst immer mehr und hat nun schon 87.000 Einwohner. Das an sich ist noch keine Überraschung, denn allerorten ist eine Landflucht in Richtung Städte zu beobachten, schließlich ist gerade jungen Leuten das Landleben nur schwer zu vermitteln. Überraschend ist allenfalls das Tempo, mit dem die Einwohnerzahl wächst – in den letzten acht Jahren alleine um fünftausend. Vorab: An Platzmangel wird das Unternehmen gewiss nicht scheitern, denn im Vergleich zu anderen Städten in Rheinland-Pfalz hat Worms genügend Fläche, um seine Einwohner unterzubringen. Während zum Beispiel die beiden einwohnerstärksten Städte, Ludwigshafen und Mainz, 165.000 Leute auf 77,68 km2 und die Landeshauptstadt sogar 210.000 Einwohner auf 97,75 km2 beherbergen müssen, kann Worms seine 87.000 Einwohner auf stolze 108,7 km2 verteilen. Trotz dieser imposanten Grünfläche, mit der wir im Wormser Umland gesegnet sind, ist der Wohnraum natürlich begrenzt und es ist laut Flächennutzungsplan der Stadt genau vorgeschrieben, wo neu gebaut werden darf. Wird dann allerdings ein neues Baugebiet ausgewiesen – egal ob in Heppenheim, Herrnsheim oder Weinsheim – dann dauert es nicht lange, bis alle Bauplätze an den Mann gebracht sind. Auch der Markt für Mietwohnungen ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht sonderlich belebt, manche würden sagen „tot“. Viele Mietwohnungen, die frei werden, gehen über private Empfehlungen direkt „unter der Hand“ weg, andere Objekte landen direkt beim Immobilienmakler. Das Angebot an freien, interessanten Objekten ist dagegen begrenzt, wie man auch dem gängigen Internetportal „immobilienscout24.de“ seit Monaten entnehmen kann. Dass Worms für das Umland sehr interessant ist, liegt darin begründet, dass hierzulande die Mietpreise immer noch moderat sind für Berufspendler, im Vergleich zu den Rhein-Neckar-Metropolen wie Mainz, Frankfurt und Wiesbaden im Norden oder im Süden Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Aber wo die Nachfrage weitaus größer als das Angebot ist, steigen zwangsläufig auch die Preise. Und die Stadt heizt das sogar noch an. Wenn ein neues Baugebiet ausgewiesen wird, wie jüngst in Herrnsheim, gehen die Plätze gegen Höchstgebot weg, wobei laut Einschätzungen von abgewiesenen Interessenten Preise bis 450 Euro pro Quadratmeter (Durchschnitt in Worms: 372.- Euro pro m2) keine Seltenheit sind. Für eine Familie mit zwei Kindern ist das nahezu unbezahlbar, für Spekulanten ist ein solcher Preis aber durchaus interessant.

BEZAHLBARER WOHNRAUM IST RAR
Von daher mangelt es vor allem an „bezahlbarem Wohnraum“. Im letzten Jahr standen zeitweise bis zu 1.500 Leute aus Worms mit Wohnberechtigungsschein auf einer Warteliste. „Bei der städtischen Wohnungsbau konnte im Jahr 2014 genau 843 Bewerbern nicht geholfen werden, regelmäßig ist dort die Nachfrage um das Fünffache höher, als es freie Wohnungen gibt (Quelle: WZ vom 28.01.2017). Um dem entgegen zu wirken, hat der Stadtrat 2016 den „Masterplan Wohnen“ verabschiedet. Demnach sollen bis 2025 ca. 2.500 neue Wohneinheiten entstehen. Bei noch neun ausstehenden Jahren wären das mehr als 250 neue Wohnungen pro Jahr. Dem zugrunde liegt eine Studie aus dem Jahr 2008 von der Uni Mannheim, die zu der Schätzung kam, dass die Einwohnerzahl im Jahr 2020 bei knapp 84.000 Einwohnern liegen werde. Daraus errechnete sich ein zusätzlicher Bedarf an Wohnbauflächen in einer Größenordnung von 75 Hektar. Die Wirklichkeit hat die Schätzung aber schon längst überholt, denn drei Jahre vorher liegt man bereits 3.000 Einwohner über der Schätzung. Von daher müsste die Stadt ihren „Masterplan Wohnen“ eigentlich korrigieren und mindestens doppelt so viele Wohnungen in dem genannten Zeitraum schaffen – also knapp 500 pro Jahr.

WEITESTGEHEND AUF INVESTOREN ANGEWIESEN
Im Übrigen sind unter den Neu-Wormsern auch jede Menge junge Leute, die natürlich ebenfalls an bezahlbaren Wohnungen interessiert sind, schließlich ist die Hochschule Worms in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen und kann aktuell ca. 3.500 Studierende aufweisen. Alleine in den letzen sechs Jahren ist die Zahl der Studenten um achthundert Personen angewachsen. Andernorts, wie z.B. an der Uni Mainz, sind die Zahlen seit Jahren rückläufig, von den ausufernden Mietpreisen in der Landeshauptstadt gleich ganz zu schweigen. Problematisch für Worms ist, dass dies auch hier droht, denn bei den meisten Bauprojekten ist die Stadt darauf angewiesen, was potentielle Investoren planen. Wenn dann, wie bei dem Jahrhundertprojekt „Gerbergasse“ (siehe Seite 8-9), mitten in den Planungen der Eigentümer wechselt, muss man erst abwarten, was der neue Investor mit dem Gelände vorhat. Dann kann sich ein Baubeginn auch mal um ein paar Jahre verschieben, ohne dass die Stadt Einfluss darauf nehmen kann. Allerdings könnte die städtische Wohnungsbaugesellschaft in Sachen „Schaffung von bezahlbarem Wohnraum“ unternehmerischer auftreten, anstatt die in den letzten Jahren angehäuften Jahresüberschüsse als Rücklagen zu bunkern.

WIE STEHT‘S UM DIE URBANE LEBENSQUALITÄT?
Die Auswirkungen einer wachsenden Einwohnerzahl auf Einzelhandelsgeschäfte, Gastronomie oder Sportvereine dürften dagegen durchweg positiv ausfallen, können sie sich doch allesamt über mehr Kundschaft nicht beklagen. Man kann hier jede erdenkliche Sportart ausüben, als eine der wenigen Kommunen verfügt Worms noch über zwei Freibäder, von den zahlreichen Badeseen rund um die Stadt gleich ganz abgesehen. Zur Lebensqualität einer Stadt gehören aber nicht nur die Sport- und Freizeitangebote oder die Einkaufsmöglichkeiten, auch die kulturellen Angebote sind für viele ein wichtiges Kriterium, um sich für den Umzug in eine bestimmte Stadt zu entscheiden. Was die kulturelle Entwicklung angeht, hat Worms in den letzten Jahren ohne Zweifel mächtig zugelegt. Neben den kulturellen Leuchttürmen wie „Jazz & Joy“ und „Nibelungen-Festspiele“ oder überregional bekannten Events wie das „Backfischfest“ oder das „Spectaculum“, sind es gerade kleinere Bühnen wie die Volksbühne, Lincoln Theater oder die Fabrik, auf denen man großartige Kleinkunst erleben kann. Nicht zuletzt hat sich die Stadtführung erst vor fünf Jahren ein knapp 50 Millionen Euro teures Kultur- und Tagungszentrum geleistet, wo im Theater und Mozartsaal übers Jahr verteilt ein buntes Kulturprogramm stattfindet.

THEMA SCHULEN & CO.
Wer so viel Geld für Kultur ausgibt, muss sich auch an dem Zustand seiner Schulen und öffentlichen Gebäude messen lassen. Nicht wenige werfen der Stadtführung um Oberbürgermeister Kissel vor, dass das Thema Bildung in Worms eher stiefmütterlich behandelt würde. Von daher war die Sperrung gleich mehrerer Klassensäle und Sporthallen in den letzten Wochen nicht unbedingt die beste PR für die Stadt. Ob Worms nun weiter wächst oder nicht, die örtlichen Schulen werden auch in den nächsten Jahren noch einen größeren Investitionsbedarf nach sich ziehen. Zu sehr hat der Zahn der Zeit an den Zweckbauten der 60er Jahre gezehrt. Weitere Kosten wird der Bau an dringend benötigten Kindertagesstätten verschlingen, denn Worms liegt bei den zwölf kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz in Sachen Kitas auf dem vorletzten Platz und konnte die Vorgaben der Landesregierung bisher nur mangelhaft umsetzen. Für die Anfang letzten Jahres fehlenden 255 Plätze müsste die Stadt Worms Schätzungen zufolge knapp zehn Millionen Euro investieren. Immerhin scheint sich diesbezüglich etwas in Hochheim zu tun, auch wenn das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein wäre. Bei dem Jahrhundertprojekt Gerbergasse war anfänglich eine Kindertagesstätte im Gespräch, bis plötzlich der Investor wechselte und der Neue danach bekundete, eher ein weiteres Hotel zu präferieren. Zusätzlich zu dem geplanten Ibis-Styles-Hotel, das direkt neben dem Kulturund Tagungszentrum entstehen soll. In Worms wird also weiterhin ständig irgendwo gebaut, die Stadt verändert und auf ihr Wachstum vorbereitet. Es bleibt zu wünschen, dass auch die politische Führung ausreichend vorbereitet ist und sich nicht nur, speziell was bezahlbaren Wohnraum angeht, auf private Investoren verlässt.