Ein Rückblick auf ein Jahr voller Sicherheit
Es war der 19. Dezember 2016, der Deutschland endgültig die Unbeschwertheit im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik nahm, die ihren vorläufigen Höhepunkt im Sommer 2015 erlebte. Der Tunesier Anis Amri, der in jenem Sommer 2015 nach Deutschland kam, lenkte damals einen gestohlenen LKW auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Die Folge: 12 Tote, inklusive des eigentlichen LKW Fahrers, sowie 67 Verletzte.
Panzer, Wasserwerfer und der Kölner Jeck
Bereits am nächsten Tag zeigte sich auch in Worms, dass diese Tat ihre Spuren hinterlassen hat. Die Zufahrten zum Weihnachtsmarkt in der Innenstadt waren plötzlich mit großen Autos zugestellt, und über den Markt selbst liefen schwer bewaffnete Polizisten. Auf den restlichen Weihnachtsmärkten in Deutschland sah es nicht anders aus, währenddessen wurden im Radio und Fernsehen unablässig Menschen befragt, ob sie sich überhaupt noch trauen, einen Markt zu besuchen. Oft wurde dann Mantra-artig verkündet, dass wir uns unsere Art zu leben nicht nehmen lassen. Die Frage, die sich einem direkt aufdrängte: „Wie lange können wir das noch so sagen?“ Heute, etwas mehr als ein Jahr später, wissen wir alle, dass unser Leben längst an die neuen Bedrohungsformen angepasst wurde. Was das im Einzelnen bedeutet, das mussten im vergangenen Jahr vor allem Veranstalter schmerzlich erfahren. Während man bei der Wormser Straßenfastnacht „Spass uff de Gass“ noch relativ unbehelligt von größeren Sicherheitsmaßnahmen feiern konnte, sah das in anderen Städten schon deutlich anders aus. Wie NTV berichtete, wurde z.B. der Kölner Fastnachtsumzug gleich von Panzern, Wasserwerfern und Polizisten in Maschinengewehren begleitet. So feiert der Jeck natürlich gerne. „Niemand soll aus Angst auf seine Teilnahme am Straßenkarneval verzichten müssen“, sagte damals die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, was im Hinblick auf die Maßnahmen ein wenig zynisch klingt. Für Aufregung sorgte der Umstand, dass die Stadt die Fastnachtsvereine für diese umfangreiche Aufrüstung zur Kasse bat und nicht wenige Vereine darum fürchteten, ihrer Tradition nicht mehr gerecht werden zu können. Letztlich sprangen bei dem einen oder anderen Verein Sponsoren ein, sodass der Zug mit allen Karnevalisten stattfinden konnte. In Folge der „abstrakten Terrorgefahr“, wie es im Sprachjargon der Regierung heißt, verfassten die Kommunen neue Sicherheitskonzepte, insbesondere für die zahlreichen Großveranstaltungen in den Sommermonaten. Im Wesentlichen sahen die vor allem Poller vor, also große Zementblöcke, die auch gerne mal verkleidet werden, sowie eine deutliche Aufstockung privater Sicherheitsleute. Natürlich alles abgesichert von einem höheren Polizeiaufkommen. Ein erstes Opfer dieser neuen Regulierungswut war das beliebte Schützenfest in Wuppertal. Ebenso wurde in Eutin ein Stadtfest abgesagt. Auch hier sollten mehr Sicherheitsleute angestellt und Sicherheitsbarrieren angeschafft werden. Da die Veranstaltung laut Organisator nicht gewinnorientiert angelegt ist, seien die zusätzlichen Kosten von 20.000 Euro nicht zu bewältigen. Nicht anders sah das beim Schützenfest / Stadtteilfest in Hannover Misburg aus, das von der Schützengesellschaft ausgerichtet wurde. Dort beklagten die Organisatoren, dass sie rund 60% an Mehrausgaben gehabt hätten. Eine Mehrbelastung, die kaum ein privater Betreiber stemmen kann.
Wie der Wonnegauer Weinkeller zur Festung wurde
Auch in Worms kann man ein Lied davon singen, was erhöhte Sicherheitsauflagen bedeuten. Besonders laut konnte man das 2017 von den Winzern hören, deren traditionsreicher Wonnegauer Weinkeller während des Backfischfestes unter der Last der Regulierung fast zu kollabieren drohte. Auch hier wurde im Vorfeld von weitreichenden Sicherheitsvorkehrungen gesprochen. Wie diese aussahen? Bereits an den Zugängen zum Festgelände erwartete einem zu unterschiedlichen Uhrzeiten entweder ein Heer von Polizisten, Sicherheitsleuten oder Ordnungsbehördenmitarbeitern. Willkürliche Kontrollen sorgten dabei durchaus für Fragezeichen. Es erschloss sich einem nicht wirklich, warum eine ältere deutsche Dame unbedingt ihre Handtasche vorzeigen musste, während ein paar Meter nebendran Menschen mit Rucksäcken, opulent beladenen Kinderwägen oder eben vollverschleiert nicht einmal eines Blickes gewürdigt wurden. Natürlich möchte man den Eindruck vermeiden, bestimmte Personengruppen zu stigmatisieren, andererseits weiß jeder, warum seit zwei Jahren verstärkt kontrolliert wird. Doch all dies war für die Besucher nur Vorgeplänkel dessen, was sie am besagten Weinkeller erwartete, denn dort musste auf Wunsch der Stadt ordentlich aufgerüstet werden. Die zusätzlichen Kosten dürften in einem ähnlichen Rahmen wie bei dem oben erwähnten Fest in Eutin ausgefallen sein. Als unglücklich erwies sich besonders, dass man die neuen Maßnahmen im Vorfeld nicht kommuniziert hatte, sodass sich viele Besucher vor den Kopf gestoßen fühlten, als sie von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes den Satz hörten: „Du kommst hier nicht mehr rein!“ (siehe WO! 10/2017). Denn zusätzlich zur abstrakten Terrorgefahr kam hinzu, dass man sich bei der Stadt an das tragische Unglück bei der Loveparade 2010 in Duisburg erinnerte. Zumindest wurde diese Veranstaltung bei einem abschließenden Pressegespräch in diesem Kontext ebenso benannt wie der Umgang mit schweren Unwettern, die die weinselige Laune trüben könnten. Natürlich kratzt man sich als Reporter verwundert den Kopf und überlegt, dass wir wohl in den letzten Jahren ganz schön leichtsinnig gelebt haben, stets mit dem Damoklesschwert eines drohenden Unheils über dem Kopf. Die Konsequenzen dieser Entscheidungen schufen schließlich zusätzliche Probleme. Im überfüllten Zelt stellte sich phasenweise Beklemmung ein, während es vor dem Zelt zunehmend zu Tumulten kam. Gruppen wurden getrennt und das Unverständnis wuchs. Am Ende mussten Gäste, Polizei und alle weiteren Beteiligten gemeinsam für Ordnung sorgen. Die Sehnsucht nach Sicherheit ist natürlich nachvollziehbar, insbesondere für die Veranstalter, die auch keinen Hehl daraus machen, dass es ihnen in erster Linie um den eigenen Kragen geht. Denn dort werden diese zuerst geschnappt, wenn doch etwas schief geht und die Frage nach dem „Warum?“ laut wird. Für das kommende Jahr soll das Konzept überarbeitet werden, auch wenn OB Kissel bei dem besagten Gespräch betonte, dass es ein Zurück zu den alten Zeiten definitiv nicht mehr geben wird. insofern kann man den Satz, „Wir lassen uns unsere Art zu leben nicht nehmen“, getrost der Vergangenheit zuordnen, denn unsere Art zu leben und zu feiern haben wir schon längst geändert.
Mainz – ein Vorbild für den Rheinland-Pfalz-Tag 2018?
Wie Regulierungswut dazu führen kann, dass man die Stimmung eines ganzen Festes mit einem Handstreich eliminieren kann, zeigte das Beispiel der Einheitsfeierlichkeiten in Mainz am 3. Oktober 2017, inklusive Bürgerfest. Während die unschönen Betonsteine mittlerweile zum alltäglichen Bild von Märkten und Festen gehören, sicherten sagenhafte 7.400 Polizisten die eingeladenen Politiker vor unerwünschten Reaktionen. 117 (!) Straßensperren machten Mainz für diesen Tag zur bestgesichertsten Festung Deutschlands, die mit Hubschraubern auch aus der Luft überwacht wurde. Zugeschweißte Gully-Deckel und die Aufforderung an Mainzer, die in der Innenstadt wohnen, sich nicht am Fenster zu zeigen, sorgten für die restliche Sicherheit bzw. Unsicherheit. Infolgedessen gab es zwar keine Zwischenfälle mit demonstrierwilligen Wutbürgern und fehlgeleiteten Islamisten, allerdings glich die Feier stimmungsmäßig eher einem Trauerakt. Die Besucher blieben aus, viele Mainzer verabschiedeten sich für ein paar Tage aus der Stadt, aber die Politik klopfte sich einmütig auf die Schulter, mal wieder alles richtig gemacht zu haben. Man kann nur hoffen, dass man bei den Planungen für den anstehenden Rheinland-Pfalz-Tag 2018 in Worms nicht von dem Ehrgeiz beseelt ist, auch diesen Tag zur Leistungsschau zu machen, was Sicherheit und Ordnung angeht. Sicherheit ist wichtig, keine Frage. Aber uns allen muss bewusst sein, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Ein beliebtes Wort bei Politikern ist „Augenmaß“. Das sollte auch hier Anwendung finden. Tatsache ist, dass die Welt – durch die Handlungen von unverantwortlichen Politikern in Ost und West – ein ganzes Stück gefährlicher geworden ist und wir uns in unserem Sicherheitsbedürfnis krampfhaft darum bemühen, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass Terroristen leider ebenso auf diese Entwicklung reagieren und sich immer wieder neue Methoden oder Orte einfallen lassen, um die Menschen mit ihrem rassistisch fundamental geprägten Hass zu überziehen.
Der Preis steigender Sicherheit
Weniger Sicherheitsmaßnahmen sind jedoch in Zukunft eher nicht zu erwarten. Im Oktober meldete sich die EU-Kommission zu Wort und erklärte, dass die Städte mehr für die Sicherheit machen müssten. Konkret schlägt die Brüsseler Behörde einen „Aktionsplan zum verbesserten Schutz öffentlicher Räume“ vor. Die Frage ist, wie wir dem letztlich begegnen. Die Antwort darauf wird sicherlich eine der spannendsten der nächsten Jahre sein, denn diese entscheidet auch darüber, ob es sich für private Veranstalter überhaupt noch lohnen wird, etwas zu organisieren oder ob der Staat zukünftig die Rolle des Unterhaltungsmonopolisten übernimmt. In Worms sind die meisten Veranstaltungen sowieso in städtischer Hand bzw. werden von der KVG organisiert, die zur Stadt gehört. Insofern steht dem Wormser Feierspaß nur wenig im Weg, außer vielleicht eine Ordnungskraft, die sagt: „Du kommst hier nicht rein!“