21. Januar 2018 | Lincoln Theater in Worms:

Im Grunde ist der Schauspieler Jürgen Tarrach die perfekte Besetzung, wenn es darum geht, den unscheinbaren Jedermann von nebenan zu spielen. Man wird ihn niemals in der Rolle des Liebhabers oder des Helden sehen.

Die Rolle seines Lebens könnte jedoch genau dieser Jedermann sein, dem er auch im Lincoln Theater sein Gesicht und seine Stimme lieh. Dort gastierte er mit dem Ein-Personen-Stück „Der Herr Karl“. Geschrieben ein Jahr nach seiner Geburt (1960) von Helmut Qualtinger und Carl Merz, ist es diese Rolle, die ihn als Schauspieler zu Beginn seiner Karriere bekannt machte und zu der er nun zurückkehrt. Herr Karl ist Wiener und arbeitet in einem Feinkostladen. Während seiner wohlverdienten Mittagspause erzählt er einem imaginären Gegenüber bzw. dem Zuschauer seine Lebensgeschichte und die erstreckt sich vom Ersten Weltkrieg bis in die frühen 60er Jahre. Mit charmant wienerischem Zungenschlag offenbart sich im Laufe seiner Auslassungen das gar nicht charmante Gesicht eines gewissenlosen Egoisten, der sich immer den politischen Gegebenheiten anpasste. Mit entwaffnend erschreckender Nonchalance schildert dieser Karl, wie er sich ohne Gewissensbisse zum Handlanger der Nazis machte, einen Juden abführt, damit dieser das zuvor geschriebene kritische Wort auf dem Trottoir aufwischt und sich im selben Augenblick als Opfer stilisiert („I hab nur an Juden g’führt. I war ein Opfer“). Nicht besser traf es die Frauen, die Karls Wege kreuzten. Zu seiner ersten Ehe fällt ihm ein: „I hab mi kirchlich trauen lossen. Des war damals eher günstig“. Und ergänzt: „Man hot jo von wos leben müssen“. Man kann es nicht anders sagen: Dieser nette Herr Karl ist ein Wendehals und Ekel, aber umwerfend gespielt von dem sympathischen Herrn Tarrach.

Fazit: Zu Beginn klärte der Schauspieler die zahlreichen Zuschauer im Lincoln über die Besonderheiten der Wiener Sprache auf, sodass man seitdem weiß, dass der Begriff „Wiener Schmäh“ eben nicht für etwas Charmantes steht, sondern für Irreführung, denn das machte dieser Opportunist an diesem Abend unentwegt und das ziemlich grandios. Chapeau, Herr Tarrach!!