WO! im Gespräch mit Mina Salehpou (Regisseurin „See aus Asche: Das Lied der Nibelungen“)

Mina Salehpour Foto: Andreas Stumpf
Bühnenbearbeitung berühmter literarischer Vorlagen sind die Spezialität der Regisseurin Mina Salehpour. Egal ob John Steinbecks „Früchte des Zorns“, Jonathan Safran Foer „Alles ist erleuchtet“ oder Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, stets findet sie den richtigen Ton und avancierte so zu einer der gefragtesten deutschsprachigen Regisseurinnen. Ihre Karriere gleicht dabei selbst einem Märchen. 1985 im Iran geboren, litt die Familie unter der ideologischen Enge des Mullah Regimes. 1994 gelang es schließlich der Familie nach Deutschland zu flüchten. Salehpour erlernte die Sprache, ging aufs Gymnasium und machte schließlich 2004 das Abitur. Nach dem Abitur schnupperte Mina Salehpour bei einem Praktikum zum ersten Mal Theaterluft hinter den Kulissen. Sie fing Feuer und es folgten Lehrjahre am Schauspiel Frankfurt. Seitdem ist das Theater ihre Welt und das im wahrsten Sinne des Wortes, führt sie doch ihre Arbeit immer wieder in das europäische Ausland, so zuletzt nach Norwegen. In Worms inszeniert sie zum ersten Mal außerhalt eines geschlossenen Theaterraums. Mit den Nibelungen widmet sie sich erneut einem literarischen Stoff, der zudem ihren eigenen Interessen entgegenkommt. So erklärte sie gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass sie eine Vorliebe für phantastische Stoffe habe. «Realismus interessiert mich nicht auf der Bühne», betonte sie in dem Gespräch. Das Theater sollte zwar politisch sein, sich aber nichts aneignen und nicht persönliches Leid auf die Bühne zerren. WO! sprach mit der Regisseurin über das Leid der Nibelungen und wie man daraus trotzdem einen großartigen Theaterabend machen kann.
WO! Wie kam es dazu, dass Sie die Regie zu „See aus Asche“ übernahmen?
Mina Salehpour: Thomas Laue hat mich 2022 bei einer Premiere in Köln angesprochen, ob ich Interesse hätte bei den Festspeilen eine Regie zu übernehmen. Wir haben uns dann bei weiteren Gesprächen darüber ausgetauscht und mein Team und ich haben zugesagt.
WO! Haben Sie sich erst nach Lesen des Stücks entschieden oder waren Sie in die Entwicklung des Stücks involviert?
Mina Salehpour: Genau, ich war von Anfang an in die Entscheidungen involviert. Schließlich kauft man ja nicht die Katze im Sack (lacht). Allerdings muss ich auch einräumen, dass ich am Anfang nicht wusste, welches Stück am Ende rauskommt.
WO! Was fasziniert Sie an diesem eher düsteren Stoff der Nibelungensage bzw. am Nibelungenlied?
Mina Salehpour: Wenn Sie meine Arbeit betrachten, gehören die Nibelungen eher noch zu den erfreulicheren Geschichten. Mit José Saramagos „Stadt der Blinden“, John Steinbecks „Früchte des Zorns“ oder auch von Ágota Kristóf „Das große Heft“ habe ich bereits sehr düstere Sachen aufgeführt. Aber natürlich haben, sage ich mal, die Nibelungen diesen seltsamen apokalyptischen Touch, mit dem Weltuntergang, der immer passiert. Andererseits haben die Nibelungen für mich noch was Märchenhaftes, Tröstendes, etwas Verrücktes, Entrücktes. Und das finde ich das Reizvolle und Schöne. Wenn ich diese Geschichte wiederum mit den vorangegangenen Büchern vergleiche, bilden diese eins zu eins die grausame Realität ab. Vor allem, weil sich gerade aktuell vieles davon wiederholt.
WO! Wie versuchen Sie, diese märchenhafte Aura zu inszenieren?
Mina Salehpour: Wichtig ist dabei das Bühnenbild. Für mich ist es immer uninteressant, wenn sich auf der Bühne Dinge einfach verdoppeln oder verdreifachen. Dinge müssen sich ergänzen. Gut ist, wenn man das eine sieht und das andere hört. Zum Bühnenbild gehören unter anderem die zuvor bei der Pressekonferenz gezeigten Kiesberge, natürlich ohne die Kräne, die auf den Fotos zu sehen waren. Und schließlich ist da noch der See, der in der Mitte der Bühne ist und mit unterschiedlichen Farben ausgeleuchtet wird. Dort werden Menschen auftauchen, aber auch wieder verschwinden. Ebenso wird dort der Drache getötet. Auch die Kieslandschaft wird unterschiedlich beleuchtet. Ich stelle mir jetzt schon vor, dass das ein Knaller sein wird, wenn das Wasser schwarz leuchtet und die Kiesberge entstehen. Das stelle ich mir einfach märchenhaft vor. Zugleich macht das alles eine archaische, eine sehr natürliche, ich will fast sagen, wunderschöne Landschaft, die die Natur abbildet.
WO! In den vergangenen Jahren waren die Stücke der Nibelungen-Festspiele immer mit aktuellen Bezügen zu den Krisen dieser Welt aufgeladen. Liegt also Ihr Schwerpunkt eher im Naturalistischen, Märchenhaften oder spielt die Gewalt auch wieder eine dominante Rolle?
Mina Salehpour: Das kann man natürlich nicht umschiffen. Und natürlich hat auch dieses Stück eine gewisse Aktualität, wenn man abseits der Gewalt des Schwertes auch die Gewalt der Worte bedenkt. Wenn wir täglich die Nachrichten lesen, sind wir damit konfrontiert, wie ein einzelner Mensch oder einzelne Individuen sich nehmen, was ihnen nicht gehört oder zumindest behaupten, dass sie sich das nehmen werden.
WO! Sie spielen dabei auch auf die Gewalt gegen Frauen an…
Mina Salehpour: Absolut. In den letzten Jahren war es etwas Selbstverständliches, auch das Feministische zu betonten, wie beispielsweise es meine Kollegin Pinar Karabulut in „Brynhild“ tat. Das war eigentlich schon ganz selbstverständlich. Doch plötzlich ist alles wieder anders und das Feministische wird von Weltmächten und Konzernen wieder in den Hintergrund gedrängt oder man will es sogar wieder abschaffen. Allerdings glaube ich, dass das nicht gelingen wird. Wenn ein Gedanke erstmal ausgesprochen ist, so ist es doch recht schwer, diesen wieder auszuradieren.
WO! Wobei Karabuluts Inszenierung, die viel Wert auf Diversität und feministische Perspektiven legte, durchaus polarisierte.
Mina Salehpour: Ich denke, das ist das Besondere an den Nibelungen-Festspielen, dass viele Regie-Handschriften erkennbar sind. Das ist eigentlich das, was Worms auszeichnet. Ein reich gedeckter Kulturtisch mit verschiedenen Handschriften. Das findet man sonst wirklich nirgendwo.
WO! Sie sagten einmal in einem Interview, dass Ihnen das Visuelle näher liege als eine dialoglastige Inszenierung. Insofern dürfte Ihnen Schimmelpfennigs Lust an kraftvollen Beschreibungen entgegenkommen?
Mina Salehpour: Also ich arbeite ja das erste Mal mit einem Text von Roland Schimmelpfennig. Er mutet tatsächlich sehr visuell an und ist sehr rhythmisch geschrieben. Eher wie ein Konzert. Allerdings hatte der damalige Satz sehr spezifisch mit dem damaligen Stück zu tun. Natürlich interessiert mich ein dramatischer Dialog auf der Bühne. Da geht es mitunter um die Konflikte der Menschen. Da menschelt es, da fliegen die Fetzen. Letztlich ist es die Abwechslung das Schöne.
WO! Wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Gespräch wurde geführt von: Dennis Dirigo
Die diesjährigen Nibelungen-Festspiele finden vom 11. bis 27. Juli statt.