„Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muss sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen.“
Angela Merkel, 1999 in der FAZ

Als Angela Merkel diese Sätze 1999 in einem Gastbeitrag für die FAZ geschrieben hat, wagte sie den offenen Bruch mit dem Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl, der zuvor 16 Jahre lang das Land regiert hatte, aber zu diesem Zeitpunkt wegen der Parteispendenaffäre massiv in der Kritik stand. Jetzt, 19 Jahre später, steht Merkel selbst in der Kritik. Nachdem sie sich Anfang des Jahres 2017 in Anbetracht mangelnder Konkurrenz noch nahezu sicher wähnen konnte, schlug die Stimmung im Land im Laufe des Jahres massiv um. Ihre umstrittene Flüchtlingspolitik und die negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung waren Gesprächsthema Nummer eins, aber Merkel wollte das Ganze im Wahlkampf am liebsten totschweigen. Wer jedoch über Missstände oder zunehmende Armut in diesem Land nicht sprechen will, überlässt das Feld genau denjenigen, denen man das ganz gewiss nicht überlassen sollte. Bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 erreichte die AFD 12,6 % und wird erstmals in den Bundestag einziehen. Derweil erzielte die Union das schlechteste Ergebnis seit 1949 und das Einzige, was der Kanzlerin dazu einfiel, war: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen.“ Noch am Wahlabend sagte die SPD für weitere vier Jahre Regierungsbeteiligung (vorerst) ab. Nach zähen Sondierungsgesprächen scheiterte anschließend auch eine angedachte Jamaika-Koalition an Spielverderber Christian Lindner (FDP) – und plötzlich stand die Kanzlerin ohne Koalitionspartner da. Aus den Optionen „Neuwahl, Minderheitsregierung oder doch wieder GroKo?“ war längst auch die Frage gewachsen: „Tatsächlich nochmal vier Jahre Merkel?“ Zwischenzeitlich hat sich immerhin die SPD erbarmt, ergebnisoffene Sondierungsgespräche zu führen. Aber egal, wie diese enden werden: auf die Kanzlerin kommen vier lange, harte Jahre zu. Da Merkel, ähnlich wie Kohl, auf ihrem Stuhl klebt und keinen Nachfolger aufgebaut hat, wird die spannende Frage lauten, wann jemand in der Union gegen die Kanzlerin aufbegehrt und sich selbst als Thronfolger ins Spiel bringt. So wie einst Angela Merkel gegen ihren Ziehvater Helmut Kohl.