Es sind zwei Themen, die das Leben des Wolfgang Schall wie einen roten Faden durchziehen: die Liebe zur Musik und ein Streben nach Gerechtigkeit.

Aufgewachsen bei seiner alleinerziehenden Mutter, lebten beide in einfachen Verhältnissen. Fragt man ihn nach seiner ersten musikalischen Begegnung, erzählt er lächelnd vom Kofferplattenspieler, auf dem er die Songs der Schlagersängerin Peggy March rauf und runter hörte. Doch der Schlager sollte nicht seine musikalische Heimat werden. Die fand er in der Welt englischer und amerikanischer Rock- und Blues-Helden, wie den BeeGees oder The Stereos, von denen er sich mit dem wenigen Geld, das er zur Verfügung hatte, zunächst nur Singles leisten konnte. Das Sammeln von Platten war, im Gegensatz zu heute, in den späten 60ern und frühen 70ern ein verhältnismäßig teures Hobby. Infiziert von den rebellischen Klängen, die den Duft von Freiheit verströmten und es zudem erlaubten, der damaligen Tristesse von Worms zu entfliehen, sparte er eisern für seine erste eigene Musikanlage von Dual. Dass aus seiner Leidenschaft irgendwann mal mehr werden würde, und er schließlich die erste Wormser Konzertagentur gründen sollte, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht mal in seinen kühnsten Träumen vorstellen. Zunächst wollte er die Geheimnisse des Gitarrespielens lernen. Jammte er zuvor als Autodidakt zu den heißen Rhythmen von Ten Years After, packte ihn bald der Ehrgeiz und er beschloss, Gitarrenunterricht bei einem anderen Wormser Urgestein zu nehmen. Ganze zwei Stunden verbrachte er mit seinem Lehrer Rolf Bachmann (!), ehe er von seinem Weg abkam und begann, sich aktiv für Politik zu interessieren. Es waren die Zeiten, als in anderen Städten schon längst die Studenten gegen das gesellschaftliche Erbe von einst rebellierten und man sich dem marxistischen Gedanken näher fühlte als der alten Bundesrepublik. Auch die Wormser Jugend begann nach und nach aufzubegehren, machte auf sich aufmerksam und begann, sich für ihre Belange einzusetzen. Ganz vorne dabei, Wolfgang Schall. Zum Schülersprecher der noch jungen BBS II gewählt, gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des sogenannten Aktionskomitees für ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung. Damals besetzte man das Gebäude, in dem sich das heutige „Haus der Jugend“ befindet. Wolfgang Schall war der erste Vorsitzende. Um ein bisschen Geld in die leere Vereinskasse zu spülen, begann man, mit Wormser Musikern in den Räumen Konzerte zu veranstalten. Nebenbei gründete man noch eine Art anarchistische Theatergruppe, mit der man im Gemeindezentrum Neuhausen bekannte Stücke in neuem Gewand aufführte. Neues Gewand hieß, dass z.B. von Shakespeares Klassiker „Romeo und Julia“ nur noch ein Handlungsgerüst übrig blieb, das mit absurden Wendungen und Dialogen einen eigenen Charakter erhielt. Unter den Mitspielern fanden sich auch Wormser wie der heute bekannte Worms-Verlag-Chef Berthold Röth. Noch heute verwundert es Wolfgang Schall, dass man es mit diesen improvisierten Stücken sogar zu einer Jugendveranstaltung nach Köln schaffte. Zehn Jahre verbrachte der hochgewachsene Mann mit dem Projekt des Jugendzentrums. Mit 19 geheiratet, weil man so schneller an eine Wohnung kam, wie er unumwunden erklärt, musste natürlich auch Geld zum Leben her. Nachdem er einer Lehre zum Fernmeldetechniker bei der Post aufgrund einer zu großen Nähe zu seinem Vater eine Absage erklärte, musste er anderweitig fündig werden. Gutes Geld bei harter Arbeit gab es schließlich bei der Firma Enzinger, wo er eine Zeitlang an einer Getränkeabfüllstation schuftete. Nebenher jobbte er noch bei dem kleinen Plattenladen „Die Schallplatte“. Dort machte er eine besonders denkwürdige Bekanntschaft, nämlich mit der australischen Hard-Rock-Band AC/DC. „Es war ein magischer Moment, der mich glücklich machte, als ich die Platte erstmals in den Händen hielt und die Musik dazu hörte“, erzählt er noch heute mit einem versonnenen Lächeln im Gesicht. Nach einer Umschulung zum Maschinenschlosser und nachdem das erste Kind auf die Welt kam, versuchte er Ruhe in das bis dato etwas unstete Leben zu bringen. „Ich wollte, dass es meiner Tochter besser geht als mir damals“, sagt Wolfgang Schall nachdenklich. Eine Abkehr fand zu dieser Zeit auch von den damaligen politischen Idealen statt. Mit dem Fall der Mauer musste er erkennen, dass der gelebte Sozialismus wohl doch nicht so gerecht war, wie er einst glaubte. Berufliche Ruhe fand er für 16 Jahre bei der Firma Grace, doch privat wollte die nicht einkehren. Das junge Ehepaar trennte sich wieder und seine Tochter wurde so zum Trennungskind, wie er eines war.

Ein Wendepunkt in seinem Leben sollte sein 40. Geburtstag werden. Diesen feierte er 1996 im „Gasthaus zur Krone“. Es spielten zwei Bands, die er engagierte, woraufhin ihn einige Gäste ermunterten „so etwas doch öfters zu machen“. Gesagt, getan. Gemeinsam mit dem Besitzer der Krone, Hans Paffenholz, gründete er die Firma Krone Concerts. Am 14.11.97 standen beide in der Mehrzweckhalle der Krone und freuten sich gemeinsam über das erste Konzert, das unter ihrem Namen Worms rockte. Silent Faces hieß die Gruppe, die damals einen kleinen Chart-Hit hatte. Für Worms bedeutete das Konzert eine kulturelle Zäsur. Waren bis zu diesem Zeitpunkt Konzerte auswärtiger Künstler nur beim Jazz & Joy-Festival zu erleben, sollten internationale Bands von nun an zum Stadtbild gehören. Zu den ersten Konzerten gehörten Nina Hagen, Guano Apes, Roger Chapman, Reamonn, BAP (für die Lebenshilfe) u.a. Mit Veranstaltungen wie „Kultur gegen Rechts“ oder „Hilfe für Flutopfer“ konnte er zugleich sein soziales Engagement ausleben. Bereits 1999 schied sein damaliger Partner allerdings wieder aus der Firma aus. Da Konzerte veranstalten eine ziemlich teure Angelegenheit ist, musste er allerdings weiterhin parallel einer geregelten Tätigkeit nachgehen. Die fand er 2002 in dem neu eröffneten Ladengeschäft des Elektronikriesen Saturn in Mannheim. Dort lernte er auch seinen zukünftigen Partner Frank Schumann kennen, mit dem er schon ein Jahr später in Frankenthal den Krone Music Club eröffnete. Leider fand der Club nicht die Resonanz, die er zum Überleben benötigte. Über die Jahre hinweg erlebte Krone Concerts immer wieder stürmische Zeiten mit Höhen und Tiefen. Da es in Worms zunehmend schwieriger wurde, passende Veranstaltungsräume zu finden, wurden die Konzerte rarer. Schumann und er trennten sich wieder und Schall begann, sich vermehrt auf Booking und künstlerische Beratung beim Jazz & Joy-Festival zu konzentrieren, nahm eine Stelle als Gruppenleiter bei der Lebenshilfe an, wo er auch seit 2014 im Vorstand ist. Seit 2016 ist er zudem ehrenamtlicher Beauftragter der Menschen mit Behinderungen in Worms. Ein Amt, das er genauso leidenschaftlich ausfüllt wie jene für die Musik. Zwar sind die Tage der großen Konzerte für Wolfgang Schall vorbei, doch im August dieses Jahres will es der 61-Jährige nochmal wissen. Im Hof des Herrnsheimer Schlosses lädt er am 10. August zu einem Open-Air-Konzert, das ihm ganz besonders am Herzen liegt und zugleich noch einmal zu seinen musikalischen Wurzeln zurückführt. Mit dem talentierten Musiker Engelstädter und dessen Magic of Queen Classic-Projekt entführt er die Zuschauer in die 70er Jahre als Rockstars noch echte Helden waren und nicht einfach nur austauschbare Stimmen. Und Jugendkultur bedeutete, etwas zu bewegen – und nicht einfach nur zu chillen.