EIN RÜCKBLICK AUF EIN TURBULENTES JAHR

Das Jahr 2021 begann, wie das Jahr 2020 endete, nämlich still. Den letzten Jahreswechsel erlebte Deutschland im Lockdown. Keine Konzerte, keine Silvestermenüs und auch keine Böller. Während Letzteres zumindest für die Natur durchaus erholsam war, geriet der Jahreswechsel für die Kreativ- und Gastronomiebranche zu einem Start in ein turbulentes Jahr 2021.

EIN LUTHER-MOMENT OHNE ZUSCHAUER
Das begann mit der Zwangsarbeitslosigkeit oder Kurzarbeit vieler tausend Menschen, die in der Kreativ- und Gastronomiebranche tätig sind. Denn der Lockdown, der für diese Branchen bereits seit 2. November 2020 galt, setzte sich fort. Wie lange, das ahnte vielleicht der ein oder andere, hoffte aber insgeheim, dass es ein früheres Entkommen aus den Fesseln der Corona-Notbremse gebe. Die gesellte sich in Worms nämlich ab dem 24. März 2021 zum Lockdown und diktierte in einem Stufenplan, ab welcher Inzidenz welche Maßnahmen gelten. Die befreiende Zahl, die es zu erreichen galt, war die 100. Doch der näherte man sich in Worms nur mühsam. Planungen liefen dementsprechend ins Ungewisse oder man verschob den Termin, so wie beim Spectaculum und der Wormser Kulturnacht, die beide in den Herbst verlegt wurden, um am Ende doch abgesagt zu werden. Ein Opfer von Corona und der Politik wurde auch die lang herbeigesehnte Eröffnung der großen Landesausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest“ am 16. April. Die sollte an jenem geschichtsträchtigen Wochenende eröffnet werden, an dem sich zum 500. Mal Martin Luthers Widerrufsverweigerung jährte. Doch daraus wurde nichts, stattdessen feierte die Ausstellung an einem weniger bedeutungsvollen Wochenende ihre Eröffnung. Zugleich hatte man mit der Verlegung auf den 2. Juli auch die Ausstellungsdauer angepasst. Statt bis zum Oktober fand diese bis zum 31. Dezember statt. Während die Ausstellungseröffnung auf den Juni verlegt wurde, erinnerte man zumindest mit der Inszenierung „Der Luther-Moment“ am 17. April an das geschichtsträchtige Wochenende, allerdings unter Abwesenheit von Zuschauern. Eigentlich plante man auf dem Markplatz ein audiovisuelles Spektakel mit mindestens 2.500 Zuschauern. Kontaktbeschränkungen und vor allem die Ausgangssperre machten dies zunichte, sodass Wormser/innen sich mit einer Live Übertragung im SWR begnügen mussten. Lediglich die Presse bekam kurz zuvor die Möglichkeit, bei der Generalprobe unter strengsten Corona Bekämpfungsmaßnahmen ein oder auch mehrere Bilder von der Veranstaltung zu machen. Gezeigt wurde eine multimediale Show, die sich inhaltlich mit Luthers Thesen und der anschließenden Widerrufsverweigerung beschäftigte. Als Kulisse diente hierbei die größte protestantische Kirche in Worms, die Dreifaltigkeitskirche. Lichtkünstler illuminierten diese mit eindrucksvollen Projektionen von Personen, die ebenfalls ihrem Gewissen folgten. Darsteller Isaac Dentler, nebst Begleitband, hatte dabei die undankbare Aufgabe, gegen diesen visuellen Blickfänger anzuspielen.

LUTHER-FESTSPIELE OHNE LUTHER
Parallel trieben die Nibelungen-Festspiele die Vorbereitungen für das Stück „Luther“ voran. Eine erste Online Konferenz im Januar kündigte bereits Großes an. Autor Lukas Bärfuss sprach davon, sich dem Menschen Luther in all seinen streitbaren Facetten nähern zu wollen. Schon bald machte aber die Runde, dass Luther selbst in dem Stück gar nicht auftaucht. Vielmehr sollte der Blick auf das Wirken Luthers in der Gesellschaft gelenkt werden. Das klang zwar nach einem ganz anderen Stück, weckte aber zugleich die Neugier. Selbige weckte auch die Frage, wer in dem Stück im Schatten des Doms spielen würde? Nachdem in den letzten Jahren prominente Schauspieler wie Klaus-Maria Brandauer und Jürgen Prochnow den Weg nach Worms fanden, musste man in diesem Jahr mit etwas weniger bekannten Namen vorliebnehmen, was freilich nichts mit der schauspielerischen Qualität zu tun hat. Hollywood Erfahrung hat zwar auch Jürgen Tarrach sammeln können, allerdings nur in einer kleineren Nebenrolle in dem James Bond Thriller „Ein Quantum Trost“. In Worms übernahm er die Rolle des Adligen Albrecht von Brandenburger, der später zum Bischof von Mainz ernannt wurde. Auf der Seite der Schauspielerinnen war Sunnyi Melles mit einem gewissen Glamourfaktor ausgestattet und lieferte in ihrer Rolle als Papst Leo X. eine wunderbar entrückte Darstellung des sogenannten Medici-Papstes. Weitere Rollen waren mit mal mehr, mal weniger renommierten Theaterdarstellern besetzt, inklusive eines Performance Ensembles, das die ungarische Regisseurin Ildiko Gaspar aus der Heimat mitbrachte. Das Stück, das vor gerade mal 750 statt 1.200 Zuschauern seine Premiere feierte, sorgte am Ende des Abends bei Publikum und Kritik für so manche Irritation und Fragezeichen. Über weite Strecken wirkte „Luther“ eher wie eine übliche Abarbeitung an dem Mythos beladenen Nibelungen-Stoff, also ein klassischer Konflikt um Gier, Neid, Sex und Gewalt. Zwar wurde im Verlauf des Stückes immer wieder auf Luthers Wirken hingewiesen, doch irgendwie schien Bärfuss mehr von der Dekadenz des Adels, als von der Wirkmächtigkeit des kleinen Gelehrten aus Wittenberg fasziniert zu sein. Dennoch, die Aufmerksamkeit der Presse stimmte und damit auch der Werbeeffekt für Worms. Für die Veranstalter war am Ende vor allem die spannendste Frage, ob 2022 wieder Festspiele unter normalen Bedingungen möglich sind. Denn klar ist, dass weniger Zuschauer auch weniger Einnahmen bedeuten. Eine dauerhafte Begrenzung dürfte früher oder später auch zu wirtschaftlichen Problemen der Festspiele führen. Immerhin zeigte sich am Ende auch, dass es zumindest organisatorisch möglich ist, Festspiele unter Corona Bedingungen sicher für das Publikum zu gestalten.

NUR ZWEI BÜHNEN, ABER DAFÜR VIER TAGE
Das galt auch für den 30. Geburtstag des beliebten städtischen Musikfestivals Worms: Jazz & Joy. An vier Tagen fand unter strikter Einhaltung der Corona Bekämpfungsverordnung das Festival statt, allerdings reduziert auf zwei Bühnen und dafür wiederum gestreckt auf vier Tage. Zudem waren der Schlossplatz und der Weckerlingplatz ausschließlich bestuhlt und die Publikumskapazität sehr eingeschränkt. Es verwunderte dementsprechend nicht, dass einige Konzerte bereits kurz nach der Ankündigung ein „ausverkauft!“ vermelden konnten. Die musikalische Qualität war indes über weite Strecken stimmig, auch wenn zuweilen der eine oder andere Ausflug in allzu seichte Popgewässer (Lotte) zumindest die WO! Redaktion nicht überzeugen konnte. Einigkeit herrschte indes über das grandiose Konzert des Norddeutschen Niels Frevert, der mit klugen Texten und melancholischen Melodien auf einem mäßig besuchten Schlossplatz zu begeistern wusste. Melancholie gab es bei Wallis Bird im Anschluss nicht, stattdessen zeigte sich Bird als energiegeladener Wirbelwind. Statt mit Folk, wie in ihren Anfangsjahren, überraschte sie mit einem mächtig rhythmusorientierten Sound. Auf dem Weckerlingplatz waren es vor allem drei Acts, die dem Publikum in Erinnerung bleiben dürften. Am Eröffnungstag waren es La Brass Banda, die bereits nach wenigen Takten den mühsamen Corona Alltag vergessen machten. Nouvelle Vague entführten wiederum in ihre ganz eigene Welt, die nicht nur akustisch, sondern auch visuell in ihren Bann zog. Zum Abschluss des Festivals begeisterte die Bee Gees Tribute Band „Night Fever“ mit einem Sound, der einem mit geschlossenen Augen direkt in die Zeit des „Saturday Night Fever“ entführte und das Gefühl von „Stayin‘ Alive“ vermittelte. Die Sitzplätze waren dementsprechend bereits nach kurzer Zeit nur noch Requisite. Dass handgemachte Musik aus der Heimat mitreißen kann, bewiesen bereits am Festivalsamstag The Döftels um Stimmungsmacher Peter Englert. Verstärkt um eine dreiköpfige Bläsersektion schafften es die Wormser Herren, das zu Beginn zurückhaltende Publikum aus der Reserve zu locken, um gemeinsam „Steil“ zu gehen. Für den etwas abgehangenen Wortwitz zahlt der Redakteur selbstverständlich gerne ein paar Cent in das WO! Phrasenschwein.

NICHT OHNE MEINE MASKE
Kurz danach meldete sich nach einjähriger Pause das Backfischfest wieder zurück. Das sorgte im Vorfeld für viel Diskussionsstoff, schließlich sollte es der erste große Jahrmarkt im Südwesten Deutschlands werden, der sich traute, zum Bummeln einzuladen. Ringsum wurden bereits alle Großveranstaltungen abgesagt, während Worms tapfer an der Umsetzung eines Corona gerechten Backfischfestes festhielt. Sicherlich nicht unbeteiligt war an diesem Vorhaben der Schaustellerverband, der in den Monaten zuvor immer wieder auf die immense Wichtigkeit des Festes verwies, schließlich gab es seit anderthalb Jahren für diese Berufsgruppe kaum Möglichkeiten, Geld in die leeren Kassen zu bekommen. Zugleich betonte die Stadt, wie wichtig es sei, den Bürger/innen ein Stück Normalität geben zu können. Diese Normalität musste sich allerdings einem ausgeklügelten Sicherheitskonzept beugen. Obwohl im Sommer unter freiem Himmel, wollte man offenbar auch ein Zeichen dafür setzen, dass man es mit dem Kampf gegen Corona zu jeder Zeit besonders ernst meint. Gefangen in dem Spannungsfeld zwischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen, die am liebsten alles sofort und unumkehrbar absagen würden, wissenschaftlichen Erkenntnissen, der Existenznot der Schausteller und der Angst vor einem Corona-Hotspot, entschied sich die Verwaltung für einen Hochsicherheitstrakt namens Backfischfest. Das führte dazu, dass der Besucherstrom über ein Zugangssystem gelenkt wurde, sodass sich maximal 5.000 Gäste zeitgleich auf dem 15.000 Quadratmeter großen Areal aufhalten durften. Besucher mussten zuvor einen Kontrollparcours absolvieren. Rein kam nur, wer geimpft, genesen oder getestet war. Das war immerhin mehr, als mittlerweile in einzelnen Bereichen erlaubt ist. Um das Testen zu erleichtern, bot ein Schausteller praktischerweise vor dem Eingang ein Testzentrum an. Auf dem Platz galt Maskenpflicht, selbstverständlich auch in den Fahrgeschäften. Der Wonnegauer Weinkeller pausierte und wurde durch ein Weindorf ersetzt, zu dem es aufgrund der großen Nachfrage eine weitere Zugangskontrolle gab. Wer einer der 500 Glücklichen im Weindorf war und sich zumindest für zwei Stunden dort aufhalten konnte, durfte das wenigstens ohne Maske. Natürlich dachte man auch an die Terrorabwehr, schließlich hatte man in den vergangenen Jahren für teures Geld entsprechende Barrieren eingekauft. Als Radfahrer konnte man sich dann schon mal darüber wundern, dass einem mitten auf einem Rad- und Fußweg, der mit einem LKW nicht zu erreichen ist, eine Barriere das Leben erschwerte. Nach zwei Wochen Backfischfest atmete die Stadt auf, dass es keine Zwischenfälle gab, während die Schausteller dankbar für ein wenig Normalität waren. Festhalten muss man aber auch, dass die teils überambitionierte Regulierungswut nicht nur strahlende Gesichter hinterließ.

EIN GOLDENER KULTUROKTOBER
Im Oktober hieß dann das Motto des Monats „Kultur findet Stadt“. Ausgestattet mit Fördergeldern des Landes und zusätzlichen Euros der Wormser Kulturkoordination, bespielten regionale Künstler aus den unterschiedlichsten Bereichen die Wormser Innenstadt. Rückblickend war es das letzte Aufbäumen gegen Corona, ehe Kontaktbeschränkungen und das Bestreben des Staates, Ungeimpften das Leben zu erschweren, die Stadt wieder etwas grauer machten. Konzentriert auf die Wochenenden im Oktober überzeugte das Stadtfestival zum Auftakt mit einem gelungenen Pop-Up-Festival-Tag, der zeigte, dass die Wormser Innenstadt immer noch Menschen anlocken kann. Das alles kulminierte in einem bestens besuchten Mantelsonntag, bei dem unter anderem auch Andreas Kümmert auf dem Weckerlinplatz ein Konzert gab. Die Ernüchterung folgte schon wenige Tage später im November. Ein größerer Corona Ausbruch im DRK Seniorenheim, sowie eine Party in der Kapelle in der Prinz-Carl-Anlage sorgten dafür, dass nur kurze Zeit später die Corona Zahlen in Worms rasch anstiegen. Für die Schausteller bedeutete das einen erneuten Nervenkrieg, stand doch kurzzeitig die Nibelungen Weihnacht auf der Kippe. Die eröffnete schließlich am 20. November und lud zumindest einen Tag lang ohne Maske, Zertifikat und ähnliches zum entspannten Glühweintrinken ein, ehe ab der offiziellen Eröffnung am 22. November wieder die eiserne Hand der Corona Bürokratie herrschte. Aber das ist eine andere Geschichte.