AUS DEM LEBEN EINES KLEINSTADTREDAKTEURS TEIL 2: DIE CORONA-JAHRE

Meine erste und einzige Personenkontrolle beim Bersuch einer Vinothek
In meinem persönlichen Blick zurück, erscheinen die zwei Jahre 2020 und 2021, in denen uns Corona und die Folgen täglich begleiteten, wie eine irreale Fantasie, die ich selbst nur aus dem Kino kannte. Meterweise waren die Regale in den Supermärkten leergefegt. Da die Bedürfnisse der Menschen doch sehr ähnlich waren, traf es vor allem Produkte wie Mehl, Nudeln und Toilettenpapier. Schnell witzelte man mit bestem Galgenhumor, dass im Falle eines Falles, Toilettenpapier die neue Währung einer postapokalyptischen Welt sein könnte. Doch was war überhaupt passiert?
Es war der 11. März 2020 als ein Virus, genannt SARS-CoV 2, das Leben in Worms von einem auf den anderen Tag auf den Kopf stellte. Medial mit höchster Aufmerksam- keit versehen, geisterte bereits seit Wochen das Virus, das aus China kam, durch Deutschland. Nun hatte auch Worms seinen Patient Zero. Am 11. März wurde der erste Fall eines Infizierten in Worms bekannt. Dabei handelte es sich um einen 16-jährigen Schüler des Gauß-Gymnasium-Worms, der sich in Südtirol während eines Ski- urlaubs infiziert hatte. Um darüber zu informieren, lud die Stadt Worms am 18. März 2020 eiligst zu einer im Nachhinein äußerst skurrilen Pressekonferenz. Zusammengepfercht im kleinen Ratssaal saßen rund 50 Menschen, Presse und Stadtverwaltung, dicht an dicht, während der Oberbürgermeister über potentielle Übertragungswege in Innenräumen sprach. Noch ohne das Rüstzeug der in den kommenden Monaten folgenden Bekämpfungsverordnung, spielten Abstand und geschlossene Fenster, da es an diesem Tag kalt war, dennoch keine Rolle. Eine Rolle spielte allerdings der Abstand in der Schule. Da der erste Patient ein Schüler in Worms war, wurde nicht lange diskutiert und die Verwaltung beschloss, eine Schule nach der anderen in Windeseile zu schließen.
Noch bevor die Stadt weitere Entscheidungen treffen konnte, folgte allerdings in ganz Deutschland und damit auch in Worms am 22. März der Lockdown Hammer. Schlagartig veränderte sich das Leben von Millionen von Menschen und Deutschlands Städte glichen plötzlich menschenleeren Kulissen postapokalyptischer Endzeitfantasien. Zwar sollte sich ein solcher Komplettlockdown nicht mehr wiederholen, dafür folgten zahlreiche Auflagen und Teillockdowns in den bevorstehenden zwei Jahren. Von beiden Maßnahmen waren insbesondere Dienstleistungsberufe mit Fokus auf Kultur und Gastronomie betroffen. Stießen viele Maßnahmen zunächst noch auf Verständnis, wuchs auch in Worms zunehmend der Unmut. Dabei möchte ich natürlich nicht vergessen zu betonen, dass in dieser Zeit Menschen sowohl mit als auch durch Corona starben und die Mitarbeiter im Klinikum Worms mit Sicherheit ner- venaufreibende Monate erlebten. Gerade letztere Situation wurde immer wieder von Adolf Kessel zu Beginn der damaligen Stadtratssitzungen betont. Doch parallel zu dieser realen Gefahr zeigte sich, dass der Politik symbolisches Handeln immer wieder wichtiger erschien, als zielführende Maßnahmen zu ergreifen. Auch in Worms suchte man lieber nach Maskenmuffeln in der Innenstadt, als sich Gedanken darüber zu machen, wie Senioreneinrichtungen geholfen werden kann. Denn die spielten in Worms immer wieder eine gravierende Rolle bei der Wormser Corona Pandemie.
WEINGENUSS MIT PERSONENKONTROLLE
Zunächst endete aber erstmal der erste Lockdown am 4. Mai. In dieser Zeit wurde der tägliche Inzidenzwert zu meiner alltäglichen Abendlektüre – er wurde zumeist nach 17 Uhr veröffentlicht – denn von der Höhe dieser Zahl sollte in Zukunft viel abhängen. Wer nach dem ersten Lockdown glaubte, dass wir nun wieder zur Normalität zurückkehren könnten, täuschte sich. So musste Worms in diesem Sommer 2020 ohne Nibelungen-Festspiele, Jazz and Joy und Backfischfest auskommen, ebenso litten die geplanten Großveranstaltungen im Luther-Jahr 2021 erheblich unter den Einschränkungen. Wenigstens die Gastronomie durfte unter star- ken Auflagen im Sommer 2020 den Außenbereich wieder öffnen. In Worms endete das kurze Glück schon wieder am 2. November. Kurz zuvor verordnete die Stadt ihren Bürgern bereits eine Maskenpflicht in der Fußgängerzone. Den tieferen Sinn dahinter, vermochte auf meine Nachfrage auch Oberbürgermeister Adolf Kessel nicht zu erkennen. Angesprochen auf den symbolhaften Charakter meinte Kessel: „Auch da kann ich Ih- nen nicht widersprechen. Natürlich ist es nicht so einfach, sich selbst bei einer Begegnung in der Fußgängerzone unter freiem Himmel zu infizieren. Es geht wohl eher darum, die Menschen symbolhaft an unsere angespannte Situation zu erinnern.“ Zwar versuchte er damit zu argumen- tieren, dass die Fußgängerzone an verschiedenen Stellen den gewünschten Sicherheitsabstand nicht gewähre, aber das war in Anbetracht einer nicht gut besuchten Innenstadt ohnehin nicht zu befürchten. Es änderte nichts und fortan durfte man zumindest beim Flanieren einen lässigen Mundschutz tragen. „Nicht ohne Maske“ hieß es auch in der Gastronomie, was wiederum zwangsläufig zur paradoxen Situation führte, die Maske immer wieder abziehen zu müssen. Kontrolliert wurde dies alles unter den strengen Augen der Wormser Polizei, die zu Beginn der neu eingeführten Maskenpflicht in der Fußgängerzone natürlich auch einen Blick in die Vinothek warf. Unterwegs, um mir den innerstädtischen Maskenball anzuschauen, führte mich der Weg auch in die Vinothek, natürlich nur aus rein beruflichen Gründen. Aus mir nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen wurden bei dieser Gelegenheit auch gleich mal die Personalien überprüft. Alles gut überstanden, konnte ich so wieder die Maske abziehen, um natürlich aus rein beruflichen Gründen einen gut gekühlten Roséwein in dieser herbstlich lauen Corona Nacht zu genießen. Für die Gastronomie und Kulturbranche endete der Herbst wiederum nicht gut, denn die ereilte kurz nach der innerstädtischen Maskenpflicht erneut ein Berufsverbot.
KOPFSCHÜTTELNDE MASSNAHMEN VS. GEFÄHRLICHES VIRUS
Das Jahr 2021 war noch nicht alt, das letzte Corona Silvester noch nicht vergessen, als in Worms der mächtige Inzidenzwert stetig zu steigen begann. Längst hatte die Politik eine Art Corona Ampel entwickelt. Je nach Inzidenzwert hatte sich die Bürokratie einen kleinen Werkzeugkas- ten an gesellschaftlichen Scheußlichkeiten einfallen lassen. Eigentlich waren die Cluster zu diesem Zeitpunkt klar erkennbar. So waren die rapid steigenden Zahlen laut Aussagen des Gesundheitsamtes Alzey-Worms und der Stadt Worms vor allem auf Senioreneinrichtungen und beengte Wohnsituationen zurückzuführen. Eine Entwicklung, die teilweise vermeidbar gewesen wäre. So zitierte ich in einem Beitrag in diesem Heft im Februar 2021 die Leiterin einer Senioreneinrichtung, die die Maßnahmen entsprechend kritisierte: „Da die Schnelltests zu diesem Zeitpunkt noch freiwillig waren, wur- den diese von Besuchern kaum wahrgenommen, wodurch ein Schutz der Bewohner und des Personals erschwert wurde.“ Zudem stellte ich eine Anfrage an das Gesundheitsamt Alzey- Worms, da auch in der Innenstadt erhöhte Werte auftraten. Als Nicht-Experte stellte ich mir und schließlich dem Gesundheitsamt die Frage, ob die erhöhten Werte nicht auch im Zusam- menhang mit der sozialen Struktur in der Innenstadt stehen könnten? Auch hier erlebte ich einen Moment, der mich als Bürger, aber auch als Redakteur kopfschüttelnd zurückließ: „Überall dort, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben, besteht natürlich ein erhöhtes Infektionsrisiko. Somit ist eine erhöhte Fall- zahl im Innenstadtbereich keine Überraschung“, erklärte mir die Behörde. Im Grunde gute Argumente, keine Ausgangssperre durchzuführen. Da aber die Inzidenzampel ohnehin keine Ursachenforschung kannte, folgte in Worms schon bald der Doppelhammer in Form einer Ausgangssperre ab 21 Uhr und einer Einschränkung des persönlichen Bewegungsradius auf 15 Kilometer. Ersteres bescherte mir eine denkwürdige Pressekonferenz in der Nacht.

Ein Rundgang während der Ausgangssperre oder die etwas andere Pressekonferenz
UNTERWEGS WÄHREND DER AUSGANGSSPERRE
Am 14. Januar 2021 war in Worms der Inzidenzwert fast bei 300. Der Bekämpfungsverordnung entsprechend, beschloss die Verwaltung erst- mals im Nachkriegs-Worms eine Ausgangssperre. Während die Bürger im benachbarten Baden- Württemberg bereits einige Erfahrungen damit sammeln konnten und die Freiheitseinschrän- kung auf massive Kritik stieß, betrat Worms Neu- land. Um dies gebührend medial zu würdigen, lud die Stadt zu einer Pressekonferenz der etwas anderen Art mit einem abendlichen Treffpunkt vor dem Hauptbahnhof. Dem Ruf der Stadt folg- ten zahlreiche Medienvertreter (SWR, WZ, Mann- heimer Morgen, Rheinpfalz, RNF, RPR etc.), so- dass die Gruppe schon bald auf rund 50 Menschen anwuchs. Filmkameras, Mikrofone, Fotoapparate, Block, Stift sowie die unvermeid- liche Maske waren natürlich auch dabei. Nach begrüßenden Worten des damaligen Dezernenten für Sicherheit und Ordnung, Hans-Joachim Kosubek, und Oberbürgermeister Adolf Kessel, gab es erst mal zu Beginn des Rundgangs eine Verwarnung für einen unglücklichen Passanten, der sich erdreistete, nach 21 Uhr unterwegs zu sein, um beim Burger King seinen Hunger zu stillen. Nach diesem Burger des Schreckens, der den Mann rund 500 Euro Bußgeld laut Katalog gekostet haben könnte, bewegte sich der Tross, begleitet durch Ordnungsbehörde und Polizei, Richtung KW, die menschenleer im Dunkel der kühlen Januarnacht lag. Menschenleer? Nicht ganz. Ein Passant sowie ein Obdachloser, der es sich in ei- ner Nische des ehemaligen C & A Gebäudes gemütlich gemacht hatte, wurden direkt von allen Beteiligten in Beschlag genommen. Ich beobachtete die groteske Szene mit etwas Abstand von außen und empfand es als durchaus fragwürdig, diese Art von Journalismus zu bedienen. Der Rundgang führte uns schließlich noch zu einer Straßensperre der Polizei in der Höhe des Heiligen Sands. Dort wurde natürlich pflichtbewusst kontrolliert, ob jemand einen berechtigten Grund hatte, Worms nach 21 Uhr zu befahren oder womöglich sogar plante, den 15 Kilometer Radius zu verlassen? Dankbar nahmen vor allem die Kameraleute das Szenario zur Kenntnis und filmten fröhlich die ahnungslosen Autofahrer. Für mich war das wiederum der Moment, den Nachhauseweg anzutreten, um mich in die Si- cherheit meiner Wohnung zu begeben. Die Bewegungseinschränkung wurde schließlich am 31. Januar 2021 aufgehoben und kam nicht wieder. Die Ausgangssperre endete wiederum 14 Tage später. Allerdings war es nicht das letzte Mal, dass Politik und Behörde sich dieses Instruments bedienten, auch wenn wir Wormser beim nächsten Mal immerhin erst um 22 Uhr ins Körb- chen mussten. Im Frühjahr 2022 wurden schließ- lich alle Maßnahmen eingestellt und die Pandemie galt als beendet. Was für mich zurückbleibt, ist bis heute ein zwiespältiges Gefühl und natür- lich hoffe ich, dass es das einzige Mal in meiner WO! Laufbahn war, Zeuge einer solchen Pandemie gewesen zu sein.
Text und Fotos: Dennis Dirigo