Autor: Bernd Werner

In Deutschland wurde in den letzten Jahren und wird bisweilen auch heute noch gerne die Diskussion geführt, welcher Leitkultur wir folgen sollen. Dabei gilt es aus Sicht von Humanisten zu berücksichtigen: bei allem, was wir Menschen tun, kommt es zunächst einmal auf das gelebte Menschenbild an – und zwar grundsätzlich in allen Lebenssituationen. Im Umgang mit anderen Menschen stehen wir nämlich immer vor der Wahlmöglichkeit, uns selbst in die Rolle desjenigen zu bringen, der andere bevormundet bzw. zumindest bevormunden will – oder letztlich davon auszugehen, dass das Gegenüber sich eigenverantwortlich für seine Meinung entschieden hat. Was es zu respektieren gilt. Und zwar mit allen Konsequenzen.

Gerade auch bei kontroversen Gesprächen darf und kann aus unserer Sicht letztlich nur das überzeugende und „in der Hitze der Diskussion gehärtete Sachargument“ zählen. Aber Hand aufs Herz: Mit der anderslautenden Meinung unserer Mitmenschen in fairer Weise umzugehen, ist fast immer anstrengend und schwer. Die Biographin von Voltaire, Evelyn Beatrice Hall (1868- 1956), führt hierzu passend in ihrem Werk „Friends of Voltaire“ zu diesem Komplex als Zitat Voltaires (1694-1778), einem maßgeblichen französischen und europäischem Vertreter der Aufklärung, an:

„Ich missbillige Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“ Im Original: “I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it”.

Aus dieser Äußerung kann man leicht die Anstrengung herauslesen, die es kostet, nach dieser Maxime zu leben. Dieses Zitat fordert u. a. ein: Souveränität – auch und gerade im Umgang mit Ansichten und Meinungen, die nicht der eigenen Ansicht oder Meinung entsprechen und die man nur ertragen („tolerieren“) kann. Die o. a. Maxime verlangt vorbildhaftes Verhalten. Und einem Vor-Bild nachzueifern heißt: dies in dem Bewusstsein bzw. auch dann zu tun, wenn man weiß, dass man das eigene Vorbild gar nicht vollständig erreichen kann. Das Voltaire-Zitat setzt zugleich voraus, dass jeder Mensch seine eigene Ansicht in einer zivilisierten Art und Weise vertritt – und nicht im „Straßenjargon“.

Jeden Tag in jedem Handeln entscheiden wir, welchem Menschenbild wir folgen. Allerdings nicht immer bewusst und reflektiert. Aber wir entscheiden. Jeden Tag. De facto. Man muss bei dem Befragen des eigenen Handelns also nicht sofort nach einer Leit-Kultur fragen. Der Hinweis auf das täglich gelebte Menschenbild hängt die Frage nach einer Leitkultur nicht nur deutlich eine Ebene tiefer. Er ist auch lebensnäher.

Bernd Werner,
Für den Humanistischen Verband Deutschland (HVD), Landesverband RLP, Gruppe Worms

Hinweis:
Wer sich für humanistische Themen interessiert, ist an jedem letzten Sonntag des Monats zu unserem Humanisten-Frühstück ab 9:30 in Worms, Speyerer Str. 87 herzlich eingeladen. Ohne Agenda oder festen Rahmen lebt das Treffen von dem, was jeder an Themen, Neugierde und Erwartungen mitbringt. Klicken Sie auch unsere Homepage an: www.hvd-rlp.de Im Oktober werden wir uns am Sonntag, dem 30.10.2016, um 9:30 Uhr treffen.