UNSER REDAKTEUR DENNIS DIRIGO BERICHTET AUS 20 JAHREN WO!

Bei der Arbeit….2017
Zugegeben, das Attribut Kleinstadt ist nicht unbedingt passend, aber wie hätte ein Titel geklungen, der aus dem Leben eines Redakteurs aus einer Mittelstadt mit kleinstädtischem Flair erzählt? Man könnte Worms umschreiben als Mittelstadt mit den Wegen einer Kleinstadt, aber den Problemen einer Großstadt. Für meine Arbeit ist das gut, denn zu berichten gibt es auch nach 20 Jahren noch jede Menge. Heute möchte ich jedoch die Zeilen dazu nutzen, Sie auf meine persönliche WO! Reise mitzunehmen und die begann im März 2005.
Eigentlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt mit Journalismus nur rudimentär zu tun. In meiner eigentlichen Arbeit beschäftigte ich mich damit, jungen Menschen den Wert von Bildung und Respekt zu vermitteln. Im Grunde das, was ich heute immer noch versuche, nur eben jetzt in schriftlicher Form und mit einer größeren Reichweite. Zu- nächst war es aber das Thema Kultur, insbesondere Film, Literatur, Theater und Musik, mit dem meine WO! Reise begann. Bereits für das Vorgängermagazin W1 fragte mich WO! Gründer und W1 Chefredakteur Frank Fischer nach gelegentlichen Rezensionen. Zugleich konnten wir, entgegen unserer früheren amateurhaften Versuche einer Klassenzeitung in den frühen 80er Jahren, endlich auf ein professionelles Format schauen. Als schließlich Frank Fischer und Michael Koch 2005 das WO! Magazin ins Leben riefen, war es für mich natürlich keine Frage, wenn gewünscht, auch hier meinen Senf zu Film, Musik etc. dazuzugeben. Es war gewünscht und so erschien am 15. März 2005 meine erste Filmkritik in diesem Magazin.
MIT KINO FING ES AN
Der Film hatte zwar primär nichts mit Worms zu tun, lief aber immerhin im KW2 zu einer Zeit, als das Kino noch nicht unter Patrick Mais’ Leitung stand und es mehr den Vorstellungen eines Old School Schuhkartonkinos entsprach. Der Film war „Sideways“ und bekam von mir das „Prädikat sehenswert“. Ob ich ihm das auch heute noch geben würde, scheint mir fraglich. „Sideways“ ist im Rückblick ein typischer Film, wie Hollywood sie im Umfeld der Oscar Verleihungen gerne produziert. Zunächst von Kritik und Publikum gefeiert, beginnt der Film im Anschluss in Vergessenheit zu geraten. So auch hier. Kurz darauf folgte bereits meine erste Kolumne „Demnächst im Kino“. Wählte ich damals noch die Filme unabhängig von einem Wormser Kinostart aus, hat sich dies zwischenzeitlich geändert. Mit der Umbenennung in „Demnächst in der Kinowelt Worms“ begann 2012 auch die Zusammenarbeit mit dem neuen Kinobetreiber Patrick Mais, der den altbekannten Kinocenter in der KW einer ordentlichen Modernisierungskur unterzog. Zudem beliefert mich die Kinowelt mit Titeln, die auch explizit in Worms starten.
Wie so vieles hat sich im Laufe der Jahrzehnte auch das Kinoprogramm geändert. Filme wie „Sideways“, der damals auch in Worms ein veritabler Erfolg war, haben heute kaum noch eine Chance und finden sich eher als Prestigeprojekte bei Netflix. Und so muss auch ich feststellen, dass ich immer seltener den Weg ins Kino finde. Dafür führte mich mein Weg im Zuge meiner damals noch WO! Hobbytätigkeit immer öfter ins Theater und zu den Nibelungen. Aus dem Hobby wurde schließlich 2012 das Angebot, stundenweise für das Stadtmagazin zu schreiben.
VOM HOBBY ZUM BERUF
Waren meine ersten Jahre auf das Thema Kultur beschränkt, folgte im August 2012 mein erster journalistischer Beitrag. Gemäß meinem Hauptberuf im sozialen Bereich, war mein erster Artikel auch im Sozialen angesiedelt. Darin beschäftigte ich mich mit der Frage, wie familienfreundlich die Stadt Worms in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Immerhin warb sie zur damaligen Zeit auf der Homepage explizit mit diesem Versprechen. Hintergrund war wiederum, dass eine katholische Kindertagesstätte beschloss, ihre Öffnungszeiten erheblich zu kürzen. Da die Kita zuvor genau damit warb, arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeiten zu haben, stellte das für viele berufstätige Eltern ein Problem dar. Das erkannte auch die Leiterin, die mich zunächst mit Infos versorgte, um schließlich eine Kehrtwende zu machen. Am Ende gab es ein klei- nes Entgegenkommen für die Eltern, was die Zeiten betraf und nebenbei die Erkenntnis, dass Worte zumindest ab und an ein klein wenig was verändern können. Soziale Themen begleiteten mich auch in den Folgejahren und beschäftigen mich noch heute.
EIN BESUCH AM RANDE VON WORMS
Eines der wohl intensivsten Themen aus dieser Zeit war für mich die Ausein- andersetzung mit der Obdachlosenunterkunft der Stadt Worms in der Hafenstraße. „Endstation Hafenstraße: Leben am Rand der Gesellschaft“ titelte ich über meine Reportage, die mit einem Anruf einer jungen obdachlosen Person in der Redaktion begann. Ich traf mich mit einem Pär- chen, das ungefähr Mitte 20 war und bis zu diesem Zeitpunkt eine „klassische Suchtkarriere“ durchlebte. Anfangs berufstätig und zusammenlebend, folgte das Abgleiten in den Alkoholmiss- brauch, der Verlust der Arbeitsstelle, weitere Drogen, Verlust der Wohnung und schließlich der Weg in die Hafenstraße. Das Anliegen des Paares war es dabei nicht, über das eigene Schicksal zu klagen, sondern vielmehr auf die schwierige Situation in jenem Haus aufmerksam zu machen, das, versteckt vor der öffentlichen Wahrnehmung, in einer Sackgasse der Hafenstraße zur damaligen Zeit rund 35 Obdachlose beherbergte. Ich folgte im Anschluss einer Einladung und erlebte tatsächlich eine Situation, die mich betroffen machte. „Als wären sie der Fantasie eines Drehbauchautoren entsprungen, der gerade ein Drama über die New Yorker Bronx schreibt, wirken die Gebäude wie aus einer Parallelwelt. Eingeschlagene Scheiben, eingetretene Türen, mit Taubenkot verschmutzte Flure, Fäkalien, hinterlassen von externen Junkies, die die Gebäude immer wieder für sich in Anspruch nehmen, verbreiten ihren fauligen Gestank“, schrieb ich damals und suchte im Anschluss das Gespräch mit der Stadt.
VORBEHALTE ALS BEGLEITER
Als „junger“ WO! Redakteur musste ich damals erstmals erfahren, was es bedeutet, für ein Magazin zu arbeiten, das wohl ein wenig mit Imageproblemen bei der Stadt zu kämpfen hatte. Das von mir angeforderte Interview mit Waldemar Herder wurde von nicht weniger als fünf Mitarbeitern flankiert, darunter auch die Pressestelle, die über einen ordentlichen Ablauf wachte. Schmun- zelnd meinte Herder, dass dem WO! ein gewisser Ruf vorauseile und verwies auf eine Geschichte, die mir im Laufe der Jahre immer wieder begegnete. Aber das ist ebene eine andere Geschichte und hatte nichts mit mir zu tun. Die Gespräche und der Artikel bewirkten immerhin, dass die Stadt das Haus schnellstmöglich wieder instand setzte. Ich wiederum lernte, dass es Menschen gibt, die so weit außerhalb der Gesellschaft leben, dass sie überhaupt nicht mehr zurückgeführt werden möchten. Die junge Frau, die damals den Kontakt zu uns suchte, schaffte es immerhin, einen Therapieplatz zu bekommen und somit der Hafenstraße zu entkommen. Ob ihr das bis heute vergönnt ist? Ich weiß es nicht. Die Hafenstraße gibt es allerdings immer noch, während sich zeitgleich das Thema Armut in Worms verschärft.

Gespräch mit Dieter Wedel 2013
LEBEN MIT DEN NIBELUNGEN
Es ist kein leichter Übergang, von der Obdachlosenunterkunft zur großen Bühne vor dem Wormser Dom. Aber auch das gehört zu meiner täglichen Arbeit, das Pendeln zwischen Themen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und so führt mich mein Weg regelmäßig im Frühling in die Welt der Nibelungen-Festspiele, wenn bei einer großen Pressekonferenz das Ensemble vor- gestellt wird und im Anschluss die Interviewrunden warten. Erstmals führte mich der Weg 2013 hinter die Kulissen der Festspiele. Bis zu diesem Zeitpunkt pflegte das WO! Magazin ein eher kontroverses Verhältnis zu den Festspielen. Wie schon im Gespräch mit Waldemar Herder, muss- te ich bei meiner ersten Begegnung mit der damaligen Pressesprecherin Monika Liegmann erstmal einiges an Kritik anhören.
Dennoch folgten zwei intensive Sommer mit den Nibelungen unter Dieter Wedel, einschließlich Interviews mit dem mittlerweile verstorbenen ehemaligen Intendanten oder dem Schauspieler Erol Sander, der mit seltsam eigenwilligen Antworten dafür sorgte, dass das Gespräch noch einmal geführt werden musste sowie ein denkwürdiger Gesprächstermin mit der damaligen Waffenabteilung des Stücks „Die Nibelungen – Born to die“ am Morgen nach der Festspielpremiere. Bis heute haben die Nibelun- gen-Festspiele nichts von ihrem Reiz verloren, auch wenn mir stets präsent ist, dass dies seinen Preis hat. Ebenso wie die Pressekonferenz im April ein fester Bestandteil des alljährlichen Nibelungenzirkus ist, gehört wohl auch die ewige Diskussion um Kosten und Nutzen der Festspiele zum alljährlichen Ritual einiger Wormser. Zu erklären, warum die Festspiele durchaus wichtig für Worms sind, erweist sich längst als hoffnungslos. Denn auch das gehört zur Erkenntnis meines Berufs: Um gegen eine fest etablierte Meinung zu bestehen, nützen gute Argumente selten etwas.
DIE ÄRA HOFMANN BEGINNT
Ein fester Bestandteil sind natürlich auch die Gespräche rund um die Festspiele, die 2015 mit Nico Hofmann unter neuer Intendanz stattfan- den. Für mich als Filmfan ist das ein Glücksfall. Nico Hofmann galt in den 90er Jahren als großes Regietalent. Mit Filmen wie „Der Sandmann“ und „Solo für Klarinette“ bewies er, dass man auch in Deutschland Genrekino mit Köpfchen machen kann. In den Nuller Jahren verließt er den Regiestuhl und wurde zu einem der führenden europäischen Filmproduzenten. Während ich mit Wedels filmischen Schaffen eher fremdelte, hatte ich zu Hofmanns Werk deutlich mehr Zugang und freute mich dementsprechend auf zukünftige Gespräche und natürlich den frischen Wind bei den Festspielen.
Künstlerisch brachte diesen zunächst Albert Ostermaier, ein spannender Gesprächspartner mit einem profunden Kinowissen, das er nur allzu gerne in Form von Zitaten und Anspielungen in seine drei Stücke einfließen ließ. Natürlich verfügt auch Nico Hofmann über ein nicht minder umfangreiches Wissen. Doch während Ostermaier seine künstlerische Vielfalt bei Interviews schon in großen Worten leben ließ, ist Hofmann trotz des immensen Erfolgs ein erstaunlich bodenständiger Gesprächspartner. Ein immer wiederkehrendes Thema war in den Gesprächen bis heute eine Filmversion der Nibelungen durch ihn als Produzenten.
GAME OF NIBELUNGENLIED
Bereits im ersten Interview 2016 erzählte er davon, sich seit ängerem mit der Idee eines TV-Mehr- teilers in der Tradition von „Game of Thrones“ auseinanderzusetzen. Die Festspiele seien dabei eine gute Möglichkeit zu schauen, was man mit der Geschichte machen könne. In den Folgejahren zeigte sich Hofmann optimis- tisch, alsbald mit den Dreharbeiten starten zu können. Als Grundlage sollte ein Drehbuch dienen, das bereits in den späten 90er Jahren von Bernd Eichinger in Auftrag gegeben wurde. Doch dann kam Corona und wiedermal kam die Pro- duktion ins Stoppen. Der finanzielle Misserfolg des Films „Hagen: Im Tal der Nibelungen“ von Produzentenkollegen Oliver Berben, dürfte für das ehrgeizige Nibelungen Vorhaben von Nico Hofmann eher hinderlich sein. Die Ära Hofmann und die Nibelungen wird jedoch noch bis 2028 weitergehen. Bis dahin steht sowohl er, als auch Dramaturg Thomas Laue in Worms unter Vertrag.
DER HÜNE UND DER KLEINSTADTREDAKTEUR
Das sicherlich spektakulärste und womöglich sympathischste Gespräch hatte ich indes mit dem Bodybuilder und Schauspieler Ralf Moeller. Der spielte zwar nur in einem Filmeinspieler der Nibelungen Inszenierung „Brynhild“ die Rolle des Drachen aka Siegfrieds Schmied, ließ es sich dennoch nicht nehmen, zur Premiere nach Worms zu kommen. Das Interview sollte eigentlich nur zehn Minuten dauern. Daraus wurden 30 Minuten, von denen wir die meiste Zeit über die Probleme des aktuellen Hollywoods sprachen, sodass ich mich immer wieder zwingen musste, zu dem eigentlichen Thema zurückzukommen. Es folgte noch ein Fotoshooting mit dem hünenhaften Freund von Arnold Schwarzenegger, der zwischendurch dann mal meine Schulter als Stütze nutzte und eine Einladung zum Essen durch den überaus gut gelaunten Moeller. Das war dann aber eher nicht passend, da das Team der Festspielleitung über einen Pressemenschen wohl weniger begeistert gewesen wäre. Im Rückblick auf das Stück, gehörte Ralf Moellers Auftritt zu Beginn des Stücks noch zu den dramaturgisch besseren Szenen.
Lesen Sie in den nächsten Jahren mehr „Aus dem Leben eines Kleinstadt-Redakteurs“
Text: Dennis Dirigo, Fotos: Andreas Stumpf