Eine Pressemitteilung der AWO-Worms:
Das Bürgergeld ist eine wichtige Leistung zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums für Bedürftige in Deutschland. Die öffentliche Diskussion um mögliche Kürzungen beim Bürgergeld stößt beim Kreisvorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt Worms e.V., Hans Herbert Rolvien, auf scharfe Kritik.
Denn seit der Erhöhung des Bürgergeldes erleben wir einen hochgradig populistischen Diskurs, in dem einige in Politik und Medien ein Bild suggerieren, in dem Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher Sozialleistungen missbrauchen. Sie schüren bewusst eine perfide und falsche Neiddebatte, die letztlich nur Verlierer kennt und nur Populisten und undemokratischen Parteien hilft.
Auch die Forderung, denjenigen, die jedes Arbeitsangebot ablehnen, die Regelleistung bis auf die Miete für bis zu zwei Monate komplett zu streichen, bedeutet nichts anderes, als diese Menschen als Sanktion hungern zu lassen. Das ist weder mit der Menschenwürde noch mit dem Grundgedanken des Bürgergeldes vereinbar. Dieses Menschenbild der Kritikerinnen und Kritiker ist deprimierend, weil es suggeriert, dass Menschen eher faul sind und nur die Sprache der Sanktionen verstehen.
Für uns ist die Erhöhung des Bürgergeldes um zwölf Prozent mehr als gerechtfertigt, da diese Erhöhung für die Betroffenen nicht einmal die Inflation ausgleicht.
Hans Herbert Rolvien und sein Stellvertreter Florian Helfert haben einfach die jährlichen Inflationsraten von 2005 bis 2023 zusammengezählt und kommen auf eine Inflationsrate von 2005 bis 2023 von rund 43 Prozent. Das bedeutet, dass die Preise in diesem Zeitraum insgesamt um rund 43% gestiegen sind.
An der Kasse im Supermarkt, beim Bäcker oder an der Tankstelle zeigt sich aber bekanntlich immer wieder, dass die gefühlte Inflation höher ist als die offizielle.
„Neben der gefühlten Inflation ist aber auch zu berücksichtigen“, so die beiden, „dass der Regelsatz von Hartz IV bereits bei seiner Einführung von Armuts- und Sozialforschern als zu niedrig angesehen wurde“. Deshalb, so Rolvien, gebe es verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Möglichkeit, das Bürgergeld zu kürzen. Die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherung des Existenzminimums müssten eingehalten werden.
Rolvien warnt: „Der Ruf nach Kürzungen beim Bürgergeld ist ein Frontalangriff auf den Sozialstaat.“ Er kritisiert das verbreitete Bild, dass Bürgergeldempfänger mehr Geld bekämen als Arbeitnehmer. Das sei eine sehr zynische Rechnung: Die Hilfeempfänger sollen arm bleiben, damit sich die Armen nicht so arm fühlen – und auch fleißig zum Mindestlohn weiterarbeiten. Dieses Bild sei „Stammtischpopulismus“ in Reinkultur.
Löhne in Deutschland zu niedrig
„Der eigentliche Skandal ist eben nicht ein zu hohes Bürgergeld, sondern zu niedrige Löhne“, ärgert sich Rolvien. Folgerichtig fordert er einen höheren Mindestlohn, aber auch ein auf 813 Euro erhöhtes Bürgergeld. Die Ampelkoalition habe ihr Projekt „Bürgergeld“ auf den parlamentarischen Weg gebracht. „Seitdem fahren Wirtschaftslobbyisten, das marktradikale Regierungslager und die rechte Opposition rhetorisch schwere Geschütze gegen die Armen auf. Ihre Politik ist geprägt von Sparappellen, Arbeitszwang und der Aufforderung an die Betroffenen, den Gürtel enger zu schnallen“, wettert Rolvien.
Kaum Totalverweigerer
Widmet wir uns wieder Zahlen und Fakten zum „Missbrauch des Sozialstaates“, einem Lieblingsthema der Populisten. Im Jahr 2022 lebten in Deutschland mehr als 14 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. „Dennoch erhielten 2023 nur rund 5,3 Millionen Menschen Grundsicherung“, so Rolvien.
Die Zahl der Totalverweigerer wurde nach seinen Angaben zuletzt auf „einige Tausend“ geschätzt. Im September 2023 waren nur 23.317 von knapp vier Millionen Personen von Leistungskürzungen betroffen. Von diesen Sanktionierten waren nur 1.746 Personen oder gerundet 0,045 Prozent als sogenannte Totalverweigerer einzustufen.
– Millionäre betrügen mehr, werden aber seltener kontrolliert
Völlig unbekannt ist eine weitere Tatsache: Im Gegensatz zu den Einkommensmillionären werden Bezieher des Bürgergeldes überdurchschnittlich häufig kontrolliert.
Mehr als 36 Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im SGB II (1,4 Millionen) wurden durch den automatisierten Datenabgleich verdachtsabhängig überprüft. Nur bei gut elf Prozent wurden Verdachtsfälle festgestellt. Tatsächliche Ermittlungsverfahren wurden allerdings nur in rund 0,65 Prozent der Fälle eingeleitet.
„Dagegen werden nur sechs Prozent der Einkommensmillionäre überprüft, bei 75 Prozent können dann aber Steuerhinterziehungen in größerem oder kleinerem Umfang festgestellt werden“, wünscht sich Rolvien eine klügere Aufmerksamkeit des Staates rund um die Steuerprüfung. Wo bleibt hier die Empörung?
Unsere tägliche Beratungspraxis zeigt aber, dass Sanktionen vor allem Menschen mit besonderen Problemen hart treffen. Zum Beispiel Menschen mit fehlender Qualifikation oder unzureichender Kinderbetreuung, Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen“, die wirksame Unterstützung brauchen, um sich wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Statt sie zu stigmatisieren und zu Sündenböcken zu machen, sollte aus Sicht des Wohlfahrtsverbandes solidarisch gehandelt und gemeinsam nach Lösungen gesucht werden, um ihnen zu helfen.
Und wissenschaftliche Studien belegen, dass weder das Bürgergeld in seiner jetzigen Form noch die erhöhten Bürgergeldsätze ab Januar 2024 substanzielle Fehlanreize zur Arbeitsaufnahme setzen. Jeder erhält ein höheres Einkommen, wenn er arbeitet, als wenn er nicht arbeitet und vom Bürgergeld leben müsste.
Sachlichkeit, Verantwortung und Klarheit sind in der Sozialpolitik dringend erforderlich, deshalb müssen wir mehr und nicht weniger fördern, um diesen Menschen eine rasche Rückkehr in eine sinnstiftende Arbeit zu ermöglichen. Denn Investitionen in Menschen sind die besten Investitionen, die ein Staat tätigen kann.
„Die ständigen Debatten über Sanktionen gehen an der Realität vorbei“, ärgert sich Rolvien.