Es war eine durchaus gelungene Überraschung, als Christian Lindner (FDP) kurz vor Mitternacht des 19. November vor die Kameras trat und verkündete, dass nach viereinhalb Wochen die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, Die Grünen und FDP gescheitert waren. Überraschend war allerdings in erster Linie der Zeitpunkt, da kurz zuvor immer wieder vermeldet wurde, dass man nur noch in wenigen Punkten auseinander liegen würde. Deshalb steht Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit vor einem politischen Schlamassel. Soll sie eine Minderheitsregierung bilden oder sich erneut auf eine Koalition mit der SPD zubewegen? WO! traf sich mit dem wiedergewählten Abgeordneten Jan Metzler (CDU) und sprach mit ihm über die vergangene Wahl, sowie die daraus resultierenden Konsequenzen.
WO! Nachträglich zur Wahl unsere Glückwünsche. Sie hatten bundesweit eines der besten Ergebnisse als Direktkandidat. Hat ein solcher Erfolg auch Auswirkungen auf Ihre Arbeit in Berlin?
Erst einmal bin ich unheimlich dankbar, dass ich so ein Ergebnis als Kandidat erfahren durfte, aber ich bin niemand der versucht, daraus Kapital zu schlagen. Ich bin in erster Linie dankbar, dass ich das, was ich hier mache, weiter machen darf.
WO! Wir hätten eher in die Richtung gedacht, dass sich die Bundespartei mit den Ergebnissen ihrer Kandidaten beschäftigt und daraus Schlüsse zieht, wie z.B. „Der kommt gut an, den müssen wir fördern…“
Natürlich haben erste Gespräche stattgefunden, in denen mich der parlamentarische Geschäftsführer zum Kaffee eingeladen hat. Oder auch beispielsweise der Leiter des sogenannten inneren Dienstes. Für mich ist aber nur wichtig, da weiter machen zu dürfen, woran ich zuletzt gearbeitet habe. Ich möchte gerne weiterhin im Wirtschaftsausschuss verbleiben und da laufen im Moment erste Gespräche. Aber ihr müsst euch mal folgendes vorstellen, die Ausschusstätigkeit als solches ist aufgrund der derzeitigen Situation noch völlig offen, d.h. dass diese auch abhängig sind von dem zukünftigen Zuschnitt der Ministerien – und der ist abhängig von der noch nicht gebildeten Regierung. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob Wirtschaft und Energie zusammenbleiben.
WO! Der Weg zu einer funktionierenden Regierung scheint im Moment noch weit zu sein, nachdem die Sondierungsgespräche zwischen CDU/ CSU, FDP und Grünen gescheitert sind. Wie bewerten Sie das Scheitern?
Egal, wie man die derzeitige Situation bewerten mag – eines wird zumindest deutlich: Es kann niemand mehr nach diesen intensiven Verhandlungen behaupten, dass die demokratischen Parteien inhaltlich beliebig und austauschbar wären. Ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus CDU/ CSU, Grüne und FDP war für mich nie eine Wunschkonstellation. Es hatte aber das Potenzial, in einem durchaus schwierigen Umfeld widerstreitende Interessen im Sinne der Sache zusammenzubringen und unser Land in den kommenden vier Jahren mutig zu gestalten. Darin habe ich eine große Chance gesehen.
WO! Welche Auswirkungen hat das Scheitern der Gespräche?
Die Situation, in der wir uns derzeit befinden, ist alles andere als einfach. Die Union selbst ist bekannt dafür, dass sie in schwierigen Situationen zusammensteht und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Ohne Koalitionspartner wird es aber schwierig, eine tragende Basis zu finden, und hier gibt es von weitestgehend allen Parteien nur eine eingeschränkte Bereitschaft, in Regierungsverantwortung gehen zu wollen. Aus parteitaktischen Gründen mag ein Verzicht auf eine Regierungsbeteiligung kurzfristig vielleicht sogar nachvollziehbar sein. Alle Beteiligten müssen sich aber die Frage gefallen lassen, ob es der Demokratie gut tut, wenn für unser Land keine Konstellation zur Bildung einer Regierungsmehrheit bleibt. Denn als Partei hat man eben vor allem auch gegenüber dem gesamten Land eine Verantwortung. Dies sollte bei jeder Überlegung und Entscheidung sorgsam abgewogen werden.
WO! Wie bewerten Sie die Optionen Neuwahl oder Minderheitsregierung?
Auch wenn manche nun darauf spekulieren: Bei (möglichen) Neuwahlen ist nicht gegeben, dass die Mehrheitsverhältnisse sich deutlich verschieben. Dann wären wir nicht weiter als heute. Eine Minderheitsregierung wiederum macht eine politische Gestaltung schwierig, da für jede einzelne Entscheidung neue Mehrheiten gefunden werden müssen. Ich finde es deshalb gut und richtig, dass der Bundespräsident mit allen koalitionsfähigen Parteien nun Gespräche führt. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass die Parteien Lösungen finden und damit ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen – auch gerade dann, wenn eine Entscheidung eben nicht unbedingt einfach scheint. Denn für mich gilt der Grundsatz: Erst das Land und dann die Partei.
WO! Zwar werden die Amtsgeschäfte weitergeführt, aber ist der Bundestag in dieser Zeit wirklich regierungsfähig?
Absolut. Die aktuelle Regierung ist geschäftsführend im Amt. Dem Bundespräsidenten kommt allerdings eine besondere Stellung zu. Er muss den ganzen Prozess überwachen. Sollte er feststellen, dass es kein aktives Zugehen aufeinander gibt, dann könnte er eine Neuwahl ansetzen. Der parallel gewählte Bundestag konstituiert sich gesetzeskonform spätestens vier Wochen nach der Wahl. Das ist am 20. Oktober passiert, er ist also arbeitsfähig. Es gibt schließlich viele Aufgaben. Es müssen z.B. Bundeswehrmandate verlängert werden, es gibt Haushaltsfragen, die sich ergeben. Das wird auf Basis der allgemeinen Geschäftsordnung abgehandelt. Das ist natürlich alles nur als Übergang gedacht, allerdings könnten die Fraktionen auch die Idee fassen, einen Hauptausschuss zu bilden.
WO! Gehen wir nochmal zur Wahl zurück. Die Union hat auch ziemlich viel Stimmen verloren…
Nicht nur das, man muss klar festhalten, es ist das schlechteste Ergebnis seit 1947.
WO! Was ist Ihre persönliche Erklärung für das schlechte Abschneiden?
Ich glaube, es ist eine Mischung aus Vielem. Die Menschen leben in einer aufgewühlten Zeit und haben regelrecht Verlustängste. Sie fühlen sich nicht mehr gehört. Sie haben das Gefühl, dass Politiker über alles Mögliche reden, das aber viel zu abstrakt ist. Man muss aber auch den Bürgern erklären, dass wir als Politiker nicht unfehlbar sind. Und wir haben Fehler gemacht, gerade wenn es um komplexe Themenfelder wie die Flüchtlingssituation geht. Ich sage ganz ehrlich, wenn wir die vielen ehrenamtlichen Helfer nicht gehabt hätten, hätten wir diesen Umstand nicht annähernd bewältigen können. Deshalb ist es unabdingbar, dass wir nach außen das Signal senden: Wir haben verstanden und fangen auch an, nach diesem Verständnis zu handeln. Es ist nicht damit getan, dass wir uns am Ende des Tages vor die Kameras stellen und sagen, dass wir unsere strategischen Wahlziele erreicht haben. Da bin ich ganz ehrlich.
WO! Unser Eindruck ist allerdings genau der, nämlich, dass die bürgerlichen Parteien immer noch nicht verstanden haben, was in diesem Land vor sich geht.
Diesen Eindruck kann man durchaus gewinnen und das ist entschieden falsch. Die gesamte politische Landschaft in Deutschland hat sich komplett umgekrempelt.
WO! Zu dem Umgekrempelten gehört auch, dass nach vielen Jahrzehnten wieder eine rechtspopulistische Partei im Bundestag sitzt. Was ist Ihre persönliche Meinung, wie man mit der AfD umgehen sollte?
Ich glaube, dass man die AfD parlamentarisch und inhaltlich stellen muss. Da ist es nicht damit getan, dauernd die Situation zu beklagen. Wir müssen den Abgeordneten dieser Partei klipp und klar sagen, dass wir gerne über Konzepte diskutieren können. Das muss aber auf beiden Seiten sachlich bleiben. Die Keule auszupacken, hilft niemanden. Was auf keinen Fall passieren sollte, ist, dass sich der Wahlkampf zukünftig in den parlamentarischen Betrieb verlagert.
WO! Die AfD wurde von vielen aus einer nicht greifbaren Angst vor der Zukunft gewählt. Wie kann man aus Ihrer Sicht den Menschen diese Angst nehmen?
Als Abgeordnete müssen wir erkennen, dass wir in erster Linie für unseren Wahlkreis verantwortlich sind, d.h. wir sind Teil einer Gemeinschaft – und die lebt vom Zusammenhalten. Konkret bedeutet das für mich, viele Einzelgespräche zu führen und wirklich zuzuhören. Ich muss gestehen, dass ich oftmals selbst nicht mehr die Sprache derer, die politisch aktiv sind, verstehe; sprich, ich denke, viele Politiker haben verlernt, aktiv zuzuhören.
WO! Das alleine kann nicht die Erklärung sein. Nehmen wir das Beispiel Neuhausen, insbesondere den Bezirk zwischen Würdtweinstraße und Gaustraße. Dort sind seit längerem „Die Linken“ sehr aktiv unterwegs, unterstützen die Mieter bei ihren Problemen mit der Wohnungsbau. Und dennoch hat dort die AfD ziemlich hohe Werte erreicht, „Die Linken“ aber nicht, obwohl sie sich aktiv gekümmert und zugehört haben…
Ich denke, man muss es so deuten, dass die Leute uns ein Signal geben wollten. Es passieren derzeit Dinge, die irgendwie nicht mehr zusammenpassen sollen. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt und vieles mehr.
WO! Bei der sinkenden Zahl an Arbeitslosen müssen wir allerdings intervenieren. Die reale Zahl ist deutlich höher als die offiziell bekanntgegebene. Man muss auch dazu sagen, dass immer mehr Menschen im sogenannten Niedriglohnsektor arbeiten oder auf Zweitjobs angewiesen sind – auch und gerade in Worms…
Ich finde, es ist entscheidend, dass wir seit der Wiedervereinigung den Höchststand an sozialversicherungspflichtigen Jobs haben und das sehe ich als maßgebend. Trotzdem muss ich eingestehen, dass damit offenbar nicht alle Probleme gelöst sind.
WO! Es ist auch keine Erfindung von uns, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland immer größer wird…
Das ist richtig, vor allem sehe ich, dass auch die Mittelschicht von Verlustängsten geplagt ist.
WO! Um diese Kluft abzumildern, wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, endlich eine vernünftige Vermögenssteuer einzuführen. Mit dem Geld könnte man wiederum die Kommunen stärker unterstützen, damit diese z.B. günstigen Wohnraum schaffen können. Warum tut sich die CDU so schwer damit?
Weil aus unserer Sicht, die übrigens auch von anderen Parteien geteilt wird, die Steuer mehr Aufwand verursacht, als dass sie Geld einbringt.
WO! Auch das kann aus unserer Sicht nicht die Antwort sein. Schließlich treiben Stadt, Land und Kommunen auch andere Steuern ein, deren Verwaltung ebenso in keinem Verhältnis steht. Als kleiner Betrieb wurden wir in den vergangenen Jahren mehrfach einer intensiven, aufwändigen Steuerüberprüfung unterzogen, nur um am Ende festzustellen, dass ohnehin alles korrekt ist. Der Aufwand kann also nicht die Antwort sein, zumal wir mit Sicherheit nicht in einer Liga mit den Milliardären dieses Landes spielen!
Wir könnten jetzt natürlich alle Steuerarten durchgehen. Aber es kommt im Moment doch gar nicht auf die Einnahmen an, immerhin hat der Bundeshaushalt ein Einnahmen-Volumen wie schon lange nicht mehr.
WO! Dennoch hat man bis zur Flüchtlingskrise von unserem Finanzminister immer wieder die Aussage gehört, dass für diese und jene Ausgabe kein Geld da ist. Es kann doch insofern nicht sein, dass wir sagen, wir verzichten einfach auf Steuereinnahmen, obwohl wir in diesem Land durchaus für verschiedene Dinge mehr Geld benötigen würden. Die Stadt Worms kann davon wohl ein Lied singen!
Man muss auch sagen, dass viele Vermögende die Möglichkeit haben, ihre Einkünfte umzuschichten, sodass die Steuereinnahmen wahrscheinlich doch geringer ausfallen oder eben andere treffen.
WO! (Anmerkung Redakteur Dirigo): Das heißt, weil ich nicht die Möglichkeit habe, alle Maßnahmen abzuschöpfen, um Steuern zu vermeiden, muss ich wohl oder übel rund 40% meines ohnehin nicht üppigen Gehalts abführen? Das ist doch nicht gerecht?
Man muss in dieser Debatte aber auch ganz klar sagen, dass viele Vermögende sich sehr engagieren und karitativ einsetzen. Da könnte ich jetzt alleine aus Rheinhessen zahlreiche Beispiele nennen.
WO! (Anmerkung Redakteur Dirigo): Polemisch könnte ich jetzt entgegnen, wenn der Staat weniger von meinem Gehalt abziehen würde, könnte ich es mir auch leisten, mich karitativ zu engagieren.
Die eigentliche Sauerei sind doch aber die großen Weltkonzerne, die nicht in dem entsprechenden Umfang Steuern abführen. Da müssen wir aufpassen, dass wir die Ungerechtigkeitsdebatte nicht auf diejenigen herunter brechen, die sich engagieren und ihrer moralischen Grundverantwortung gerecht werden.
WO! Zum Schluss unseres Gesprächs möchten wir gemeinsam mit Ihnen nochmal einen Blick in die Vergangenheit werfen. Sie waren zu Beginn der Legislaturperiode 2013 in Berlin ein politischer Novize. Wie bewerten Sie selbst diese vier Jahre?
Wenn ich an unsere ersten Gespräche zurück denke, da habe ich nicht mal im Ansatz daran gedacht, was da alles auf mich zukommt. Die vier Jahre waren ein kontinuierlicher Prozess von riesigen Ereignissen wie Brexit, Ukraine-Krise, Griechenland, Flüchtlingskrise und vieles mehr. Dazu gesellten sich viele spannende Einzelprobleme in meinem Wahlkreis. Letztlich hätte ich nicht gedacht, dass das Wort Krise zu einem Dauerbegleiter wird, dennoch bin ich dankbar, dass ich bei der Bewältigung aktiv dabei sein kann.
Herr Metzler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Gespräch führten: Dennis Dirigo und Frank Fischer