IM VORHOF DER HÖLLE MIT DEN NIBELUNGEN

Mehr als 800 Jahre ist das Nibelungenlied alt, dennoch erfreut es sich in den letzten Jahren wieder großer Beliebtheit auf deutschen Bühnen – abseits der Nibelungen-Festspiele. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, warum diese Geschichte bis heute nichts von ihrer Wucht verloren hat, ist „Die Nibelungen Wut“, verfasst von Johanna Schall und Grit van Dyk.

Gemein haben diese modernen Interpretationen dieses Sagenstoffes, dass sie eben mit diesem sagenhaften Hintergrund wenig bis gar nichts anfangen können und stattdessen die Nibelungen lieber als Parabel nutzen. Das von der Brecht Enkelin Johanna Schall mit verfasste Stück „Die Nibelungen Wut“ geht sogar noch ein Stückchen weiter und macht – ganz im Sinne von Jean-Paul Satres existentialistischen Stück „Geschlossene Gesellschaft“ – aus der altbekannten Nibelungen Truppe eine Psychogruppe, die in einer Art Zwischenhölle festsitzt und Nacht für Nacht erneut das Leid, das sie verursacht hat, durchexerziert. In einem Zimmer mit schummerigem Licht, holzvertäfelten Wänden, auf denen wildromantische Gemälde von deutschen Wäldern und Hirschen verewigt sind, sowie einer Bar, hinter der der Kriegsinvalide Otto von den Gräueln der Schlachten in einem Mix aus verschlagenem Witz und ehrlicher Würde erzählt, sitzen sie fest. Die Wut und die Sehn- sucht der anderen, Kriemhild, Brunhild und Hagen, kreisen indes um jenen, dessen Namen sie partout nicht aussprechen wollen und dann irgendwann doch tun, Siegfried. Während sich in diesem Seelenstriptease zeigt, dass niemand von diesem Trio ohne Schuld ist, rückt zunehmend die Frage in den Vordergrund, was genau die Deutschen bis heute an diesem nieder- schmetternden Drama über enttäuschte Liebe und ausufernde Gewalt fasziniert?

Fazit: Der Ansatz des Stückes klingt zunächst sehr theoretisiert und sperrig. Dem Ensemble, nebst Regie, gelingt es allerdings, daraus ein mitreißendes, wenn auch forderndes Stück zu formen. Humor, egal ob platt oder tiefgründig, hat hier genauso seinen Platz wie die großen Fragen. Nur die erhofften Antworten lassen sich leider nicht so einfach finden und so dürfen die Nibelungen auch weiterhin gerne in der Vorhölle schmoren.

Text: Dennis Dirigo, Foto: Andreas Stumpf