Soll man jemandem Beachtung schenken, dem man eigentlich gar keine schenken sollte? Zumal, wenn dieser fast schon mitleiderregend um Öffentlichkeit buhlt. Die Rede ist von Michael W. aus W. – der erste NPD-Spitzenkandidat, der es je in den Wormser Stadtrat geschafft hat und nun meint, er müsste „auf Nazi komm raus“ jedem etwas von seiner Existenz mitteilen. Aber er stößt überall nur auf Ausgrenzung. Außer bei der NPD.

Eigentlich müsste Michael W. mittlerweile erkannt haben, dass irgendetwas mit seiner Partei, die in der öffentlichen Wahrnehmung nicht sonderlich gut wegkommt, anders ist. Schon als Michael W. der NPD beigetreten war, wurde er von linken Aktivisten in seiner Nachbarschaft als Nazi geoutet. Als er dann in den Wormser Stadtrat gewählt wurde, standen ganz viele Polizisten am Rathaus, um irgendjemanden zu schützen. Man weiß nur nicht so genau wen vor wem, denn seine rechten Freunde waren gar nicht gekommen. Und als er zu guter Letzt eine Woche später zum ersten Heimspiel in der EWR-Arena im Fanblock erschienen ist, da wurde er von einer Handvoll Wormatia-Anhängern mit den unmissverständlichen Worten „RAUS!“ direkt wieder Richtung Ausgang komplimentiert – angeblich, weil er zuvor rechtsradikale Parolen gebrüllt hätte, was er selbst aber abstreitet. Seit Parteieintritt hat es Michael W. nicht gerade einfach. Im Dezember letzten Jahres fanden seine Nachbarn in der Karl-Marx-Siedlung ein Flugblatt in ihrem Briefkasten, das sie über die „politischen“ Aktivitäten ihres Nachbarn Michael W. aufklären sollte. Inhalt:

„Michael W. ist ein organisierter Nazi. Nachdem es nach seiner Ausbildung im Hieronymus-Hofer-Haus in Frankenthal beruflich eher düster aussah und es auch mit Jobs in Supermärkten nicht so klappte, wandte sich Michael W. seit Ende 2012 immer mehr der organisierten Naziszene zu. War Michael noch Anfang dieses Jahres eher ein Mitläufer, der fast verzweifelt Anschluss suchte, ist er mittlerweile zu einem der führenden organisierten Nazis in der Region geworden. Ob konspirative Nazikonzerte, NPD-Kundgebungen, Aufmärsche sogenannter „freier Kameradschaften“, insbesondere der „Kameradschaft Pfalzsturm“, Michael W. ist überall anzutreffen wo sich in der Region Nazis zusammenrotten.“

Unter dem Link www.linksunten.indymedia.org/de/node/101249 findet man zudem jede Menge Bilder von ihm, wie er bei Aufmärschen seiner Partei die Fahne trägt oder stramm vor einem Fahrzeug steht.

Jung, frech, national

Was Linksaktivisten gerne als „Nazis aus der Deckung holen“ bezeichnen, tat Michael W. anschließend selbst, als er ins Licht der Öffentlichkeit trat, um mit dem kernigen Slogan „Jung, frech, national“ als Spitzenkandidat für die Wormser NPD zu kandidieren, die am 25. Mai 2014 bei der Stadtratswahl aus dem Stand 2,8 % erreichte. Eine Zahl, die manche erschrecken mag, obwohl sie doch in den meisten Fällen nur Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit ist, getreu dem Motto: „Wen soll man denn sonst wählen, wenn die Politik auf einem Ohr taub ist?“ So ist Michael W. also im heimischen Stadtrat gelandet und hat dort ebenfalls gleich die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zunächst hatten sich die anderen Parteien gestritten, weil keiner neben ihm sitzen wollte, was der Protagonist selbst auf seiner Facebook-Seite sogar recht treffend kommentierte:

„Man könnte meinen, in Worms gäbe es nichts Wichtigeres als eine Sitzordnung…“

Nach langem hin und her ist der NPD-Mann übrigens zwischen FDP und CDU gelandet – rein sitztechnisch. Doch bevor er sich auf seinen neuen Platz am Puls der Demokratie setzen konnte, hatte er (wiederum bei Facebook) seine Freunde von der NPD aufgefordert, ihn gegen die „kriminelle Antifa“ zu unterstützen. Das alleine reichte schon aus, um am Mittwochnachmittag zur ersten Stadtratssitzung eine Hundertschaft an Polizisten auf dem Marktplatz begrüßen zu dürfen. Und alles nur, weil sich ein paar Leute mit roten Karten vorm Rathaus positioniert hatten, die sie dem offensichtlich verwirrten Neuen im Stadtrat zeigen wollten. Seine Freunde von der NPD waren übrigens nicht gekommen, durften aber anschließend den Bericht ihres Spitzenkandidaten (ja, schon wieder bei Facebook) lesen, der so ein wenig an den Aufsatz „Mein erster Schultag“ erinnerte:

„Die heutige Stadtratssitzung ist seit wenigen Stunden beendet. Ich persönlich habe mir es spektakulärer vorgestellt, war aber ganz nett. Anfangs las Oberbürgermeister Kissel eine Erklärung gegen „Rechts“ vor, draussen lief die Kundgebung gegen Nazi‘s mit schwacher Resonanz. Vor Betreten des Ratssaals erblickte ich bereits einige Leute mit roten Karten, die allerdings diese nicht hoben und ich ungestört den Saal betreten konnte. Dort Platz genommen wurde ich von einigen Fotografen sowie 2 Kamerateam‘s (SWR und ARD) ins Visier genommen, alles in allem aber ein freundliches und nicht aufdringliches Gegenübertreten wie es bspw. in Dortmund der Fall war. Die Sitzung lief, als Kissel mir die Hand zur Vereidigung reichte und es wurde Tagesordnungspunkt für Tagesordnungspunkt abgearbeitet.“

Vermutlich hat der Nachwuchspolitiker auch einen guten Berater, sonst hätte er sich nicht für die Wahl für einen Posten im EWR-Aufsichtsrat aufstellen lassen, winkt doch dort die meiste Kohle für einen Feierabendpolitiker. Bei der Abstimmung über ein Bürgerbegehren in Sachen „Haus am Dom“ hat Michael W. übrigens für eine Bürgerbefragung gestimmt, weil er der Meinung ist, dass „die Stimme des Volkes immer die Wichtigste sein sollte“.

Und soll ich Ihnen was sagen? Für einen Moment hab ich gedacht, dass Michael W. mehr Demokratieverständnis hat als sein großer Chef Michael K.

Auf Kissel hören!!

Trotzdem hatte unser Oberbürgermeister schon recht, als er in seiner Rede zum Ausdruck bringen wollte, dass man solche gestrandeten Seelen, die auf der Suche nach ein bisschen Halt ausgerechnet bei der NPD gelandet sind, an die Hand nehmen und auf den rechten Pfad (oder in diesem Fall den linken) führen sollte. Michael W. aus W. ist 21 und vielleicht findet er in ein paar Jahren die gleichen Sachen, die er heute cool findet, genauso doof wie wir heute manches im Rückblick finden. Bis dahin wird er sich weiterhin bei Facebook darüber freuen, dass Deutschland Weltmeister im Fußball geworden ist. Und man kann nur hoffen, dass ihm irgendwann jemand behutsam beibringt, dass unsere Weltmeister Boateng, Khedira, Özil, Podolski und Klose gar nicht „reinrassig“ sind. Natürlich ärgert er sich darüber, dass er bei der Wormatia nicht willkommen ist und beim ersten Heimspiel direkt wieder rausgeflogen ist. Weil er aber insgeheim ein riesiger Wormatia-Fan ist, freut er sich klammheimlich doch darüber, dass der Türke Ali Özgün den entscheidenden Siegtreffer in Trier erzielt und „sein Verein“ dadurch zum ersten Mal nach 28 Jahren wieder in der zweitältesten Stadt Deutschlands, in Trier, gewonnen hat.

Warum nur, Bub?

Das Problem ist halt nur, dass der junge Mann einer Partei vorsteht, die mit Parolen wirbt wie „Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma“. Das ist zwar ziemlich platt, aber trotzdem von der Meinungsfreiheit gedeckt, wie das Verwaltungsgericht Kassel seinerzeit entschieden hat. „Geld für die Oma, statt für Lehrstellenhinschmeißer, Gelegenheitsjobber und Taugenichtse“ könnte man allerdings genauso auf die NPD-Plakate schreiben und würde damit der Oma ebenfalls etwas Gutes tun. Es ist nämlich immer eine Sache der Sichtweise und vielleicht gewinnt er während seiner Zeit im Wormser Stadtrat die Erkenntnis, dass man immer irgendwelche Leute für sein eigenes Versagen vorschieben kann. Mal die Sinti, mal die Roma und wenn‘s nicht genug Taschengeld gibt, auch gerne mal die Oma. Wenn dann am Schluss kein Sündenbock mehr übrig bleibt, kann man bequemerweise auch gleich noch pauschal „die Politiker“ für die eigene Misere verantwortlich machen. Jetzt wo Michael W. aus W. also nicht mehr tiefer fallen kann, möchte man ihm nur eines hinterherrufen: „Bub, hättest du doch was Gescheites gelernt, dann hättest du nicht Politiker werden müssen…“