Autorin: Stefania Fort*
Als ich am Morgen des 9.November, genau 27 Jahre nach dem Mauerfall, erfahren habe, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewonnen hatte, musste ich erstmal laut lachen und meine erste Reaktion war eine freudige. Dass Hillary Clinton kein würdiger Kandidat war, das wussten wir doch so ziemlich alle. Es reicht nicht, Frau zu sein. Unter anderem empfinde ich es als sehr diskriminierend, wenn vor allem Frauen für eine Kandidatin plädieren – allein des Geschlechtes wegen. Da haben wir Frauen, und auch Männer, doch etwas mehr verdient. Ist das nicht schlichtweg die andere Seite des Populismus? Aber vielmehr ist Hillary Clinton die Inkarnation der politischen Elite und des Neoliberalismus. Es konnte also nicht die Rede von einer wirklichen Alternative zu den Republikanern sein. Bernie Sanders, der größte Rivale der Clinton im Kampf um die Nominierung der Demokraten, wäre sicherlich mein liebstes Resultat gewesen, aber Sanders ist leider zu „sozialistisch“ für die Amerikaner. Was uns hier aber interessieren sollte, ist der Fakt, dass Hillary Clinton die politische Elite und den Neoliberalismus verkörpert, denn genau gegen diese zwei Instanzen glauben die Trump-Wähler zu kämpfen.
Trump hat in seiner Wahlkampagne und letzten Endes mit seinem Sieg bewiesen, dass er den Frust vieler Menschen zu nutzen wusste. Frust, der nicht nur in Amerika, sondern leider auch in vielen Teilen Europas zu spüren ist. Frust, der seit Beginn der letzten Wirtschaftskrise immer mehr Menschen beherrscht. Frust, aus dem Angst geworden ist. Und die Angst des Volkes wird zu einer einfachen Waffe für Populisten (das wussten Hitler und Goebbels, um ein sehr extremes Beispiel zu nennen, sehr gut). Die Angst des Volkes wird zu einer gefährlichen Waffe für uns alle. Seit 2008 ist die Impotenz der Politik gegenüber der Wirtschaft, vielmehr der Finanzwelt, greifbar für jeden geworden. Was bis dahin nur für einige Globalisierungskritiker sichtbar war, ist zu einer allgemeinen Erkenntnis geworden und zu einer allgemeinen Unzufriedenheit über den Status quo mutiert. Die Ohnmacht der Politik gegenüber der Finanzwelt, die Austeritätspolitik ist das beste Beispiel hierfür, haben, statt des Kapitalismuslimits, die Grenzen der Demokratie zum Vorschein gebracht. Ein rationaler Antikapitalismus wäre mehr als wünschenswert gewesen, stattdessen ist das traurige Resultat ein militanter antidemokratischer Wirrwarr. Der Frust und die Wut eines Trump-Wählers gehen über die aktuelle wirtschaftliche Situation hinaus. Es geht um das ganze politische System, dies gilt auch für die europäischen Le Pen-Wähler oder für die Anhänger der AfD. Und in allen Ländern, in denen zurzeit populistische Positionen an Kraft gewinnen, stellen sich diese Populisten als wahre Verteidiger des Volkes und der Demokratie dar („Wahrheit“ ist immer wieder auf den Plakaten der AfD zu lesen). Das ist mit das absurdeste und erschreckendste an der ganzen Geschichte. Denn in den extremsten Fällen versteckt sich dahinter eine Revolte gegen die Normen eines zivilen und demokratischen Zusammenlebens. Für viele linke Intellektuelle war es keine Neuigkeit, dass das Machtzentrum immer mehr seinen Mittelpunkt außerhalb der Politik hatte, inmitten der multinationalen Konzerne, dass diese mächtiger als jede Regierung selbst geworden waren, dass mit der Privatisierung auch ein Kontrollverlust über weite Sektoren der Wirtschaft einherging. Seit 2008 wissen wir es nun alle. Was wir aber nicht sehen wollen, ist die Tatsache, dass unser wirtschaftliches System selbst eine Folge von Entscheidungen ist, politischer Entscheidungen. Stattdessen behandeln wir dieses System, als wäre es transzendent und glauben, wir müssten unsere politische Struktur ändern. So lassen wir uns vom ersten Marktschreier überzeugen, und sind immer auf der Suche nach einem falschen Schuldigen und einem starken Strafrichter. Der starke Mann. Trump, Erdogan, Orbàn, und wie sie alle heißen. Denn Trumps Attraktivität ist genau diese, der sagt, was er denkt, also wird er auch tun, was er sagt, der hat vor keinem Angst. Den kriegen die Großen der Finanzwelt nicht klein. Oder noch schlimmer: Wir brauchen einen starken Mann (oder auch Frau, siehe Le Pen oder Petry), der unsere Werte, unsere Wirtschaft, aber vor allem unsere Grenzen schützt.
FRUST, WOHIN MAN SCHAUT
In den letzten 20 Jahren hat sich das Einkommen des Durchschnittsamerikaners, in Europa ist die Lage nicht besser, verringert oder stagniert. Gleichzeitig hat sich kulturell aber einiges getan: die Homo-Ehen z.B.. Worauf ich hinaus will, ist, dass neben dem wirtschaftlichen Frust sich ein kultureller, sozialer Frust breit gemacht hat. Für einen weißen, wirtschaftlich frustrierten, amerikanischen Arbeiter – das Szenario kann genauso gut auf Italien oder Frankreich transferiert werden – ist dieser kulturelle Wandel destabilisierend. Eine Gesellschaft, die Schwarzen, Frauen, Homosexuellen und Ausländern die gleiche Wichtigkeit zuspricht, ist im offenen Widerspruch zu den traditionellen Werten, mit denen viele im amerikanischen Inland, aber wie gesagt, nicht nur dort, groß geworden sind. So lange es welche gibt, die in der sozialen Hierarchie unter mir stehen, kann ich diesen ökonomischen Frust ertragen, jetzt, da auch diese Illusion vernichtet worden ist, zusammen mit Haus und Arbeit, wird aus dieser Fragilität Angst. Jetzt, wo ich mein Viertel nicht mehr erkenne, weil immer mehr Kopftücher zu sehen sind, empfinde ich es nicht mehr als meins, ich fühle mich enteignet, und habe um meine Identität Bammel. Jeder Kontext ist, natürlich, einzigartig, aber diese heterogene Gruppe von populistischen Parteien, vom Front National in Frankreich, über die Lega Nord in Italien, zu Farange vom Ukip und der Brexit-Entscheidung in Großbritannien, zu Hofer in Österreich, Wilders in den Niederlanden, weiter in den skandinavischen Ländern, und ich könnte jetzt so weitermachen, hat eines gemeinsam: ihre Sympathisanten sehen sich allesamt verraten. Die traditionellen Parteien haben sie enttäuscht und sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus kultureller Sicht fühlen sie sich vergessen und hintergangen. Ihr Einkommen hat sich verringert oder sie haben ihren Arbeitsplatz verloren, weil ihre Firma ins Ausland transferiert hat. Die Suche nach Schuldigen ist der nächste Schritt, und so sind es natürlich die Ausländer, die uns unsere Arbeit stehlen oder unseren Sozialstaat ausnutzen. Und die EU ist ganz klar der größte Verräter und Nutznießer unserer Steuern.
RASSISMUS ALS NEUER ZEITGEIST?
Wenn wir nicht aufpassen, dann wird aus diesen Anti-Gefühlen der neue Zeitgeist hervorgehen. Dann werden Rassismus, Nationalismen und Diskriminierung zu unserem täglichen Brot. Und statt unsere Grenzen für Menschen in Not zu öffnen, werden wir immer neue Mauern bauen. Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, gab es auf der Welt knapp über zehn Mauern, heute sind wir bei rund 70. 27 Jahre später verspricht Trump, eine weitere Mauer zu bauen. Neben den physischen Mauern ist es heute umso wichtiger, die psychischen Mauern zu durchbrechen. Meine Reaktion auf Trumps Wahl war eine hysterische und sagen wir freudige, denn ich befürchte, dass man ganz tief fallen muss, um wieder aufzustehen.
*Zur Autorin: Stefania hat bis vor fünf Jahren ein paar Monate lang für unser Magazin geschrieben, ehe sie zurück in ihre Heimat Italien gegangen ist. Obwohl sie dort eine eigene Familie gegründet hat, ist sie noch fest mit Worms verwurzelt über ihren Vater, der hier das Restaurant „Tivoli“ (Adenauerring 4b) betreibt.