Autor: Hans-Herbert Rolvien
Auf Einladung der AfA im SPD Unterbezirk Worms in Kooperation mit Pax Christi – von den lokalen Medien ignoriert und Stadträte musste man mit der Lupe suchen – fand im Martinushaus eine Podiumsdiskussion zum Thema “Armut in einem reichen Land – 10 Jahre Irrweg – Hartz IV“ statt. Hierzu referierte Prof. Dr. Christoph Butterwegge, der prominente Politwissenschaftler, der seit vielen Jahren intensiv über sozialpolitische Themen forscht und an der Universität zu Köln lehrt.
Was hat dieses Thema in einer Stadt wie Worms eigentlich verloren? Muss man sich das wirklich anhören und dann noch von einem Professor, der mit vielen Zahlen und akademischem Duktus glänzt? Doch die Armut ist längst in Worms zu Hause, sind es doch hier bis zu 2500 Kinder, die zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf „Hartz IV“ angewiesen sind. In seiner Begrüßung sprach der AfA Vorsitzende Hans Herbert Rolvien, dass die Armut eine der zentralen Herausforderungen der Gegenwart ist – weltweit, aber auch in den Städten der westlichen Welt. Aber die Stärke unserer Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwachen, denn Armut ist nicht die Schande der Armen, sie sollte ein Skandal für die Reicheren sein. Oft genug wird sie aber ignoriert, verdrängt, wegerklärt. Bevor er zum Referenten überleitete, erinnerte er noch an den mit 85 Jahren verstorbenen Karl Saulheimer, der im Vorstand aktiv mitwirkte. Wir sind stolz, einen solchen außergewöhnlichen Menschen in unserem Vorstand gehabt zu haben. Er hatte vor mehr als 10 Jahren die Idee, dieses „Vorabend zum 1. Mai“. Seitdem findet die Veranstaltung regelmäßig statt. Prof. Butterwegge, ließ mit dem Thema „Hartz IV und die Folgen – Auf dem Weg in eine andere Republik?“, keinen der Besucher darüber im Unklaren, welche Haltung er zu der unter dem Stichwort „Hartz IV“ bekannten Sozialgesetzgebung einnimmt und zog anlässlich des „Jubiläums“ eine umfassende Bilanz der Reformmaßnahmen.
So wurde „Hartz IV europaweit die berühmteste Chiffre für den Abbau sozialer Leistungen und gilt hierzulande als tiefste Zäsur in der Wohlfahrtsstaatsentwicklung nach 1945. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wurde damit eine für Millionen Menschen in Deutschland existenziell wichtige Lohnersatzleistung, die Arbeitslosenhilfe, faktisch abgeschafft und durch eine bloße Fürsorgeleistung, das Arbeitslosengeld II, ersetzt. Das hat nicht bloß das Armutsrisiko von (Langzeit-)Erwerbslosen und ihren Familien spürbar erhöht, sondern wirkt auch einschüchternd und disziplinierend auf viele Beschäftigte. Verschiedentlich als ein „Gesetz der Angst“ bezeichnet, bildet Hartz IV den sozialrechtlichen Humus einer Gesellschaft der Angst und macht die Bundesrepublik gleichzeitig zu einem Land, in welchem Teile der Mittelschicht durch Verachtung gegenüber sog. Randgruppen, sozialen Absteiger(inne)n und beruflichen Verlierer(inne)n ihre Furcht vor dem gleichen Schicksal zu bewältigen suchen. Denn wenn man sich intensiv mit dieser komplizierten Materie befasst, wird einem umso mehr bewusst, dass es sich bei Hartz IV um ein zutiefst inhumanes System voll innerer Widersprüche handelt, das Menschen entrechtet, erniedrigt und entmündigt. Sowohl die von dem Gesetzespaket unmittelbar Betroffenen wie auch ihre Angehörigen und die mit ihnen in einer „Bedarfsgemeinschaft“ zusammenlebenden Personen werden stigmatisiert, sozial ausgegrenzt und isoliert.“
Aber mehr als das: Durch die Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, die Hartz-Reformen und besonders das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ist Deutschland zu einer anderen Republik geworden. Ein ausufernder Niedriglohnsektor, der fast ein Viertel aller Beschäftigten umfasste, gehörte ebenso zu den Folgen wie Entsolidarisierungs- und Entdemokratisierungstendenzen.“
Die Ursachen von Armut sind vielfältig. Häufig geraten Menschen in Armut, weil sie ihren Job verlieren, krank werden oder sich von ihrem Partner trennen. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Frauen im Rentenalter sowie Familien mit mehr als zwei Kindern. In den Statistiken zur Armutsgefährdung wird deutlich, dass gesellschaftliche Benachteiligungen das Armutsrisiko direkt erhöhen.
Unsere Regierung, die es zulässt, dass mit der Agenda 2010 eine Gesellschaftsspaltung entstanden ist, die den sozialen Frieden und unsere Demokratie gefährdet, weil sie die Menschenwürde mit Füßen tritt. Eine Regierung, die stolz eine Rentenreform und Arbeitsmarktpolitik verkündet, die mit rasendem Tempo eine nicht vorhersehbare Altersarmut bringt. Denn einen Zusammenhang zwischen dem Sinken der Arbeitslosigkeit mit den Hartz-Gesetzen herzustellen, sei ebenso sinnvoll wie „das Ansteigen der Storch-Population für eine höhere Geburtenrate verantwortlich zu machen“.
Zehn Jahre Hartz IV – das ist kein Grund zum Feiern, es ist ein Grund zum Schämen. Und jedem Erwerbstätigen sollte klar sein, es trennen ihn nur zwölf Monate vom Ausschluss aus der Gesellschaft. Und das ist der „Anschlag auf die Menschenwürde.“ Ohne Druck von unten, von der Straße werde es keinen Politikwechsel geben, sagt Butterwegge. Doch woher dieser Druck kommen soll, vermag auch der Professor nicht zu beantworten. Selbst an seiner Universität erlebe er Menschen, die nicht verstehen könnten, weshalb Geld nicht das Wichtigste auf der Welt sei.
Nach dem Vortrag wurde das Thema weiterdiskutiert und die Besucher hatten die Gelegenheit, Fragen an Prof. Butterwegge zu stellen. Am Ende der Veranstaltung, konnte man sein jüngstes Buch mit dem Titel „Hartz IV und die Folgen“ direkt beim Autor erwerben!