Es wird ungemütlich im Internet. Gleich zwei Maßnahmen, die in den letzten Wochen beschlossen wurden, haben das Potential, das Internet nachhaltig zu verändern. Zwar hat die erste Neuregelung, die Abschaffung der Netzneutralität in den USA, zunächst keine Auswirkungen auf Deutschland. Das könnte sich aber in der Zukunft ändern.

Viel schwerer wiegt vorerst allerdings die Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das am 1. Januar 2018 in Kraft trat. Derzeit ist es medial etwas ruhiger um das Gesetz geworden, das Problem besteht aber weiterhin. Grundsätzlich ist das Ansinnen von Heiko Maas (SPD), das zu diesem Gesetz führte, nachvollziehbar. Immer wieder kam es – zumeist in Sozialen Netzwerken – zu übergriffigen, beleidigenden oder rechtswidrigen Kommentaren. Bereits vor dem NetzDG gab es in Form des Telemediengesetzes die Verpflichtung, strafbare Inhalte zu löschen. Für Heiko Maas war das Vorgehen der Unternehmen allerdings unbefriedigend, weshalb er im Frühjahr den ersten Gesetzesentwurf vorstellte. Das Gesetz gilt für Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube, aber nicht für E-Mail- und Messenger-Dienste. Berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen sind ebenfalls nicht betroffen. Eine Grenze von mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern in Deutschland soll zudem verhindern, dass Start-up-Unternehmen durch das Gesetz in ihrer Entwicklung behindert werden. Der Maßstab, was gelöscht werden muss, wird nicht von den Sozialen Netzwerken gesetzt. Maßgeblich sind allein die deutschen Strafgesetze. Darunter fallen eindeutig kriminelle Handlungen, wie die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder auch die öffentliche Aufforderung zur Straftat, ebenso Postings, die die Persönlichkeitsrechte verletzen. Grundsätzlich geht es darum, die sogenannten „Hassreden“ aus den Sozialen Netzwerken zu verbannen. Offensichtliche Beiträge müssen innerhalb von 24 Stunden nach der Entdeckung oder der Meldung von Mitarbeitern oder Kunden gelöscht werden. Andere Beiträge müssen innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden. Die bedenklichen Posts müssen, für eine eventuelle strafrechtliche Verfolgung, zehn Wochen aufbewahrt werden. Wenn Facebook sich nicht daran hält, drohen Geldstrafen. Eine eigentlich brauchbare Idee, allein die Umsetzung des Gesetzes wirft Fragen auf. Denn Heiko Maas überlässt die Entscheidung, was gelöscht werden muss, nicht etwa den ohnehin überforderten Staatsanwaltschaften oder einer eigens geschaffenen Behörde, sondern die Konzerne selbst müssen entscheiden und wurden verpflichtet, ein Beschwerdemanagement einzurichten.

Satire, rechtswidrig oder kritisch – wer beurteilt dies?
Doch wer entscheidet, was rechtswidrig ist? Schnell zeigte sich sowohl bei Facebook, als auch bei Twitter und Instagram, dass es gar nicht so einfach ist, das zu beurteilen. In Anbetracht der Androhung, dass Konzerne bei der Nichtumsetzung Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro drohen, scheint der Finger bezüglich des Löschens eher lockerer zu sitzen. Ein erstes prominentes Opfer war ausgerechnet Heiko Maas selbst. Kurz nach Jahresbeginn löschte Twitter einen Tweet des Justizministers aus dem Jahr 2010. Darin soll dieser den umstrittenen Parteikollegen Thilo Sarrazin als „Idioten“ beschimpft haben. Das „Opfer“ selbst wunderte sich indes über die Handlung von Twitter. Gegenüber der Bild-Zeitung erklärte Sarrazin: „Ich werde ungern als Idiot verunglimpft, (…). Rechtlich hätte ich bisher keine Chance gehabt, einen solchen Tweet verschwinden zu lassen.“ Dennoch zeigte sich der Beleidigte kritisch gegenüber dem Gesetz: „Die Folge wird sein: Dutzende Pöbler, etwa aus der AfD, stellen sich als verfolgte Unschuld und als Opfer der Zensur dar. Sie werden auf Rücknahme der Löschungen und Sperrungen klagen und damit am Ende vor Gericht Erfolg haben.“ Einen Vorgeschmack lieferte die AfD Abgeordnete Beatrix von Storch. Weil die Kölner Polizei vor Silvester Informationen in arabischer Sprache herausgab, schrieb Storch in einem Tweet von „barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“. Die Kölner Polizei erstattete Strafanzeige wegen Volksverhetzung, Storchs Twitter-Account wurde zeitweise blockiert. Wenige Tage später war der Fall vom NetzDG nicht mehr zu trennen und das Wort Zensur machte die Runde. Und natürlich stilisierte sie sich als Opfer der Zensur. Hatte Twitter wegen des neuen Gesetzes so reagiert? Twitter sagt, dass sie die AfD-Politikerin darüber informiert hätten, dass ihr Tweet einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen bezüglich Hassinhalten darstelle, die schon länger und unabhängig vom NetzDG existieren. Facebook hingegen löschte einen gleichlautenden Post Storchs mit Verweis auf Paragraf 130 Strafgesetzbuch, also Volksverhetzung. Hierbei könnte das neue Gesetz den Ausschlag gegeben haben. Kurze Zeit darauf leistete sich das Satiremagazin „Titanic“ eine Meldung, die sich auf von Storchs Tweet bezog. Dieses hatte „im Namen von Storch“ geschrieben: „Weshalb verwendet eigentlich die deutsche Polizei arabische Zahlen? Ich wehl doch nicht 110, wen die Barbarenhorden mich vergewaltigen wollen!“ Die Folge: der Tweet wurde gelöscht und der Account kurzzeitig gesperrt. Man hatte die Satire offenbar nicht erkannt, und genau hier fängt das Problem an und entlarvt die lückenhafte und fragwürdige Konstruktion des Gesetzes. Auch wenn das Gesetz bestimmte Straftatbestände vorgibt, ergibt sich die Frage, wie das juristisch ungeschulte Personal der Konzerne diese weitreichenden Entscheidungen treffen kann? Wann fängt eine Beleidigung an, was ist Satire? Ist es volksverhetzend, wenn ich mich kritisch äußere?

Unternehmerische Willkür?
Ist es keine Volksverhetzung, wenn eine Facebook-Seite „Fuck Israel“ heißt und bis heute unbehelligt ihr Unwesen in dem Netzwerk treiben kann, obwohl diese locker den Bestand der Volksverhetzung in Form von antisemitischem Gedankengut erfüllt. Probleme hat man bei den Netzwerken offenbar vor allem mit Satire, denn auf den Fall „Titanic“ folgte die Löschung von Bildern der Street Art Künstlerin Barbara auf deren Facebook-Seite. Die Künstlerin ist bekannt für ihre satirischen Zettel, die sie in Großstädten hinterlässt. Auf ihrer Facebook und Instagram Seite macht sie diese Bilder einem größeren Publikum zugänglich. Gelöscht wurde u.a. ein Foto auf dem ein Schild zu sehen ist, mit dem Spruch: „Waldorfschüler können auch „Arschloch“ tanzen und sich vor Deinem Schild zum Flashmob treffen. Barbara“. Sie selbst sagte dazu, dass sie damit ironisch auf sogenannte „Gutmenschen“ aufmerksam machen wollte, die durchaus dazu in der Lage sind, auch verbal mal kräftig auszuteilen. Für Facebook war der Kraftausdruck eindeutig zu viel. Nachdem die Künstlerin ein öffentliches Posting zu diesem Sachverhalt veröffentlichte, lenkte das Netzwerk ein und entschuldigte sich. Dennoch bleibt ein starker Beigeschmack. Und das genau aus zwei Gründen. Da die potentielle Sperrung seit dem 1. Januar wie ein Damoklesschwert über kritischen Köpfen schwebt, befürchtet die Künstlerin, dass eine Folge die Schere im eigenen Kopf sein könnte. Eine weitere Gefahr ist die Nutzung des Gesetzes als Sabotagewerkzeug. So könnten linke oder rechte Trolle ungeliebte Posts mit dem Vorwurf einer Rechtswidrigkeit verhindern. Die Löschung des Heiko Maas Tweets geht offenbar auf eine solche Meldung zurück. Auffällig ist auch die Sperrung bzw. Löschung von islamkritischen Aussagen oder Andeutungen. Erfahrungen diesbezüglich mussten schon mehrfach die internetbekannten Blogger Anabel Schunke und Markus Hibbeler machen, die schon vor dem NetzDG des Öfteren gesperrt wurden.

Immer mehr Kritik
Kritische Stimmen, die die Meinungs- und Pressefreiheit bedroht sehen, gibt es zuhauf. So forderten unlängst FDP und Grüne, dass das Gesetz wieder abgeschafft wird. Selbst die derzeitige Regierung räumt Schwachstellen ein. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, es werde „sehr genau evaluiert werden, wie sich das Gesetz auswirkt und welche Erfahrungen mit ihm gemacht werden“. Unlängst läuft über die Seite „chance.org“ auch eine Petition zur Abschaffung des ungeliebten Gesetzes. Eine Unterzeichnerin begründete ihre Unterstützung wie folgt: „Ich bin für Meinungsfreiheit, wenn sie nicht die Würde anderer Menschen verletzt. Man muss Missstände ansprechen dürfen, ohne dass es sofort zur Sperrung führt“. Befürworter sind derzeit rar und vor allem in SPD-Kreisen auszumachen. So findet die SPD-Fraktionschefin Andreas Nahles, dass das Gesetz gut und richtig sei. Es gehe darum, „mehr Verantwortung ins Internet zu bringen, das ist kein rechtsfreier Raum. Mit Zensur hat das nichts zu tun.“ Das ändert nichts an den Umstand, dass man bei diesem Gesetz Konzerne zu Hilfssheriffs macht und damit auch sehr viel Macht an die Hand gibt. Zwar müssen die Konzerne alle sechs Monate einer staatlichen Behörde einen Rechenschaftsbericht vorlegen, aber das ändert an den Sperrungen und Löschungen nachträglich nicht mehr viel.