Am 11. August findet auf dem Marktplatz das diesjährige Sonderkonzert von „Worms: Jazz & Joy“ mit Wolfgang Niedeckens BAP statt. Seit 40 Jahren gibt es die Kölner Band, die in dieser Zeit nur eine feste Konstante aufzuweisen hatte. Texter, Komponist, Gitarrist und Sänger Wolfgang Niedecken. Insofern ist es nicht mehr als konsequent, dass die Band nun zu dem Namen aus ihrer Anfangszeit zurückkehrt: Wolfgang Niedeckens BAP.

Unter diesem Namen erschien auch 1979 die erste Platte „Wolfgang Niedeckens BAP rockt andere kölsche Leeder“, ebenso wie die zweite „Affjetaut“ (1980), die es bereits auf Platz 11 der Albumcharts schaffte. Erst dann nannte man sich der Einfachheit halber BAP, was in Hochdeutsch nichts Anderes als Vater bedeutet. Ihre erfolgreichste Zeit hatte die Band zweifellos in den Achtzigern. Als die Kölner Band 1982 ihre vierte Platte „Von drinnen noh drusse“ veröffentlichte, löste diese das Vorgängeralbum „Für usszeschnigge“ auf Platz 1 ab. Somit standen im September 1982 zwei Alben von BAP gleichzeitig auf den beiden Spitzenplätzen der Albumcharts. Das gab‘s noch nie. Auch das ein Jahr später erschienene Live-Album „Bess Demnähx“ erreichte die Spitzenposition der Albumcharts, ebenso wie die nachfolgenden drei Studioalben in den 80ern. Dieses Jahrzehnt wurde dominiert von Themen wie Atomkraft, Aufrüstung, Rassismus, aber auch Naturschutz oder soziale Ungerechtigkeit. Und BAP lieferten den Soundtrack für die linke Protestbewegung in Deutschland, die sich gegen die Kanzlerschaft von Helmut Kohl auflehnte. In dieser Zeit entstanden Songs wie „Kristallnaach“ (über die Reichskristallnacht mit Bezügen zu heute), „Ne schöne Jrooß“ (über die Spießbürgerlichkeit im Nachkriegsdeutschland), „Verdamp lang her“ (ein fiktives Zwiegespräch zwischen Niedecken und seinem verstorbenen Vater), „Drei Wünsch frei“ (über den Rüstungswahnsinn) oder „Jupp“ (über die „Erlebnisse“ eines Obdachlosen), deren Inhalte immer noch erschreckend aktuell sind und die auch heute noch zum Liverepertoire von BAP gehören. Während sich die Kölschrocker zuvor auf ausgedehnten Tourneen durch überwiegend kleinere Hallen einen glänzenden Ruf als Liveband erspielt hatten, ging es in den Neunzigern in die großen Hallen der Republik oder auch mal auf die Hauptbühne bei „Rock am Ring“ (1998). Nach dem elften Studioalbum („Comics & Pin-ups“) kam es jedoch 1999 zu einem Einschnitt, als Leadgitarrist Klaus „Major“ Heuser und Keyboarder Alexander „Effendi“ Büchel die Band verließen. Der langjährige Bassist Steve Borg war schon sechs Jahre zuvor ausgestiegen. Der Major war vor dem zweiten Album zu BAP gestoßen und hatte der Band fortan einen deutlich rockigeren Anstrich verpasst. Die meisten Hits der letzten 20 Jahre stammten aus der Feder von Klaus Heuser, ehe Niedecken den Text beisteuerte. Sein Ausstieg bedeutete für viele Fans eine Zäsur, die deshalb gerne von den „alten BAP“ sprechen und meinen damit die Zeit mit dem Major. Helmut Krumminga besetzte die nächsten 15 Jahre die Leadgitarre und wurde 2014 auf der Unplugged-Tour durch Uli Rohde ersetzt. Auf Büchel folgte am Keyboard Michael Nass, der auch noch der aktuellen Besetzung angehört. Überhaupt kam es im Laufe der 40-jährigen Bandgeschichte immer wieder zu Umbesetzungen an den Instrumenten. Nur einer blieb die ganze Zeit über: Wolfgang Niedecken.
Ebenfalls geblieben ist die Live-Energie, mit der die Band ihre Fans gerne mal bis zu drei Stunden lang begeistert. Am 11. August können sich die Besucher des Sonderkonzertes von „Worms: Jazz & Joy“ davon überzeugen. Auf der aktuellen Tour sind BAP zum ersten Mal mit einer Bläsersektion vertreten, die den Songs einen neuen Schliff verpassen.
„Die Live-Konzerte sind ein absolutes Erlebnis. Keine durchchoreographierte Show, sondern grundehrlicher Rock, der unter die Haut geht,
weiß David Maier, der künstlerische Leiter des Festivals, zu berichten.
„Wolfgang Niedecken steht mit seiner Band für eine beispiellose 40-jährige Erfolgsgeschichte – und das mit einer solchen Haltung, die nur selten in der Musiklandschaft zu finden ist“,
ergänzt Maier. Bis heute kamen zwölf Alben der Band auf den Spitzenplatz der deutschen Charts, auch das letzte Album „Live & Deutlich“. Keine Band schaffte mehr Nr.1-Alben in Deutschland, und das ist erstaunlich genug, da ca. 95 Prozent ihrer Hörer die Texte erst mal gar nicht verstehen. Wer sich jedoch mit den kölschen Texten beschäftigt, stellt fest, dass Wolfgang Niedecken einer der großartigsten Lyriker des Landes ist.


Kristallnacht

Es kommt vor, dass ich meine, etwas klirrt,
dass sich irgendwas in mich verirrt,
Ein Geräusch, nicht mal laut, manchmal klirrt es vertraut,
selten so, dass man es direkt durchschaut.
Man wird wach, reibt sich die Augen und sieht
in einem Bild zwischen Breughel und Bosch
Keinen, der um Sirenen besorgt,
weil Entwarnung nur halb so viel kostet.
Es riecht nach Kristallnacht.

In der Ruhe vorm Sturm, was ist das?
Ganz klammheimlich verlässt wer die Stadt,
Honoratioren inkognito hasten vorbei,
offiziell sind die nicht gern dabei.
Wenn die Volksseele, allzeit bereit,
Richtung Siedepunkt wütet und schreit:
„Heil Halali“, und grenzenlos geil,
nach Vergeltung brüllt, zitternd vor Neid,
In der Kristallnacht.

Doch die alles, was anders ist, stört,
die mit dem Strom schwimmen, wie sich’s gehört,
Für die Schwule Verbrecher sind, Ausländer Aussatz,
sie brauchen wen, der sie verführt.
Und dann rettet keine Kavallerie,
und kein Zorro kümmert sich darum,
Der pisst höchstens ein „Z“ in den Schnee
und fällt lallend vor Lässigkeit um:
„Na und? Kristallnacht!“

In der Kirche mit der Franz Kafka-Uhr.
Ohne Zeiger, mit Strichen drauf nur.
Liest ein Blinder einem Tauben „Struwwelpeter“ vor,
hinter dreifach verriegelter Tür,
Und der Wächter mit dem Schlüsselbund hält,
sich im Ernst für so was wie ein Genie,
Weil er Auswege pulverisiert
und verkauft gegen Klaustrophobie.
In der Kristallnacht.

Währenddessen, auf dem Marktplatz vielleicht,
unmaskiert, heute mit wahrem Gesicht,
Sammelt Steine, schleift das Messer auf die, die schon verpetzt,
probt der Lynchmob fürs Jüngste Gericht.
Und zum Laden nur flüchtig vertäut,
die Galeeren stehen längst unter Dampf,
Wird im Hafen auf Sklaven gewartet,
auf den Schrott aus dem ungleichen Kampf
Aus der Kristallnacht.

Da, wo Darwin für alles herhält,
ob man Menschen vertreibt oder quält,
Da, wo hinter Macht Geld ist, wo Starksein die Welt ist,
vom Kuschen und Strammstehen entstellt.
Wo man Hymnen auf dem Kamm sogar bläst,
in barbarischer Gier nach Profit,
„Hosianna“ und „Kreuzigt ihn“ ruft,
Wenn man nur selbst einen Vorteil darin sieht,
dann ist täglich Kristallnacht.
Jeden Tag Kristallnacht.

Text: Wolfgang Niedecken


Arsch hoch,
Zähne auseinander!!

Du machst das Frühstücksfernsehen an und – selbstverständlich
wie die Wetterkarte – kommt unter „ferner liefen“, wo sie wie
viele Asylanten platt gemacht haben.
Na klar, der Mob hat wieder randaliert, der Bürger applaudiert:
„Die Kanaken sind schon umquartiert, die Nacht hat sich rentiert.“

Du gehst deine Brötchen holen,
so wie jeden Morgen wartest du an der Theke.
Da lässt ein Typ im Blaumann Sprüche ab,
bei denen es dir nur kotzschlecht wird.
Du denkst: „Nur raus hier. Was ist bloß passiert,
dass keine Sau reagiert?
Wieso ist ein ganzes Land am Kuschen, als wäre es paralysiert?“

Wie wäre es, wenn du dem „Blaumann“ jetzt sagst,
dass du Rassistensprüche gar nicht verträgst?
Wenn du ihn vor den Leuten blamierst,
indem du ihn einfach auflaufen lässt?
Und überhaupt: Wenn man selbst mal was tun würde.
Wenn man die Zähne mal auseinander kriegen würde.
Wenn wir den Arsch nicht hochkriegen, ist es eines Tages zu spät.

Warst du das nicht,
der seinem Vater nie das Stillhalten verzeihen konnte,
weil der sich damals arrangiert hat,
bis er schließlich vor den Trümmern stand?
Wie wär’s, wenn du deine Ideale langsam mal vertreten würdest,
oder willst du im Ernst darauf warten,
dass das irgendeiner für dich macht?

Der Schoß ist fruchtbar noch,
aus dem die Nazibrut heraus kroch.
Jetzt gilt es: Arsch hoch, Zähne auseinander!
Jetzt, nicht nächste Woche!

Text: Wolfgang Niedecken