Kommentar: Frank Fischer

Die Deutsche Bahn, die an die Börse will, muss in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt Mainz über Wochen hinweg jeden zweiten Zug ausfallen lassen. Der Grund: Personalmangel bei den Fahrdienstleitern, ausgelöst durch Krankheitsfälle und ganz normale Urlaubstage der Mitarbeiter. Und da es offensichtlich nicht möglich war, Ersatz zu besorgen, war die Hauptstadt von Rheinland-Pfalz mal eben für Wochen vom Rest der Republik abgeschnitten. Aber nicht nur, dass ein Weltkonzern wie die Deutsche Bahn, die in Deutschland mit 193.000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber ist, unfähig war, eine Personallücke zu schließen, hat man es vielerorts nicht einmal für nötig befunden, die zahlende Kundschaft darüber zu informieren, wann welche Züge später fahren oder sogar ganz ausfallen. Aber muss man sich über diese Entwicklung wirklich wundern? Wenn ein Allgemeingut wie Bahnfahren privatisiert wird und den gleichen marktwirtschaftlichen Gesetzen wie ein normales Unternehmen unterliegt, darf man sich über die derzeitigen Probleme nicht wundern. Beim Blumenladen um die Ecke hängt ja auch ab und zu ein Schild: „Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen“. Jetzt, da die Bahn fit für die Börse gemacht werden soll, bedeutet das in erster Linie, die Zahlen bis zum Start der Aktie derart nach oben zu frisieren, dass möglichst viele Aktionäre aufspringen. Und dazu gehört in erster Linie eine Senkung der Personalkosten. WAS LERNEN WIR DARAUS? Dort, wo verantwortungslose Manager nur noch auf Profit getrimmt sind, werden solche Vorkommnisse wie in Mainz in Zukunft vollkommen normal sein.

Prämien für Leistungskürzungen
Nebenbei wurde kürzlich aufgedeckt, dass die Bundesagentur für Arbeit in manchen Städten interne Prämien für Abteilungsleiter ausgesetzt hatte, wenn diese möglichst kostensparend arbeiten. Wer bisher geglaubt hatte, dass ein Hartz 4-Empfänger ohnehin Anspruch auf Sozialleistungen hat, sollte mal in ein paar Internetforen die Berichte von Geschädigten durchlesen. Denn der auf lange Zeit mit Gerhard Schröder und Peter Hartz in Verbindung gebrachte Grundsatz „fördern und fordern“ beinhaltet eben auch, dass man schneller eine Leistung gekürzt bekommt, als einem das lieb ist. Wie soll man denn auch sonst kostensparender arbeiten? Das Dumme ist nur: Den dicken Scheck, den ihr Vorgesetzter am Ende des Jahres erhält, müssen die Mitarbeiter direkt vor Ort in den Jobcentern ausbaden, die dem Hartz 4-Empfänger im persönlichen Gespräch erklären müssen, warum bei ihnen wegen eines verpassten Termins eine Leistungskürzung vorgenommen wird. WAS LERNEN WIR DARAUS? Wer aus staatlichen Sozialleistungen einen Wettbewerb macht, handelt menschenverachtend und unfair. Auch hier hat die Politik die Weichen in eine gefährliche Richtung gestellt, als man den chronisch klammen Kommunen diese Aufgabe übertragen hat und die nun auf Teufel komm raus sparen müssen.

In Worms klemmt’s bei Polizei UND Ordnungsamt
In Worms hat sich ein Leser der Wormser Zeitung darüber beklagt, dass er bei einer Ruhestörung im Biergarten in der Nachbarschaft erst von der Polizei vertröstet wurde, ehe die personell unterbesetzte Polizei später eingestehen musste: „Dafür haben wir heute keine Zeit….“ Schließlich wurden unter Kurt Beck in Rheinland-Pfalz die Stellen bei der Polizei massiv gekürzt. Deshalb kündigen Vertreter der Polizei schon seit Wochen an, dass man sich wieder mehr auf seine Kernaufgaben konzentrieren möchte – und dazu zählt eben nicht, jeder Ruhebeschwerde nachzugehen, weil der Nachbar im Garten grillt und um halb eins noch Musik läuft. Dafür ist eigentlich der Bereich Sicherheit und Ordnung des Beigeordneten Hans-Joachim Kosubek (CDU) zuständig, der aber sofort abgewiegelt hat, dass auch der kommunale Vollzugsdienst notorisch unterbesetzt sei. Neun Vollzugsbeamte würden gerade mal für einen Zwei-Schicht-Dienst (drei tagsüber/zwei abends) ausreichen, da es ja auch noch Urlaubs- und Krankheitsfälle gibt. Und für mehr Leute ist nun mal kein Geld da. Denkste. Denn Hans-Joachim Kosubek hat erst kürzlich selbst davon profitiert, dass die beiden Großen im Wormser Stadtrat, SPD und CDU, sich mal eben einen neuen Posten zugeschoben haben und Kosubek im Zuge dessen im rentenfähigen Alter noch einmal auf der Karriereleiter nach oben gefallen war. WAS LERNEN WIR DARAUS? Vielleicht hätte man die Personalkosten für einen weiteren Hauptamtlichen besser in die Bildung (mehr Lehrer/Pädagogen) oder in die Verwaltung (mehr Ordnungskräfte) investiert, anstatt in jemanden, der die Personalmisere unter den Pädagogen, egal ob an den Schulen, Kindergärten oder Sozialeinrichtungen, sowieso nur verwalten darf.

Betroffenheitslyrik von Politikern
Umso verlogener ist das Verhalten vieler Politiker, die sich gerade dann, wenn Wahlkampf ist, besonders gerne auf die Seite der Bürger stellen, obwohl es doch ihre Entscheidungen waren, die diese Entwicklung maßgeblich gefördert haben. Dann wird die Deutsche Bahn öffentlich für diese „Schande“ an den Pranger gestellt (z.B. von einem Rainer Brüderle, der mit seiner FDP am liebsten auch die Stadtverwaltung privatisieren würde…), die Praktiken der Jobcenter gerügt (z.B. von Grünen-Politikern, die Hartz 4 erst eingeführt haben) oder achselzuckend darauf hingewiesen, dass sowohl Polizei als auch Ordnungsamt notorisch unterbesetzt sind (z.B. von eben jenem Hans-Joachim Kosubek/CDU).

Was soll man denn tun, wenn die öffentlichen Kassen nun mal leer sind?
Sind sie aber gar nicht. Das Steueraufkommen der Bundesrepublik war im letzten Jahr so hoch wie noch nie und für alle möglichen Dinge ist eben immer noch genügend Geld da. Viele fragen sich zum Beispiel, warum wir mit unseren Hilfstruppen, Panzern und Raketen für Ordnung in Afghanistan sorgen müssen, wenn wir im eigenen Land nicht einmal genug Polizisten haben, um einen Streit schlichten zu können? Oder wieso in Worms plötzlich Geld da war für einen zusätzlichen Dezernenten im Stadtvorstand, obwohl man kurz zuvor aufgrund der prekären Haushaltslage Büchereigebühren, Schwimmbadeintritt und andere städtische Gebühren erhöhen musste? Oder warum man sich für Hartz 4-Empfänger ständig neue Spielchen einfallen lässt, wie man deren Leistungen noch weiter kürzen kann, aber an anderer Stelle darüber diskutiert, ob man den oberen Einkommensschichten einen höheren Steuersatz zumuten kann?

Die Lösung?
Die Prioritäten wieder anders setzen. Man könnte das vorhandene Geld durchaus sinnvoller verteilen und sogar für Zusatzeinnahmen sorgen, indem man z.B. – ganz banal – eine saftige Transaktionssteuer für die Börse einführen würde; dort, wo Tag für Tag Milliarden umgesetzt werden. Dann wäre auch mehr Geld für Ordnungskräfte, Pädagogen oder wegen mir auch Hartz 4-Empfänger vorhanden. Wenn man das denn wollte. Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, worauf sich der „American Way of Life“ gründet, denn zu den Hochzeiten der amerikanischen Wirtschaft betrug der Spitzensteuersatz in den USA fast 90%. Deswegen ist man in Amerika auch nicht neidisch auf die neue Luxuskarre des Nachbarn, weil jeder weiß, dass so einer auch jede Menge Steuern abgedrückt hat. In Deutschland regiert der Neid, weil die wirklich Reichen den gleichen Steuersatz wie ein Facharbeiter haben und trotzdem jedes erdenkliche Schlupfloch nutzen, um ihr Geld am Staat vorbei zu schmuggeln. Uli Hoeneß ist diesbezüglich sicherlich nur die Spitze des Eisbergs. „Für mehr Gerechtigkeit eintreten!“ haben sich im Bundestagswahlkampf fast alle Parteien auf die Fahne geschrieben. Man darf gespannt sein, welche Partei sich daran immer noch erinnert – nach dem 22. September…