Wie zwei Dinos eine kurzzeitige Renaissance erlebten

Für einen Abend im November war in einem aussterbenden Medium wie dem Fernsehen wieder alles wie früher. Genauso nostalgisch ging es auch in den Musikcharts des Jahres zu, wo ein „Who is who“ der 70er und 80er Jahre die Spitzenplätze belegte.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist vom Aussterben bedroht. Fragt man bei jungen Leuten nach ihren Fernsehgewohnheiten, da fallen die Namen von ARD und ZDF nur noch selten. Während „Das Erste“ seine höchsten Quoten mit dem „Tatort“ oder Sportevents erzielt, gilt das ZDF mit seinen zahlreichen Volksmusik- oder Quizsendungen, dem „Traumschiff“, dem „Bergdoktor“ oder Rosamunde Pilcher-Produktionen ohnehin nicht gerade als sonderlich hipper Sender. Heutzutage haben Netflix, Amazon Prime, Magenta TV oder Sky längst das Ruder in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen übernommen. Corona hat diese Entwicklung noch verschärft. Wenn man dazu gezwungen ist, ungewöhnlich viel Zeit Zuhause zu verbringen, fällt eben noch deutlicher auf, dass auch die Privatsender wenig Substantielles zu bieten haben – abgesehen von einer Flut an Kuppelshows, die sich durch alle Sender ziehen, wie „Bauer sucht Frau“ (RTL), „Schwiegertochter gesucht“ „Hochzeit auf den ersten Blick“ (SAT 1), „Love Island“, „Temptation Island“ oder „Adam sucht Eva“ (RTL 2). Die Zeiten, als sich Fernsehdeutschland kollektiv um 20.15 Uhr vor den Bildschirmen versammelt hat, schienen endgültig vorbei zu sein. Bis das ZDF ankündigte, am 6. November 2021 eine Sondersendung des einstigen Quotenbringers „Wetten dass“ mit dem Moderator Thomas Gottschalk auszustrahlen. Zur Vorgeschichte gehört auch, dass das einstige Flaggschiff des Senders bei seiner Absetzung im Jahr 2014 nur noch durchschnittliche Quoten erzielte, die seinerzeit mit dem Moderator Markus Lanz von anfangs 13,62 Millionen Zuschauern auf zuletzt 5,85 Millionen gefallen waren. Seitdem waren sieben Jahre vergangen, in denen sich die Sehgewohnheiten des Landes massiv verändert hatten und eine Sendung wie „Wetten dass“ wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit wirkte. Aber entgegen aller Befürchtungen toppte das einmalige „Wetten dass“ Event vom 6.11.2021 alle Erwartungen. Unfassbare 13,8 Millionen Zuschauer/innen schauten im Schnitt an diesem Abend zu, was einen Marktanteil von 45,7 Prozent ausmachte. Sogar Konkurrent Netflix ließ sich dazu hinreißen, einen Tweet bei Twitter abzusetzen: „Absolutes Verständnis für alle, die heute Abend lieber Fernsehen gucken. #Wettendass.“ Und wer an diesem Abend das Zweite eingeschaltet hat, erlebte ein Publikum in Nürnberg, das die Rückkehr mit „Oh wie ist das schön“-Gesängen einleitete und dem die Freude über das Comeback deutlich anzumerken war. Dazu kam ein bestens aufgelegter Moderator Thomas Gottschalk, der souverän durch den Abend führte, auch wenn er sich seine politisch unkorrekten Witze immer noch nicht abgewöhnt hat, was aber in einer zunehmend überkorrekten Welt durchaus erfrischend war. Dagegen war seine Assistentin Michelle Hunziker wie üblich genauso hübsch anzuschauen wie verzichtbar. Es gab ungewöhnliche Wetten und jede Menge Superstars, aber vor allem typische „Wetten dass“ Momente, wie das „spontane“ Duett zwischen ABBA und Helene Fischer. Am 6.11.2021 war für einen Abend wieder alles wie „früher“, als das Leben noch unbeschwerter schien. Und deshalb sorgte ein 40 Jahre alter Fernsehklassiker für den nostalgischsten TV-Moment des Jahres 2021.

NOSTALGIE AUCH IN DEN MUSIKCHARTS
Auch die CD oder die Schallplatte gelten in Zeiten verstärkter Streaming Aktivitäten der jüngeren Generation als aussterbende Gattung. Sich in Zeiten, in denen Musik überall und oftmals kostenlos verfügbar ist, noch ein ganzes Album in voller Länge anzuhören, das scheint hauptsächlich das Privileg einer aussterbenden Generation zu sein. Von daher überrascht es nicht wirklich, dass eine Band die Jahres-Album-Charts 2021 anführt, die 40 Jahre lang in der Versenkung verschwunden war, auch wenn ihre Lieder weiterhin überall gespielt wurden. Die Rede ist von der schwedischen Kultband ABBA, die mit ihrem Comeback-Album „Voyage“, das rund 400.000 Male verkauft wurde, den ersten Platz der Albumcharts 2021 belegt. Dagegen konnte auch der deutsche Superstar, Helene Fischer, nicht ankommen. Trotz eines immensen Marketingaufwandes landete ihr neues Werk „Rausch“ nur auf Platz 2. Dabei war sie in den letzten Jahren Dauerabonnentin auf den Spitzenplatz, standen doch in den vergangenen zehn Jahren in der Hälfte der Zeit jeweils Helene Fischer-Alben auf dem ersten Platz. Zum Trost erreichte sie mit „Die Helene Fischer Show – Meine schönsten Momente (Volume 1)“ zusätzlich noch den 8. Platz der Jahrescharts. Ab Platz 3 wird es wieder nostalgisch, denn die Bands auf den folgenden Plätzen haben allesamt schon ein paar Jahrzehnte im Musikgeschäft auf dem Buckel. Auf Platz 3 folgt das Spätwerk der australischen Hardrocker AC/DC „Power up“, vor „Dunkel“ von Die Ärzte, der schleswig-holsteinischen Band Santiano („Wenn die Kälte kommt“), Iron Maiden („Sentjutsu“) und Udo Lindenbergs „Udopium“ auf Platz 9. Peter Maffay hat im abgelaufenen Jahr mit „So weit“ sein zwanzigstes Nummer-eins-Album veröffentlicht und ist damit alleiniger Weltrekordhalter. Der Trend zu Nostalgischem setzte sich übrigens auch bei den Single-Jahrescharts fort. Der 26-jährige Schotte Nathan Evans hatte Ende 2020 ein altes neuseeländisches Seemannslied auf TikTok und Youtube veröffentlicht und damit einen viralen Hit gelandet. Mit der jahrhundertealten Melodie mit dem prägnanten Mitsing-Refrain traf der Schotte in Corona Zeiten einen Nerv und landete mit „Wellerman“ die meistverkaufte Single des Jahres. Mehr Nostalgie als in den Musikcharts 2021 ging nun wirklich nicht.