Kurzkritik zu „Der Diplomat“ - Nibelungen-Festspiele 2024
Die erste Hürde ist geschafft. Das Publikum zeigte sich am Ende der rund 140 minütigen Uraufführung von „Der Diplomat“ begeistert. Einen ersten Eindruck davon, wie unser Rezensent das Stück erlebte, können Sie hier nachlesen. Eine ausführliche Besprechung folgt in unserer August Ausgabe.
Es ist was faul im Staate der Burgunder. Einem Wunder gleich blutet der Leichnam des toten Siegfried unentwegt aus der Wunde, wo wenige Tage zuvor Hagen den vermeintlichen Helden mit einer Lanze durchbohrte. Nun liegt er aufgebahrt inmitten des Thronsaals und erinnert so die schrecklich nette Burgundersippe an ihre Missetat. Da passt es dann auch ganz gut, dass der „König ohne Krone“, Dietrich von Bern, bei seinem Brautwerbebesuch für König Etzel gleich mal seinen ganz persönlichen Hausgeist mitbringt, die Drud. Den, bzw. sie, verfolgt der ehemalige Krieger und König seit den grausigen Tagen des Krieges mit sich herum und erinnert ihn wiederum an die blutigen Folgen des Krieges. Im Falle des Dietrichs sind die Folgen ein toter Bruder, zwei tote Söhne Etzels und dessen verstorbene Frau, die sich das Leben nahm und ihn fortan als Geist verfolgt. Das Perfide daran ist allerdings, dass der titelgebende Diplomat im Grunde ein Bote des Todes ist. Eigentlich soll er im Auftrag seines neuen Königs um Kriemhilds Hand anhalten, doch stattdessen folgen Tod und Verderben. Wobei Hand anhalten durchaus eine eigenwillige Auffassung ist. Vielmehr lässt Etzel des Hof der Burgunder belagern und droht gleich mal mit Säbelrasseln, sollte die Frau seiner Begierde nicht einwilligen. Willkommen im Vorhof der Hölle.
Roger Vontobel inszeniert das blutige Treiben überraschend minimalistisch. Statt auf tosende Effekte und visuelle Opulenz, wie noch bei der „hildensaga.ein königinnendrama“, lädt der Schweizer Regisseur in diesem Jahr zum intensiven Kammerspiel, das weniger eine Reflexion über die Kraft der Diplomatie ist. Vielmehr ist „Der Diplomat“ eine düstere Betrachtung über die Macht der Gewalt und wie diese die Seele der Menschen Stück für Stück vergiftet. So führte dieses Gift dazu, dass auch ein eigentlich harmlos träumerischer Giselher zum potentiellen Mörder wird, nur um dann selbst blutig gemeuchelt zu werden und die ohnehin bereits blutbesudelte Bühne vor dem Wormser Dom noch ein wenig roter färbt. Der Wahnsinn scheint seinen Weg gefunden zu haben und damit der Wahnsinn für die Zuschauer entsprechend greifbar wird, vertraut Vontobel insbesondere nach der Pause nicht nur auf sein beeindruckend spielendes Ensemble.
Gemäß der Regeln des Open Air Spektakels greift er dann doch noch ein wenig in die Trickkiste, illuminiert ein bisschen den Dom als Knochenmühle, was in diesem Jahr allerdings wie eine Pflichtübung wirkt, und gegen Ende gibt es passend zur Geisterbeschwörung eine gleißende Lichtfontäne. Willfährige Helfer beim Erzeugen des nibelungischen Irrsinns sind dabei die Sounddesigner, die gemeinsam mit der Band einen wahrhaft schaurigen Soundtrack erzeugen. Am Ende scheint das Tor zur selbstgeschaffenen Hölle geöffnet zu sein. Kriemhild ist bereit für die Reise in das Hunnenland, Brunhild ist längst zu einer ebenbürtigen Mörderin geworden und die Zuschauer haben ganz viel Stoff zum Diskutieren mitbekommen.
Fazit: So muss Sommertheater sein. Während „Brynhild“ im vergangenen Jahr eher einer Nummernrevue glich, die viel wollte und wenig erreichte, ist „Der Diplomat“ eine stark gespielte, raffiniert inszenierte und smart geschriebene Reflexion über Macht und Gewalt. Am Ende gab es dafür zurecht stehende Ovationen und viele nachdenkliche Gespräche im idyllischen Ambiente des Heylshofs.
Autoren des Stücks: Feridun Zaimoglu und Günter Senkel
„Der Diplomat“ wird noch bis zum 28. Juli aufgeführt.
Weitere Informationen zu den Festspielen finden Sie hier: https://www.nibelungenfestspiele.de/nibelungenfestspiele/
Text und Fotos: Dennis Dirigo