Das Gespräch führten: Dennis Dirigo und Christiane Walther
Spätestens, als Marcus Held mit 26 Jahren Bürgermeister in Oppenheim wurde, der jüngste in der Geschichte von Rheinland Pfalz, war sein Weg nach oben vorgezeichnet. Bei der Wahl zum Bundestagskandidaten für den Wahlkreis Worms-Alzey-Oppenheim setzte er sich gegen den Wormser Kandidaten, Timo Horst, durch, der seinerseits mit der Wahl zum Hochheimer Ortsvorsteher für Furore gesorgt hatte. Aber die Delegierten entschieden sich deutlich für Held, der nun seiner Favoritenrolle gerecht werden und das Erbe von Klaus Hagemann antreten soll.
Wie kamen Sie zur SPD?
Als Schüler habe ich mich schon sehr früh für tagesaktuelle Themen interessiert und wollte mich politisch engagieren. Deshalb habe ich mir alle Parteien angesehen. Die SPD war von ihren Grundüberzeugungen die Partei, in der ich mich – als Arbeiter bzw. Arbeitnehmer – am ehesten wieder gefunden habe, vor allem beim Thema Bildung. Die grundsätzliche Weltanschauung, dass jeder eine Chance und Perspektive im Leben hat, die sich nicht nach dem Geldbeutel der Eltern richten darf, sondern nach den tatsächlichen Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen, war für mich ganz wichtig. Da sehe ich nur die SPD, die dies in dieser Ausprägung nach wie vor vertritt.
Was hat Sie dazu bewegt, Bundestagskandidat zu werden?
Ich habe seit fast zehn Jahren kommunalpolitische Erfahrung als Bürgermeister, war mit 26 Jahren in Oppenheim jüngster Bürgermeister von Rheinland-Pfalz im Jahr 2004. Viele Entscheidungen im Bundestag oder Landtag werden getroffen, ohne dass die Kommunen berücksichtigt werden. Deswegen ist es wichtig, dass Menschen, die an der Basis kommunalpolitische Erfahrung haben, stärker in die Parlamente kommen. Damit es nicht immer nur heißt: „Die da oben, da können wir eh nix ändern.“ Wenn nämlich alle so denken, können wir auch nichts ändern.
Es sind noch knapp 2 Monate bis zur Bundestagswahl. Derzeit liegt die Kanzlerin deutlich vor der SPD. Glauben Sie daran, dass die SPD das Ruder noch rumreißen kann?
Es wird darauf ankommen, wie die SPD ihre Themen verkauft und wie es zum Bürger durchdringt.
Was meine Kandidatur angeht, habe ich ein sehr gutes Gefühl, weil die Leute sehr intensiv differenzieren. Ich werbe für die Erststimme und dafür, dass der Wahlkreis von Klaus Hagemann weiterhin positiv in Berlin vertreten bleibt.
Glauben Sie, dass es eine gute Entscheidung war, Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat zu nominieren? Er war ja bereits in der Großen Koalition als Finanzminister tätig und hat nicht immer eine populäre Figur abgegeben…
Frau Merkel hat es geschafft, die Erfolge, die in der Großen Koalition umgesetzt wurden, allein auf sich zu verbuchen. Und die SPD hat es nicht verstanden, Erfolge, die z.B. Peer Steinbrück als Finanzminister errungen hat, u.a. dass in der Eurokrise die Ersparnisse sicher geblieben sind, für sich zu verbuchen. Auch das Thema Atomausstieg war ein Erfolg der SPD. Die SPD war immer ein Bewahrer der sozialen Interessen! Das ist nicht genug rüber gekommen. Man verbindet leider Peer Steinbrück zu sehr mit der Agenda 2010. Und aufgrund der Tatsache, dass er klar Farbe bekennt und damit im Widerspruch zur Kanzlerin steht, hat es die SPD momentan so schwer.
Die Grünen – Ihr Wunschpartner Nr. 1?
Für die SPD ist es wichtig, eine Führungsrolle einzunehmen. Das ist das Ziel. Aber in dem Parteigefüge sind die Grünen die Partei, mit der wir als SPD mit Abstand die meisten Überschneidungen haben, vor allem im sozialen Bereich. Natürlich ist eine Partnerschaft immer ein Kompromiss, aber wir sehen, dass es mit den Grünen sehr gut funktioniert. Im Land Rheinland-Pfalz beispielsweise ist eine Rot-Grüne-Koalition und wie in vielen anderen Bundesländern auch. Viele wichtige Themen lassen sich auf Bundesebene nur mit den Grünen umsetzen, wie z.B. die doppelte Staatsbürgerschaft. Viele Reformen, die auch eine gewisse Modernität für Deutschland mitbringen, sind für ein modernes Deutschland nur mit Rot-Grün hinzubekommen, alles andere wären nur faule Kompromisse.
Wo wäre im sozialen Bereich eine Überschneidung?
Beim Thema Mindestlohn. SPD und Grünen fordern flächendeckenden Mindestlohn in allen Bundesländern, unabhängig von der Region, von mindestens 8,50 EUR. Die Linkspartei will mehr, die CDU nähert sich erst. Die Frau Merkel hat sich in den letzten Wochen vielem genähert und angekündigt, wenn sie wieder gewählt wird, dass sie ab Oktober alles anders machen will und plötzlich viel sozialer regieren will. Da frage ich mich, für was Frau Merkel zwei Perioden Regierungschefin in Deutschland war?
Inwieweit könnte sich die SPD dann noch von den Christdemokraten unterscheiden, wenn die CDU dann die sozialere SPD wird?
Ganz einfach dadurch, dass die SPD Inhalte nicht kurz vor der Wahl aufnimmt, um damit zu gewinnen, sondern die Position auch dann noch vertritt, wenn sie nicht immer populär ist. Da bleibe ich bei den Themen „Mindestlohn“ oder „doppelte Staatsbürgerschaft“. Das sind Themen, bei denen sich die CDU vor der Wahl zu bewegen scheint, weil sie merkt, dass die Mehrheit der Bevölkerung anders positioniert ist. Und es könnte eine Gefahr für Frau Merkel sein, wenn die Union weiterhin ihre wirkliche Meinung vertritt; nämlich, dass sie gar nicht so sozial ist, wie sie tut.
Bürgermeister von Oppenheim, ist etwas anderes als in Berlin zu sein, wo es ganz viele Interessensgruppe gibt. Wie setzen Sie sich mit dem Thema Lobbyismus auseinander?
Ich merke schon jetzt als Kandidat, dass der Lobbyismus auf Bundesebene ganz massiv ausgeprägt ist. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht einen Brief bekomme von irgendeinem Lobbyismus-Verein. Da ist es ganz wichtig, dass man seinen eigenen gesunden Menschenverstand und seine Erfahrungen einsetzt. In der Kommunalpolitik gibt es auch Lobbyismus. Er ist nicht nur in Verbänden und Vereinen ausgeprägt, sondern auch in Bürgergruppen, die ihre Interessen umsetzen wollen. Es unterscheidet sich also kaum. Man muss lernen, abzuwägen und als Abgeordneter Unabhängigkeit einnehmen und stets wissen, von wem man gewählt ist. Deswegen will ich ja direkt gewählt werden, um eine gewisse Unabhängigkeit zu haben und nur für die Bürger in meinem Wahlkreis zuständig zu sein. Und nicht ein Listenkandidat, der sich für irgendwelche Lobbyisten einsetzt.
Können Sie den Ärger der kleinen Leute verstehen, die das Gefühl haben, dass mit den Steuergeldern in erster Linie Banken gerettet wurden, aber für andere Dinge nichts übrig bleibt?
Ich kann den Ärger nicht nur verstehen, ich vertrete ihn auch, weil es irgendwo auch Grenzen geben muss. Da ist die Politik ein Stück weit selbst schuld, denn wenn man solche Rettungen vornimmt, dann muss der Steuerzahler, vertreten durch die Bundesregierung, auch Mitentscheidungsrechte haben. Das hat die Regierung aber nicht gemacht. Es wurden immer wieder Ausfallbürgschaften in Milliardenhöhe gegeben, aber die Entscheidungsbefugnis ist privat geblieben. Das kann es nicht sein. Ich erwarte mehr Reglementierung, auch in anderen Ländern. Hier muss eine staatliche Kontrolle eingeführt werden. Wir brauchen Einigungen auf europäischer Ebene, das haben Zypern und Griechenland gezeigt. Wobei ich davon aus gehe, dass spätestens nach den Wahlen nochmal enormes Geld nachgeschossen werden muss.
Es ist ja um das Thema Griechenland erstaunlich ruhig geworden, man bekommt den Eindruck, dass es besser geworden ist, was aber wohl nicht der Fall ist, oder?
Das Gegenteil ist der Fall und ich glaube die Macht von Frau Merkel auf EU-Ebene ist so stark, auch beim letzten EU-Gipfel durchzusetzen, dass das Thema bis Oktober klein gehalten werden muss. Das ist auch ein Thema, das wir in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen müssen. Dass die Wähler entscheiden müssen, in welche Richtung es nach der Wahl geht. Mehr Verantwortungsbewusstsein, wofür Steinbrück steht, oder weiterhin der Turboliberalismus von Frau Merkel und der FDP?
Derzeit ist das Thema Überwachung wieder sehr groß in den Medien. Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung stellt sich vermehrt die Frage: Wie weit ist die Bundesrepublik denn tatsächlich noch von einem Überwachungsstaat wie der DDR entfernt?
Wenn man die offiziellen Verlautbarungen der Regierung anhört, wird hier niemand überwacht. Wenn man sich die Realität anschaut, ist es sehr viel anders. Ich würde es vergleichen mit der RAF-Zeit unter sozialliberaler Regierung. Da hat ein Bundeskanzler Helmut Schmidt eben gerade nicht dafür gesorgt, dass immer mehr Überwachung eingeführt wird, sondern er hat die RAF als Terrororganisation bekämpft, ohne die Bürgerrechte einzuschränken. Das muss wieder unser Ziel sein. Es ist für mich enttäuschend, dass sich eine Partei wie die FDP, die in den 70er Jahren mal für Bürgerrechte stand, vollkommen bedeckt hält und es toleriert – alles unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Interessen. Ich fordere mehr Bürgerrechte! Daher spielen im Bundestagswahlkampf auch Fragen wie die Datenvorratsspeicherung und andere eine wichtige Rolle. Und dazu hat die SPD eine eindeutige Meinung, weil durch die letzten Antiterrorgesetze die Einschränkungen der Bürger völlig ausreichend ausgereizt sind. Wir müssen einen Kontrollmechanismus einführen, dass so etwas stärker überwacht wird. Wie weit der Staat gehen darf, das fehlt mir auch in der EU komplett.
Nehmen Sie bei ihren Wahlkampfterminen auch Politikdesinteressiertheit wahr?
Nein, im Gegenteil. Ich nehme gesteigertes Interesse an politischen Themen wahr, vielleicht nicht an parteipolitischen Themen. Aber eigentlich ist im Leben alles Politik. Wenn ich zum Arzt gehe und feststelle, der gibt mir keine Überweisung mehr, weil das die Krankenkasse nicht mehr bezahlt, das ist genauso Politik, wie wenn ich an die Tankstelle fahre und sehe, dass das Benzin aufgeschlagen ist. Oder wenn ich meine Stromabrechnung bekomme und mich wundere, dass es schon wieder teurer geworden ist. Das ist alles Politik. Und die Leute diskutieren über diese Themen, sie sind nur nicht immer mit den Lösungsangeboten einverstanden.
Wie bereiten Sie Ihre Familie auf den potentiellen Wechsel nach Berlin vor?
Gar nicht, weil ich nicht nach Berlin wechseln würde, sondern – das möchte ich zum Abschluss betonen – diesen Wahlkreis Worms-Alzey-Oppenheim – im Bundestag vertreten möchte. Klaus Hagemann, der das fast zwei Jahrzehnte getan hat, war überwiegend hier im Wahlkreis. Ich sehe den Schwerpunkt meiner Tätigkeit, wenn ich der Abgeordnete der Region werde, hier vor Ort als Ansprechpartner zu sein. Natürlich bin ich in den Sitzungswochenenden in Berlin, das stellt aber noch nicht mal die Hälfte der Zeit dar. Das habe ich mit meiner Familie sehr früh besprochen. Ich hätte nicht kandidiert, wenn meine Familie nicht voll und ganz hinter mir stehen würde.
Herr Held, vielen Dank für das Gespräch!