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Es gibt prominente Menschen, von denen viele noch gar nicht wissen, dass sie in Worms wohnen. Besonders in den letzten Jahren zogen Kulturschaffende in unsere Stadt, die man so noch gar nicht auf dem Schirm hatte. In unserer kleinen Serie „Bekannt und trotzdem unerkannt“, wollen wir genau diese Menschen vorstellen. In diesem Monat den Wormser Musiker Martin Albrecht, der vor allem mit seinem audiovisuellen Jazzprojekt „Scriabin Code“ deutschlandweit Konzerte gibt. Martin Albrecht studierte Musik in Osnabrück, Leipzig und absolvierte mehrere Auslandsaufenthalte in Nordamerika, die ihn auch musikalisch nachhaltig prägten.
WO! Hallo Martin! Wie kommt man als Musiker auf die Idee, nach Worms zu ziehen? Und vor allem, hier zu bleiben?
Der Blick auf die Wetterkarte verrät schnell, dass hier überdurchschnittlich häufig die Sonne scheint. Das Umland mit dem Odenwald und der Pfalz hat für mich und meine Familie einen extrem hohen Freizeitwert. Und das Delta zwischen Frankfurt und Karlsruhe als Ganzes betrachtet, bietet viele große Städte mit vielen Musikern und Veranstaltungsorten. Schließlich ist die Musikstadt Mannheim greifbar nah mit einem Bahnhof, der einen schnell in alle Ecken Deutschlands, gar Europas bringt. Letzten Endes war Worms ein glücklicher Zufall.
WO! Wie unterscheidet sich Worms von Deinen vorherigen Lebensstationen wie Leipzig oder Amerika?
Natürlich hat Worms nicht die vielfältige Musikszene wie Leipzig, aber manchmal verlangt das Leben auch eine temporäre Verlagerung des Fokus auf andere Ausstattungen einer Stadt oder eines Landes. Und für eine fünfköpfige Familie lebt es sich in der Stadt hervorragend und günstig.
WO! Was gefällt Dir an Worms besonders? Hast Du einen Lieblingsort?
Mich beeindruckt das kulturelle Erbe von Worms immer wieder aufs Neue. In der Stadt wurde zweifelsohne Geschichte geschrieben. Auch die kulturelle Vielfalt erlebe ich oft als Chance. Lieblingsorte gibt es viele: von den Sandbänken am Rheinufer, über den Weckerlingplatz, bis zum Pfrimmpark. Und schließlich ist für die späte Stunde die Funzel natürlich ein Kleinod, das ich nicht missen wollte.
WO! Was steckt hinter Deinem Projekt „Scriabin Code“? Klingt irgendwie geheimnisvoll…
Schon in meiner musikalischen Ausbildung wandelte ich zwischen Mozarts Klarinettenkonzert zum Bassisten in einer Pink Floyd Coverband und dann mit dem Saxophon in eine Jazzband. Gedanklich beschäftigt hat mich immer wieder die gesellschaftliche Wertung der unter- schiedlichen Musikrichtungen. Warum eigentlich? Ist doch unterm Strich alles nur Musik? Viele musikalische Grenzgänge sind dann auch mein Ausgangspunkt für den Scriabin Code. Wir gehen mit dem Ensemble einzelnen Stücke der „klassischen Musik“ an den genetischen Kern und bauen mit dem heutigen musikalischen Werkzeugkasten neue, eigene Stücke daraus. Dazu kommt aus dem Zellertal noch ein Livebewegtmaler, der unsere Musik in Echtzeit in sich stets wandelnde Bilder erweitert und unsere Musik durch seine Bilder rückkoppelt. Der Name geht zurück auf den russischen Pianisten und Komponisten Alexander Skrjabin, der schon über 100 Jahre nicht mehr am Leben ist. Aber er begeistert mich seit über 25 Jahren, denn er wollte mehr als Musik. Er hatte als Erster Pläne für einen Synthesizer skizziert und wollte auch Licht und Duft als Erlebnis mit dabeihaben. Mit dem Licht sind wir heute schon auf der visuellen Ebene mit einem Beamer dabei, am Duft arbeiten wir noch, aber die Vorstellung ist toll (lacht).
WO! Was würdest Du dir für die hiesige Kulturszene wünschen? Mit wem bist Du als „Neuer“ schon connected?
Es gibt sicher noch ganz viele Kulturschaffende in Worms, die ich kennenlernen sollte. Du kannst mich da sicher noch viel besser vernetzen (lacht). Ich wunder mich manchmal schon, dass Leute wie der WO! Chefredakteur quasi gegenüber wohnen, man sich aber in zehn Jahren noch nicht einmal persönlich begegnet ist. Ein Jeder hat dann wohl seine Bubble und seit den letzten zwei Jahren noch viel mehr. Wenn ich mir für die Wormser Kulturszene was wünschen könnte, wäre das eine lebendige Konzertreihe, in der sich jeder Wormser Schüler einmal im Jahr vormittags ins Wormser begeben kann. Ein Livemusikerlebnis wird durch unser stundenlanges Betrachten von Bildschirmen sowieso bald eine Renaissance erleben, das kein Kopfhörer ersetzen kann. Schließlich würde ich mich freuen, wenn wir Deutschen auch mal 100 Milliarden Euro nicht ins Militär, sondern in die (kulturelle) Bildung stecken würden. Aber jetzt höre ich auf, denn hier sind wir schon wieder in der mitunter klebrigen Vergangenheit und nicht einer beflügelnden Vision.
WO! Danke für das Gespräch!
Das Gespräch führte: Peter Englert
Foto: Nicky Hellfritzsch