Stille Corona Proteste sorgen auch in Worms für Kontroversen

Es ist der vorläufige Höhepunkt eines gesellschaftlichen Konflikts, der kurz nach Beginn der Corona Krise seinen Anfang nahm und nun in Form von Spaziergängen und Mahnwachen auf die Straßen in ganz Deutschland getragen wird. Während die eine Seite mit einem Spaziergang durch die Stadt ihren Unmut über die Corona Politik und insbesondere die Impflicht zum Ausdruck bringen möchte, empfindet die andere Seite dies als respektlosen Hohn gegenüber allen, die an Corona verstorben oder schwer erkrankt sind und trifft sich zur Mahnwache am Lutherdenkmal.

TELEGRAM UND FREIE PFÄLZER

Am 19. Dezember 2021 kamen erstmals auch in Worms Menschen zusammen, um sich zu einem sogenannten Spaziergang zu treffen. Ein Phänomen, das sich ab Mitte Dezember in ganz Deutschland ausbreitete und in Großstädten wie Hamburg mehrere tau- send Menschen auf die Straße zieht. In Worms war der Beginn natürlich deutlich kleiner und dürfte bei rund 200 Menschen gelegen haben. Zwischenzeitlich ist die Gruppe gewachsen. Schätzungen verschiedener Seiten sprechen von 400 bis 750 Menschen, die vor allem montags zusammenkommen. Für die Stadt und die Politik ist dies ein unheimliches Phänomen. Die Stadt zeigte sich dem- entsprechend in einer Pressemitteilung „besorgt“ und wünscht sich seitdem den Dialog. Die Sorge gilt wiederum den Hintermännern, denn bereits kurz nach Beginn der Spaziergänge setzte sich die Meinung fest, dass dahinter rechte Gruppen stecken müssen. In Rheinland-Pfalz und Teilen von Hessen und Baden-Württemberg steht in diesem Sinne eine Gruppe namens „Freie Pfälzer“ im Verdacht, aus der rechten Szene zu stammen und über den Messenger Dienst Telegram die Spaziergänge zu orchestrieren. Die Gruppe ist frei zugänglich und hat aktuell 629 Abonnenten. Mitlesen kann jeder. Dort veröffentlichen wiederum Ortsgruppen Aufrufe zu bevorstehenden Spaziergängen wie „Kandel geht Spazieren“ oder „Koblenz steht auf“. Von Worms selbst sind dort keine Aufrufe zu finden. Bis vor wenigen Wochen gab es bei Telegram auch eine Worms Gruppe, die sich explizit auf die Spaziergänge bezog. Dort wurden regelmäßig Videos veröffentlicht, aber auch von den „Freien Pfälzern“ weitergeleitete Verhaltensempfehlungen während der Spaziergänge, um strafffrei zu bleiben. Zwischenzeitlich ist die Gruppe aufgelöst, die Spaziergänge finden jedoch immer noch statt.

STADT MÖCHTE SITUATION NICHT WEITER AUFHEIZEN

Der Stadt ist indes immer noch unklar, wer hinter den Treffen vor Ort steckt oder ob es überhaupt die eine Gruppe gibt, die dem zu- zuordnen ist. Ein Verbot, wie es die Wormser SPD forderte, scheint allerdings nicht möglich zu sein. In einer Pressemitteilung erklärte die Stadt, dass ein Verbot, wie auch eine Auflösung, an hohe rechtliche Hürden geknüpft sei. Dies stelle das Land Rheinland-Pfalz in einem Schreiben des Innenministeriums rechtlich klar. Allerdings gilt Maskenpflicht und Abstandsgebot bei den Spaziergängen. Im Gespräch mit WO! äußerte Bürgermeisterin STEPHANIE LOHR (CDU) prinzipiell Verständnis für die Unzufriedenheit der Teilnehmer/innen mit der Corona Politik, betonte aber, dass es nach ihrem demokratischen Verständnis wichtig sei, miteinander zu reden und das ist eben nicht möglich, wenn eine heterogene Gruppe ohne konkrete Ziele wöchentlich durch die Stadt läuft und dies nicht anmeldet. Auf die Frage unseres Magazins, ob es irgendwann einen Punkt gibt, an dem Stadt die Spaziergänge unterbinde, entgegnet sie mit einem klaren „Nein“. Ergänzend heißt es in einer Mitteilung: „Solange die so genannten Montagsspaziergänge aber störungsfrei bleiben, ist der Stadt und der Polizei daran gelegen, die Lage ruhig zu halten und durch Verbote oder Auflösungen die gesellschaftliche Debatte über die Corona-Maßnahmen nicht weiter anzuheizen“.

WER LÄUFT EIGENTLICH MIT UND WAS WOLLEN SIE?

Wir wollten wissen, wer die Menschen sind, die sich im winterlichen Worms abends auf die Straße begeben und begleiteten an zwei Montagen die Spaziergänger. Zu Beginn hat unser Redakteur damit gerechnet, als Pressevertreter eher unfreundlich behandelt zu werden, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen zeigen sich auskunftsfreudig. Was sie jedoch eint, ist die Bitte, namentlich nicht genannt zu werden. Einig sind sich auch alle Gesprächspartner/innen, dass sie die geplante Impflicht bzw. die verabschiedete Impflicht für Personal in bestimmten Berufen ablehnen. Manche, die das sagen, sind ungeimpft und pochen auf die Unversehrtheit ihres Körpers, andere wiederum sind geimpft, möchten aber weiterhin die Freiwilligkeit der Entscheidung. Zumal für sie vieles im Unklaren liege und die Politik zuletzt als Kommunikator eine eher unrühmliche Figur mache. Eine Teilnehmerin erzählt, dass sie an einer Autoimmunerkrankung leide und deswegen Angst vor Nebenwirkungen habe. Eine medizinische Abklärung zur Impfung stehe noch offen. Einig sind sich die Mitwirkenden der Treffen zudem, dass sie aus ihrer Sicht zu Unrecht von Medien, Mitbürgern und Politikern der rechten Ecke zugeschrieben werden bzw. dass sie gemeinsame Sache mit den Rechten machen würden. Vielmehr wünschen sie sich eine differenzierte Berichterstattung. Wie sie selbst sagen, seien hauptsächlich normale Bürger anwesend, die die Teilnahme an den Spaziergängen als einzigen Weg sehen, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die weiteren Beweggründe, wie Unzufriedenheit über die Widersprüchlichkeit oder scheinbare Willkür der Maßnahmen bis hin zu Existenzängsten (Verlust des Jobs, Insolvenz des eigenen Betriebes), bilden die gesamte Palette der Corona Ängste der vergangenen zwei Jahre ab. Corona leugnen tut in diesen Gesprächen niemand, Uneinigkeit gibt es indes über die Gefährlichkeit des Virus. Viele kritisieren, dass die Angst besetzte Debatte über Corona von der eigentlichen Krise des Gesundheitssystems ablenke. Immer wieder zeigen sich Mitlaufende davon überzeugt, dass wirtschaftliche Interessen bei der Gestaltung der Corona Politik – inklusive Impfpflicht – eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

EHER DER GESCHMACK VON PEGIDA?

Rund zwölf Polizisten/innen und Mitarbeiter/innen des Vollzugsdienstes begleiten die Märsche, lenken den Verkehr und weisen Teilnehmer zurecht, die sich nicht an die Maskenpflicht halten. Die meisten tragen jedoch Masken, das deckt sich auch mit den Beobachtungen der Stadt und der Polizei, andere haben wiederum ein Attest. Transparente gibt es keine, die Stimmung ist weitestgehend friedlich. Erst gegen Ende des zweiten Spaziergangs, an dem unser Redakteur mitläuft, scheint sich etwas zu ändern. Eine kleine Gruppe recht junger Menschen beginnt, mit einer Trillerpfeife Lärm zu verbreiten. Ein anderer stimmt „Wir sind das Volk“ oder „Freiheit statt Diktatur“ Rufe an. Mitreißen lässt sich kaum jemand, dennoch vermittelt die Aktion urplötzlich eine unangenehme Note. Erinnerungen sollen geweckt werden an die legendären Montagsspaziergänge in der DDR, doch was bleibt, ist in diesem Moment eher der schale Geschmack von Pegida. Ebenso kommt es zu Diskussionen, als eine Rollstuhlfahrerin, die keine Maske trägt, bereits zum dritten Mal an diesem Abend kontrolliert wird. Als ein Mann aus dem Umfeld der Rollstuhlfahrerin des Platzes verwiesen wird und dieser sich weigert, droht die Situation für einen kurzen Moment zu kippen. Doch die Polizei bleibt ruhig und damit auch die Situation.

EIN SPAZIERGANG NACH MAINZ?

Auf die Frage unseres Redakteurs, was die Teilnehmenden von dem Dialogangebot der Stadt halten, begrüßten diese das grundsätzlich, zeigten sich aber aufgrund einer fehlenden Organisationsstruktur ratlos, wie dies umzusetzen sei. Doch gibt es tatsächlich keine Organisation? Unser Redakteur trifft am Rande des Spaziergangs schließlich jemanden, von dem er weiß, dass er in der Vergangenheit bei deutschlandweiten Corona-Protesten zugegen war. Im Gespräch erklärt er, dass er von Anfang in Worms dabei ist und zeigt sich begeistert darüber, dass diese Form des Protests bei vielen Bürger/innen einen richtigen Nerv trifft. Er registriert aber auch, dass sehr viele eher genervt sind. Auch von ihm wollen wir wissen, wie es mit den Spaziergängen weitergehen soll? Für ihn ist klar, dass auf lokaler Ebene nur wenig passieren kann und der stille Protest dorthin muss, wo Entscheider sitzen. Seine Vorstellung wäre es, dass sich die verschiedenen Gruppen in Rheinland-Pfalz zu einem friedlichen Marsch nach Mainz begeben. Der Bekannte gibt unserem Redakteur schließlich die Nummer eines weiteren Teilnehmers, der laut seiner Aussage zu dem Kernteam der Spaziergänger gehört. Wir rufen ihn an!

IM DIALOG MIT BERLIN?

Der Mann ist Wormser und übt ebenfalls seit langer Zeit Kritik an der Corona-Politik. Nachdem Demonstrationen zunehmend verboten wurden, hält er die Form der Spaziergänge für ein probates Mittel. Er selbst verortet sich politisch links. Für ihn gibt es zumindest in Worms bisher keine Anzeichen dafür, dass die Bewegung von rechts unterwandert ist. Vielen Bürgern, die den Spaziergängern ablehnend gegenüber stehen, fehlt allerdings eine eindeutige Distanzierung von rechten Gruppen. Als unser Redakteur von seinen Spaziergang-Erlebnissen berichtet, räumt er ein, dass es zuletzt ein paar Auffälligkeiten, wie die erwähnten jungen Leute, gab. In einer kleinen Gruppe von ungefähr 20 Personen würde man die Spaziergänge besprechen und reflektieren. Dabei sei man auch am Überlegen, wie man mit solchen Situationen umgehe. Zudem stehe natürlich die Frage im Raum, wie die Zukunft dieses zivilen Protests aussehen könne. Einerseits ist ihm klar, dass frü- her oder später der Dialog mit der Politik gesucht werden muss, andererseits heißt das, die Anonymität zu verlassen. Aufgrund des aufgeheizten Klimas befürchten viele in dieser Gruppe, dass das persönlich negative Folgen haben könnte. Er selbst denkt daran, insbesondere mit dem Bundestagsabgeordneten JAN METZLER in den Dialog zu treten. Vorerst wird man aber erst mal weiter spazieren gehen und darauf hoffen, dass sich das Klima in Deutschland wieder entspannt.

 

Text: Dennis Dirigo Fotos: Andreas Stumpf