Kunsthandlung Steuer feiert 100. Geburtstag

Foto: Andreas Stumpf
Sie sind eine vom Aussterben bedrohte Spezies, familiengeführte Geschäfte in der Wormser Innenstadt. Eines der letzten ihrer Art ist die Kunsthandlung Steuer. Am 1. April feierte die Familie stolze 100 Jahre Kunsthandlungsgeschichte.
Wir sind stolz darauf, ein so traditionsreiches Unternehmen in unserer Stadt, noch dazu in so zentraler Lage, zu haben“, sprach Bürgermeisterin Stephanie Lohr bei der Jubiläumsfeier vor dem Geschäft in der Kämmererstraße. Die Kunsthandlung schaffe nicht nur einen Raum, in dem sich Kunst entfalten könne, sondern unterstütze mit ihren Dienstleistungen auch Sammler bei der angemessenen Präsentation ihrer Kunst, wusste Lohr zudem zu berichten. Tatsächlich begann die Geschichte der Kunsthandlung 1925 zunächst mit dem Schwerpunkt Bilderrahmen. Am 1. April 1925 eröffnete Georg Steuer, der in Bamberg geboren und nach einer Zwischenstation an der Mosel 1918 endgültig nach Worms zog, in der Gymnasiumstraße 21 ein Bilderrahmungsgeschäft.
Abenteuer Selbständigkeit
Verheiratet und als Vater von zwei Kindern war es inmitten der Hyperinflation der 20er Jahre keine Selbstverständlichkeit, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Zudem war die Konkurrenz groß. Elf weitere Geschäfte boten damals diesen Handwerksservice an. Doch vorerst gab ihm der Erfolg recht und so zog er in ein größeres Ladengeschäft in der Rotkreuzgasse, wo er zugleich das Portfolio um Kunst und religiöse Kunst erweiterte. Die Kunsthandlung Steuer war nun Teil der Wormser Innenstadt. Zunächst profitierte man unfreiwillig von der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933, wie die Familie in ihrer zum 100. Geburtstag veröffentlichten Chronik einräumt. „Alle jüdischen Kunsthandlungen existierten nicht mehr“, schreibt die Familie. Doch dann kam der Krieg. Spätestens mit dem zweimaligen Bombenabwurf auf Worms im Jahre 1945 endete zunächst die Geschichte der Kunsthandlung, denn diese wurde zerstört.
Wiedereröffnung in der Kämmererstraße
Zwei Jahre später konnte man den Betrieb in den Räumen des Bekleidungsgeschäfts Dähler, das heute Geschichte ist, weiterführen. Die Geschäfte liefen gut und die Familie erwarb ein Grundstück in der Kämmererstraße. Bis 1937 befand sich dort ein Herrenbekleidungsge- schäft der jüdischen Familie Sondheimer. Die musste allerdings das Geschäft in der nationalsozialistischen Ära zwangsverkaufen und emigrierteindieUSA.DaaufgrunddieserVergangenheitEntschädigungszahlungen zu leisten waren, musste Georg Steuer für die Finanzierung das 1950 erworbene Grundstück teilen, wodurch das neu entstehende Gebäude etwas schmal ausfiel. Am 11. Juni 1952 eröffnete schließlich die Kunsthandlung Steuer nebst Einrahmungswerkstatt an der heute bekannten Stelle erstmals ihre Pforten. Bis 1955 wurde das Gebäude aufgestockt, sodass auch die Familie dort leben konnte.
Neue Impulse mit Helmut und Matthias Steuer
Rechtzeitig zum 30. Jubiläum kam am 5. April 1955 Helmut Steuer auf die Welt, der 1991 das Geschäft übernahm und mit einer Reihe von Ausstellungen neues Leben in die Kunsthandlung brachte. Den Anfang machte die Ludwigshafener Künstlerin Jutta Votteler, die pünktlich zum 100. Geburtstag erneut in Worms ihre Bilder präsentierte (siehe RÜCKBLICK, Seite 50). Im Laufe der Jahre folgten zahllose Ausstellungen, mal mit, mal ohne die Anwesenheit der Künstler. Zu den wohl pro- minentesten Künstler, die die Räume persönlich beehrten, gehörten Markus Lüpertz, Patrick Preller, Ewen Gur, Michael Ferner und viele mehr.
Auch Wormser Künstlern bietet das familiengeführte Geschäft immer wieder eine Plattform für ihre Kunst, darunter Mo Magic, Richard Schimanski, Klaus Krier oder auch René Buja. Am 1. April übernahm mit Matthias Steuer bereits die vierte Generation die Kunsthandlung. Unterstützung erhält er dabei von seinem Bruder Johan- nes und Vater Helmut, der beim 100. Geburtstag flachsend davon sprach, bereits einen Beratervertrag unterschrieben zu haben. Matthias Steuer verspricht wiederum, die Kunsthandlung mit neuen Impulsen und frischen Ideen in ein neues Jahrhundert zu führen. Begleitet wird dieser Wechsel von einem neuen Firmenauftritt, gestaltet vom befreundeten Künstler Richard Schimanski alias Bollanski.
Text: Dennis Dirigo