Wie Deutschland zwei Monate lang führungslos war
In diesen Tagen fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger, wie die Corona Situation in Deutschland dermaßen außer Kontrolle geraten konnte, obwohl mittlerweile fast drei Viertel der Bevölkerung geimpft sind. Zu der Wahrheit gehört, dass die Politik auch auf diesen Corona Winter nur unzureichend vorbereitet war. Ebenso, dass zwischen der Bundestagswahl und der Verkündung einer Ampelkoalition Ende November zwei wichtige Monate vergangen sind, in denen Deutschland de facto führungslos war. Oder können Sie behaupten, dass Sie sich in den letzten beiden Monaten gut regiert gefühlt haben?
Es war eine trügerische Ruhe, die im Spätsommer 2021 in Bezug auf das Dauerthema Corona herrschte. Während sich alle Parteien mitten im Wahlkampf für die Bundestagswahl befanden, hatte man das Gefühl, dass es vor allem die etablierten Parteien, die in erster Linie für den Coronakurs der letzten Monate verantwortlich waren, tunlichst vermeiden wollten, das Thema in den Wahlkampf zu zerren. Schließlich hatten die Bürgerinnen und Bürger einen relativ entspannten Sommer mit niedrigen Infektionszahlen hinter sich gebracht. Nicht alles, aber vieles hatte sich schon wieder fast normal angefühlt. Da wollte auch die Politik ihre Bürger nicht mit Angstszenarien in Aufruhr versetzen. Trotzdem gab es auch in dieser Zeit Experten, die vor einem harten Winter mit deutlich höheren Corona Zahlen gewarnt hatten. Dass Politiker, die sich in der Vergangenheit stets gerühmt hatten, auf die Wissenschaft zu hören, ausgerechnet da nicht hingehört haben, verwundert ein wenig. Die Frage ist überhaupt, wer diese Warnungen erhören sollte? Die Regierungspartei, die CDU/CSU, hatte bei der Bundestagswahl eine deutliche Schlappe erlitten, weshalb die Kanzlerin Angela Merkel und die Minister ihrer Partei nur noch kommissarisch im Einsatz waren, bevor die sich ankündigende Ampelkoalition Ende November, nach zweimonatigen Koalitionsverhandlungen, endlich Vollzug meldete. In diesen beiden Monaten der Führungslosigkeit, schließlich wollte die alte Regierung keine bahnbrechenden Entscheidungen mehr treffen und die neue Regierung hatte sich noch nicht formiert, hat die Politik erneut entscheidende Fehler gemacht und war schlecht auf den Corona Herbst vorbereitet. Den Preis, den man dafür zahlen muss, sieht man an den Infektionszahlen im November, die neue Rekordwerte erzielten.
Zwei elementare Fehler
Heute weiß man, dass es ein Fehler war, voreilig die Impfzentren Ende September zu schließen. Statt zu informieren, konzentrierte man sich darauf, den Impfunwilligen das gesellschaftliche Leben möglichst schwer zu machen, schließlich hatten Experten für den Herbst/Winter eine „Pandemie der Ungeimpften“ angekündigt. Dass das nicht stimmt, wissen wir heute besser. Zwar sind es überwiegend Ungeimpfte, die auf den Intensivstationen behandelt werden müssen. Zur Verbreitung des Virus tragen aber genauso auch die Geimpften bei, die sich aufgrund einer trügerischen 2G-Regel fortan unbeschwert treffen konnten. Bilder von einem überfüllten Kölner Karneval oder vollen Fußballstadien führten dementsprechend zu Unbehagen bei vielen Bürgern, während sich die Politik erstaunlich ruhig verhielt.
Ein weiterer Fehler war es, die kostenlosen Schnelltests abzuschaffen, um Impfunwillige durch die zusätzlichen Kosten zum Impfen zu bewegen. Die offizielle Begründung von Gesundheitsminister Jens Spahn lautete sogar, dass man den Steuerzahlern nicht die Kosten einiger weniger Impfverweigerer aufbürden möchte. In Anbetracht der Milliarden, die im Zuge der Corona Pandemie aufgewendet werden mussten, sind diese allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Während sich die Ungeimpften nun regelmäßig testen mussten, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, haben viele Geimpfte trotz Krankheitssymptomen einen kostenpflichtigen Test gescheut und das Virus munter weiter verteilt. Dann musste die Politik auch noch einräumen, dass die Impfstoffe, je nach Hersteller, in ihrer Wirkung nach zwei bis sechs Monaten nachlassen. Dieser nachlassende Schutz ist vor allem gefährlich für die Risikogruppen, die diesen Schutz am dringendsten brauchen. Weil man aber die Impfzentren zwei Monate zuvor allerorts geschlossen hat, müssen diese nun überall wieder hochgefahren werden. Wohlgemerkt Mitte November wurde dies veranlasst, als die Infektionszahlen längst durch die Decke geschossen waren. Denn nun sollen es Booster-Impfungen richten und als Bürger kann man sich darauf einstellen, dass man sich aufgrund ständig neuer Virus Mutationen fortan alle sechs Monate einen neuen Impfstoff spritzen lassen muss. Aktuell macht gerade eine neue, eventuell noch ansteckendere Südafrika-Variante von sich reden, von der man noch nicht weiß, ob unsere Impfung ausreichend davor schützt.
Neue Strategie nötig
Vielleicht sollte sich die Politik eingestehen, dass es fahrlässig war, sich einzig und alleine auf die Impfung als Ausweg aus der Pandemie zu konzentrieren, auch wenn diese nach vor das beste Mittel ist, um einer Überlastung der Gesundheitssysteme vorzubeugen. Dazu muss die Politik aber die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Denn der größte Skandal ist nach wie vor, dass man nach fast zwei Jahren Pandemie einräumen muss, dass gegenüber letztem Jahr knapp 4.000 Intensivbetten abgebaut wurden – hauptsächlich, weil das erforderliche Personal dazu fehlt. Wenn man also im Jahr 2021 von einem Intensivbettennotstand spricht, hat man es mit einem hausgemachten Problem zu tun. Seit letztem Jahr haben deutschlandweit knapp 9.000 Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger ihren Dienst quittiert. Die Prognosen für dieses Jahr sehen nicht besser aus. Es wird also eine Mammutaufgabe für den/die neue(n) Gesundheitsminister/in, die Versäumnisse von Jens Spahn der letzten Jahre nachzuholen und Anreize zu schaffen, damit sich wieder mehr junge Menschen im Gesundheitswesen einbringen. Auch auf den/die neue(n) Bildungsminister/in warten große Aufgaben, wurde doch die Pandemie in erster Linie auf dem Rücken der Jüngsten in den Schulen und Kindergärten des Landes ausgetragen, für die das Geld noch nicht einmal ausreicht, um alle Schulen mit Lüftungsanlagen auszustatten. Vermutlich wird man die dringend erforderlichen Investitionen im Bildungsbereich – genauso wie im Gesundheitsbereich – mit dem Hinweis auf leere Kassen scheuen. Stattdessen wird auch die neue Ampelregierung einen Verteidigungsetat mit einem geschätzten Volumen zwischen 40 und 50 Milliarden Euro aufstellen, um ein Land zu verteidigen, das seit 76 Jahren nicht mehr angegriffen wurde. Das Geld ist also da, es wird nur sinnlos anderweitig verpulvert.