WO! im Gespräch mit Oberbürgermeister Adolf Kessel
Die Lage ist ernst! Die Kommunalwahl am 9. Juni hat den Stadtrat in Worms ordentlich durcheinandergewirbelt. Ein „Weiter so!“ ist nicht mehr möglich, da die beiden großen Fraktionen CDU und SPD zusammen keine Mehrheit mehr besitzen und sich zukünftig für Abstimmungen Partner suchen müssen. Doch die Auswahl ist eingeschränkt. Da eine Zusammenarbeit mit der AfD (8 Sitze) aus- geschlossen wird, bleiben, um eine stabile Mehrheit zu erreichen, nur noch Worms will weiter (8 Sitze) und Bündnis90/Die Grünen (4 Sitze). Ebenso wäre auch die Zustimmung durch die FDP und die Freie Liste (jeweils 2 Sitze) möglich. Zuletzt beschloss dann AfD Mitglied Toni Ras, gemeinsam mit seiner Frau eine eigene Fraktion zu gründen, nämlich „Zukunft für Worms“. Aber auch hier wird eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. Als würden diese Aussichten nicht schon genug Unruhe versprechen, sind die Aussichten auf den städtischen Haushalt mehr als düster. Auch wenn es bisher nur eine Schätzung ist, so ist das im Moment prognostizierte Defizit in Höhe von knapp 75 Millionen Euro besorgniserregend. Besorgniserregend deshalb, weil nach wie vor der Grundsatz gilt, dass der kommunale Haushalt ausgeglichen vorzulegen ist. Sollte dies nicht geschehen, droht Worms bis zur Genehmigung Stillstand. Zu beobachten war das bereits in den vergangenen Jahren, wenn in den ersten Monaten auf den städtischen Baustellen die Bagger stillstanden. In der ersten Stadtratssitzung nach der Sommerpause berichtete Kessel, dass bei ersten Gesprächen mit der ADD diese deutlich gemacht habe, dass sie „größtmögliche Kraftanstrengungen“ erwarte, um dieses Ziel zu erreichen. Wie das erreicht werden soll, ist im Moment unklar. Für 2024 hat sich übrigens die Haushaltsprognose zum nahenden Jahresabschluss auch nochmal verschlechtert, nämlich von 34,2 auf voraussichtlich 39,9 Millionen Euro. Zeit genug, um mit Oberbürger- meister Adolf Kessel über diese Entwicklungen zu reden.
WO! Wie schätzen Sie als Oberbürgermeister der Stadt Worms die aktuelle Stimmungslage ein?
Wir haben jetzt gerade die zweite Stadtratssitzung gehabt von unserem Stadtrat. Und da zeigt sich, dass es zukünftig schwierig wird, Mehrheiten zu fassen. Die AFD ist deutlich gestärkt, eben- so wie WWW, die Grünen haben sich halbiert und die SPD und die CDU haben jeweils zwei Sitze verloren.
WO! Aber das hat jetzt erst mal nichts mit der Stimmungslage zu tun…
Worauf ich hinaus möchte, ist, dass das Ergebnis der Kommunalwahl durchaus die Stimmung in Worms spiegelt. Und da spielt beispielsweise auch die Bevölkerungsstruktur eine Rolle. Wir haben jetzt die Zahlen von der Volkszählung, wie sich die Stadtgesellschaft zusammensetzt. So leben mittlerweile fast 42% Menschen mit Migrationshintergrund hier. Wobei Migrationshintergrund heißt, wenn eines der Eltern im Ausland geboren ist, haben wir einen Migrationshintergrund. Der reine Ausländeranteil, also Menschen mit einer anderen Staatsbürgerschaft, liegt bei 20 Prozent. Ich denke, was die Stimmung zusätzlich beeinflusst hat, waren die Vorfälle in Worms mit dem Mann in der Bahnhofsstraße und vor allem in Mannheim, wo der Polizeikollege, und das sage ich bewusst Polizeikollege, erstochen worden ist. Und jetzt ist da noch der Vorfall in Solingen, wo wahllos Menschen erstochen wurden. Ich denke, die Stimmungslage ist unmittelbar mit einem fehlenden Sicherheitsgefühl verbunden. Es ist das Gefühl, dass man sich unsicher fühlt, dass man Angst hat, Opfer von Gewalt zu werden. Die Menschen suchen nach Lösungen und sie glauben, die bei der AfD zu finden. In Worms führte das dazu, dass die AfD gewaltig zugelegt hat.
WO! Das heißt, Sie würden das Erstarken der AfD ausschließlich auf das fehlende Sicherheitsgefühl beziehen?
Sicherheitsgefühl, aber auch darüber hinaus. So spielt natürlich auch die wirtschaftliche Situation eine Rolle. Die ist verbunden mit sozialen Abstiegsängsten und der Angst, seine Arbeit zu verlieren. Wir wissen, dass in Worms die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch ist wie im Landkreis.
WO! Aktuell liegt diese bei 8,3 Prozent!
Und das heißt, doppelt so viel wie im Landkreis. In vielen Punkten weist unsere Stadt auch Ähnlichkeiten mit Ludwigshafen auf. So ist die Bevölkerungsstruktur sehr vergleichbar, was mich dann auch zu den ähnlich vorhandenen Bildungsproblematiken führt. Ein großes Thema ist die Sprache. Es ist natürlich ein Problem, wenn Kinder bereits in der Grundschule nicht versetzt werden, weil sie nicht gut genug Deutsch können. Auch da muss man einen Blick drauf legen, da das Auswirkungen auf die Entwicklung einer Stadt hat. In Worms haben wir derzeit Grundschulen, wo der Migrationsanteil über 90 Prozent liegt.
WO! Was glauben Sie, was aus der Sicht der Wormser Bürger die drängendsten Probleme sind?
Abgeleitet von meinen Bürgersprechstunden und der Anliegerverwaltung sind es Wohnungs- suche, die Suche nach Kita Plätzen, aber auch Sicherheit und Ordnung.
WO! Bleiben wir bei der Wohnungssuche. Direkten Einfluss hat die Stadt letztlich nur bei der Wohnungsbau GmbH, die nach wie vor mit dem Fischmarkt ausgelastet ist. Wie kann es dort weitergehen?
Da zeichnen sich sicherlich noch Schwierigkeiten ab, allerdings weniger durch den Fisch- markt. Dass die Zinsen wieder steigen, und das gilt auch für den privaten Wohnungsbau, hat dazu geführt, dass viele bereits geplante Projekte zurückgestellt werden, weil die Finanzierung nicht mehr stimmt. Das hätte wiederum hohe Mieten zur Folge. Grundsätzlich gibt es schon private Interessenten. Aktuell sind wir daran, dass das seit Jahren geplante Projekt Gleisdreieck in Rheindürkheim, an dem auch die EWR AG beteiligt ist, umgesetzt werden kann.
WO! Das sind nicht wirklich gute Perspektiven, zumal bei dem großen Hoffnungsträger Ehret und Klein ebenfalls nicht viel passiert. Könnte man für Worms sagen, dass die Stimmungslage letztlich nicht wirklich gut ist?
Die Stimmungslage ist nicht wirklich gut, aber jetzt muss ich wieder an ein Video der Wormser CDU im Wahlkampf denken. Darin wird die Widersprüchlichkeit gezeigt. Einerseits wird gerne über Worms gemeckert, andererseits ist da dann doch ein gewisser Stolz bei vielen Bürgern vorhanden.
WO! Ist also die reale Situation besser als die Wahrnehmung?
Ja, nehmen wir beispielsweise den Arbeitsmarkt. Einerseits ist die Arbeitslosigkeit hoch, andererseits gibt es aktuell viele unbesetzte Stellen. Im Grunde könnte die Quote also besser sein.
WO! Womit wir wieder bei der Bildungsproblematik in Worms landen…
Ja, das ist ein Bildungsdefizit, was aufzuholen ist und da ist es wichtig, dass wir schon früh anfangen mit der Bildung.
WO! Da rächt es sich allerdings wieder, dass wir in Rheinland-Pfalz immer noch den letzten Platz in Sachen Kita-Plätze belegen.
Aber da tut sich was in der nächsten Zeit und in den nächsten Jahren. Wir sind dabei, drei bzw. vier neue Kitas zu bauen und noch weitere sind in Planung, damit wir da aufholen. Demnächst werden die Kita im BIZ und der Neubau in Rheindürkheim eröffnet. Wobei der Kita-Bau das eine ist, aber wir brauchen auch die Erzieherinnen und Erzieher, um die Kita dann später zum Laufen zu bringen.
WO! Und das ist sicherlich ein Problem, da ausgebildete Erzieher derzeit begehrt sind.
Nicht nur das. Es ist natürlich schwierig, dass wir aufgrund der Haushaltslage Personal abbauen müssen, obwohl wir eben in manchen Bereichen Personal aufbauen müssen.
WO! Das ist ja nicht das einzige Problem. Aktuell ziehen sich die kirchlichen Träger zunehmend aus der Finanzierung zurück. Das bedeutet wiederum zusätzliche Ausgaben für die Stadt…
Das ist richtig. Sowohl die evangelische als auch die katholische, also beide christlichen Kirchen, haben sich von der Struktur her neu aufgestellt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Anzahl der Mitglieder drastisch abgenommen hat, gerade im Innenstadtbereich. Mit beiden wurde eine Vereinbarung bis zum Jahres- ende 2024 getroffen, dass die Kommune 102,5% der Personalkosten übernimmt. Uns ist aber wichtig, dass eine Trägervielfalt erhalten bleibt. Dazu gehören auch die Sozialverbände. Wenn wir die Kitas selbst organisieren müssten, könnten wir das auch nicht günstiger tun.
WO! Schlägt man als Oberbürgermeister, gerade im Hinblick auf die Finanzen, manchmal die Hände über den Kopf zusammen und sagt: Jetzt auch noch das?
Ja, das ist auch innerhalb der Verwaltung manchmal schwierig zu vermitteln. Einerseits entdeckt man Sparpotential für 10.000 Euro, andererseits meldet gleichzeitig ein anderer Bereich Mehrausgaben an.
WO! Was heißt das konkret für den Haushalt 2025?
Wir haben jetzt die ersten Zahlen für den Haus- halt 2025 und da liegen wir bei einem Defizit von 74 Millionen Euro. Also 74 Millionen, die wir mehr ausgeben, als wir einnehmen. Und das kommt hauptsächlich aus dem sozialen Be- reich. Auf der anderen Seite sind die Einnahmen zurückgegangen, wobei sich zumindest die Gewerbesteuer stabilisiert hat. Da fiel zuletzt die Schätzung für das kommende Jahr 5 bis 6 Millionen höher aus. Ein Problem ist aus- gerechnet die Grundsteuer B, die wir im vergangenen Jahr erhöht haben. Dort haben wir erstaunlicherweise ein Defizit von knapp 1,5 Millionen Euro.
WO! Bei der Grundsteuer ein Defizit, trotz Erhöhung?
Hier hat sich leider die Grundsteuerreform negativ ausgewirkt, da Gewerbegrundstücke nicht mehr so hoch besteuert werden wie die Wohngrundstücke. Um dieses Defizit auszugleichen, müssten wir von 633 Punkte auf 825 Punkte hochgehen.
WO! Also wenn ich das dann richtig verstanden habe, heißt das, dass sich beispielsweise der Flächenverbrauch der Logistiker negativ auf den Haushalt auswirkt?
Ja, da gibt es durchaus einen Zusammenhang. Aber das ist ja ein Problem, welches im ganzen Bundesgebiet auftritt. Einige Bundesländer haben das Problem erkannt, dass es da zu einer Schieflage kommt und haben entsprechend versucht auszugleichen. Rheinland-Pfalz leider nicht.
WO! Auf den Punkt gebracht. Ist mit weiteren Steuererhöhungen zu rechnen?
Ich gehe fest davon aus, aber mir wurde auch schon entsprechend gesagt, dass ich im Stadtrat niemand mehr finden werde, der der Erhöhung der Grundsteuer dieses Mal zustimmt.
WO! Auch nicht, wenn die ADD wieder persönlich im Ratssaal erscheint?
Das ist die große Frage. Klar muss uns sein, dass wir dann mit einem nicht genehmigten Haushalt klarkommen müssen. Das heißt zum Beispiel, dass keine der sogenannten freiwilligen Leistungen getätigt werden kann. Es wird gravierende Änderungen geben. Zugleich werde ich auch jedes Mal, wenn eine gravierende Entscheidung getroffen werden muss, die aufgrund der mangelnden Haushaltslage so getroffen werden muss, entsprechend das auch in Richtung Aufsichtsdirektion und in Richtung Landesregierung weitergeben.
WO! Gleichzeitig müssen wir aber auch über Ausgaben reden und da stehen bei den Bürgern natürlich auch die Nibelungen-Fest- spiele im Fokus, die derzeit mit 1,8 Millionen Euro im Haushalt festgelegt sind…
….Aber diese Frage und weitere, liebe Leserinnen und Leser, werden wir im zweiten Teil des Gesprächs mit Oberbürgermeister Adolf Kessel in unserer WO! November-Ausgabe erörtern.
Das Gespräch wurde geführt von: Dennis Dirigo
Archivfoto: Andreas Stumpf / WO!