Nachdem wir im ersten Teil über die zurückliegenden ersten vier Jahre des Oberbürgermeisters Adolf Kessel sprachen, geht es nun um einen Blick nach vorne. Die Zeiten sind nicht einfach. Längst hat das Land der Stadt finanzielle Daumenschrauben angelegt, so dass diese in ihren Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Was das bedeutet, diskutierten wir bereits im ersten Teil mit Blick auf das Paternusbad in Pfeddersheim. Insofern stellt sich die Frage, wie es mit Worms weitergeht. Adolf Kessel ist klar, dass es zukünftig nicht einfach wird. Eine weitere Herausforderung ist aber auch der Umgang mit dem „Mittelhahntal“ und dem Konflikt Umwelt vs. Wachstum. Was genau Adolf Kessel dazu denkt, können Sie nachfolgend lesen.

WO! Der Oberbürgermeister verfügt über eine Richtlinienkompetenz. Welche Themen sind für die nächsten Jahre für Sie besonders bedeutsam, außer den angesprochenen Haushaltsproblemen?

Ein wichtiges Thema ist für mich persönlich die Integration. Bereits jetzt gibt es in Worms Grundschulen, in denen der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei rund 100 Prozent liegt. An der Ernst-Ludwig-Schule liegt beispielsweise der Anteil bei 90 Prozent. Sowohl beim letzten als auch beim aktuell gewählten Jugendparlament hat mehr als die Hälfte der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Ich denke, so wird auch der Stadtrat in 10 bis 15 Jahren aussehen. Zudem wirkt sich der große Flüchtlingszuzug aus dem Jahre 2015 immer noch auf die Stadt aus. Hierbei ist es tragisch, dass manche Menschen – trotz zwischenzeitlicher Anerkennung aufgrund der Wohnungssituation – immer noch in Flüchtlingsunterkünften leben müssen. Das ist wiederum eine Herausforderung für die Stadt, da der aktuelle Zuzug sogar stärker ist als 2015. Hierfür haben wir für drei Millionen Euro neue Container angeschafft, die auf dem Motorpool Gelände aufgestellt werden.

WO! Die aber wieder refinanziert werden?

Ja, aber nicht komplett. Wir bekommen Bundeszuschüsse, die vom Land weitergeleitet werden, sowie Beiträge durch den Landesfinanzausgleich. Im letzten Jahr hatten wir ein Defizit von 300.000 Euro. In diesem Jahr dürfte es durch die Container etwas höher liegen.

WO! Gibt es weitere Themen, die Ihnen für die nächsten vier Jahre am Herzen liegen?

Zentrales Anliegen ist mir natürlich die Weiterentwicklung der Stadt. Wir müssen dabei achtgeben, dass wir nicht nur auf die Kostenseite schauen, die Stadt in eine Abwärtsspirale gerät und die Menschen sagen, in Worms läuft gar nichts mehr, da muss ich nicht hin. Dann wäre all das weg, was wir uns in den letzten Jahren aufgebaut haben.

WO! Auch die Attraktivität von Worms als Wohnstadt?

Ja, mit der Lage in der Metropolregion Rhein- Neckar/Rhein-Main sind wir aufgrund der Preise entsprechend attraktiv. Und natürlich wollen wir gerne im Rhein-Neckar-Delta Menschen nach Worms locken, die hier leben möchten und ihre Einkommenssteuer hier zahlen. Das hilft uns schließlich bei der Einnahmenseite. Mir ist aber klar, dass es nicht einfach sein wird, die Ausgaben zu senken und die Stadt zugleich weiterzuentwickeln.

WO! Eine Gesellschaft ist oft geprägt von Widersprüchen. Ein solcher ist durchaus die Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Wachstum und Klima-/Umweltschutz. Aktuell zeigt sich dies im Mittelhahntal. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Nach dem Scheitern des Gewerbegebiets „Hoher Stein“ begann die Suche nach neuen Flächen. Dafür wurde ein Gutachter beauftragt, der sich die gesamten klimatischen Verhältnisse in der Stadt Worms anschaute und anhand dieser vorschlagen sollte, wo noch Flächen ausgewiesen werden könnten. Dabei wurde u.a. auch eine Fläche zwischen Herrnsheim und Abenheim vorgeschlagen. Bei der Diskussion im Stadtrat kam schließlich die Idee, sich das Mittelhahntal näher anzuschauen. Wir haben dann letzte Woche mit dem Gutachter gesprochen. Da das Mittelhahntal im Flächennutzungsplan als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen ist, wurde es damals für gesuchte Flächen gar nicht in Betracht gezogen. Damals wurden für die potentiellen Flächen Steckbriefe unter Berücksichtigung verschiedener ökologischer Aspekte erstellt. Diesen gibt es für das Mittelhahntal nicht. In den nächsten Tagen soll dieser nun erstellt werden und anschließend möchte ich mit allen Verantwortlichen ins Gespräch gehen. Wenn der Steckbrief besagt, dass dieser Ort nicht in Frage kommt, ist mir wichtig, dass wir gleichzeitig beschließen, welche Alternative kommen muss. Das heißt, es muss dann auch die oben angesprochene Fläche nochmals geprüft werden.

WO! Ist die Versiegelung von Flächen der einzige Weg, für Wachstum zu sorgen?

Die Frage ist, wie groß die Versiegelung ist. Wir wollen auf jeden Fall keine weiteren Logistikhallen mehr bauen oder großflächige Versiegelungen. Wir wollen ein Gewerbegebiet, wo sich verschiedene Dienstleistungen niederlassen und Bürogebäude entstehen können. Und das lässt sich ja auch über den Bebauungsplan festmachen. Was wir gemacht haben, um auch kleineren Start-ups Perspektiven zu bieten, ist die Gründung des Digital Hub. Wichtig ist hierbei, dass wir Absolventen der Wormser Hochschule etwas anbieten wollen, um sie hier zu halten. Der Digital Hub ist ein Teil davon. Deswegen brauchen wir aber auch dringend ein Gewerbe- gebiet. Auf der anderen Seite möchte ich auch darauf verweisen, dass immer wieder Flächen entsiegelt werden. So hatten wir letzte Woche die Einweihung einer vormals betonierten Fläche am Liebermannring in Neuhausen, der zukünftig als Gartenfläche genutzt wird. Im Zuge des SchUM-Besucherzentrums am Neumarkt soll auch dieser entsiegelt werden.

WO! Das heißt, der Parkplatz entfällt?

Ja, der entfällt. Gerade in der Innenfläche brauchen wir Entsiegelung. Die Grünen Zimmer werden da nicht so viel bringen.

WO! Ein wichtiger Aspekt ist auch die klimafreundliche Erzeugung von Strom. Rheinhessen ist wiederum sonnenverwöhnt und dennoch wird in Worms Photovoltaik nur unzureichend genutzt. Gibt es von Seiten der Stadt Versuche, dies zu ändern?

Als eines der wärmsten und sonnintensivsten Gebiete bietet sich das an. Wir machen uns auch aktuell Gedanken über Photovoltaik Flächen. Es gab ja den Versuch, entlang der A61 einen Solarpark zu errichten. Allerdings ist die benötigte Fläche in privaten Händen, die wiederum eine Versiegelung der Fläche ablehnten. Da hätten wir natürlich auch eine Art Flächenversiegelung gehabt, auch wenn wir diese nach 20 Jahren wieder hätten rückgängig machen können. Was wir jetzt in Kooperation mit dem EWR machen, ist, die vielen Gewerbehallenflächen, die wir haben, mit Photovoltaik zu bestücken.

WO! Es zeigt sich in der Realität wiederum, dass auch das auf Schwierigkeiten stößt, wie bei der Errichtung der Halle im Industriegebiet Nord N96, wo bereits der Eigentümer erklärte, dass seine Halle ungeeignet wäre.

Ja, das ist richtig. Aber gerade mit diesen Eigentümern, die noch weitere Hallen besitzen, sind wir in Verhandlungen, um Photovoltaik dort zu ermöglichen, wo es passt.

WO! Ein häufig gehörter Satz in Worms ist: „Es wird immer schlimmer!“ Würden Sie das unterschreiben?

Nein, das sehe ich nicht. Nehmen wir das Beispiel des Albert-Schulte-Parks. Früher war es unvorstellbar, dass Jugendliche dort ein Fest abhalten könnten. Heute veranstaltet das Jugendparlament die Party „Jugend im Park“. Ich glaube, dass gerade das Bespielen von Plätzen ein Weg ist, dass das negative Image überwunden werden kann. Die Aussage „es wird immer schlimmer“, ist natürlich Ansichtssache. Der Satz ist oft bei Facebook zu lesen. Dort haben wir wiederum die berühmte Blase, wo sich die Menschen gegenseitig bestätigen und sich das hochschaukelt. Die Kriminalitätsrate in Worms gibt das zumindest nicht her. Das grundsätzliche Rezept gegen Kriminalität ist für mich Bildung und die Leute in Arbeit und Brot zu bringen. Das betrifft natürlich auch die Flüchtlinge. In diesem Zusammen- hang ist es wichtig, dass sie die Sprache lernen. Und hier müssen wir als Stadt einen Schwerpunkt setzen.

WO! Der Tourismus steht und fällt mit der Ansiedlung eines Hotels. Das ist natürlich ein Anliegen, auf das ein Oberbürgermeister nur eingeschränkt Einfluss hat. Dennoch, wie sieht es aktuell aus?

Derzeit ist ja das Hotel in der Prinz-Carl-Anlage geschlossen, nachdem es den Eigentümer gewechselt hat. Dieser möchte das Hotel modernisieren. Ich gehe davon aus, dass auch Klimaanlagen in die Zimmer verbaut werden. Im kommenden Jahr soll es wieder eröffnen. Was die wenigsten wissen, ist, dass wir mit den Nibelungen- Apartments zwischenzeitlich ein weiteres Hotel in der Nachbarschaft von Errante haben. So wie mir gesagt wurde, möchte ehret + klein schon bald mit dem Bau des B & B Hotels im Geberviertel beginnen. Für das Ibis Styles wurde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, die die Investoren für die Finanzierung brauchen.

WO! War die Finanzierung nicht bereits gesichert?

Das ist richtig. Das wurde ja von Seiten der Investoren im Stadtrat öffentlich kommuniziert. Damals hatten sie eine Zusage von der Volksbank, doch dann kam die Pandemie und die Auswirkungen auf die Hotelbranche. Zudem stiegen die Baupreise, aber auch die Zinsen, sodass eine erneute Machbarkeitsstudie und Wirtschaftlichkeitsprüfung für alle notwendig ist. Grundsätzlich liegt eine Baugenehmigung vor. Ich hoffe, dass es in diesem Zusammenhang bald zu einer Entscheidung kommt.

 

WO! Wir danken Ihnen für das Gespräch. Das Gespräch wurde am 24. Juli 2023 geführt und von Dennis Dirigo geführt.

Foto: Andreas Stumpf