Text: Dennis Dirigo | Kontribution: Frank Fischer
Eine Bilanz der Großen Koalition von 2013 bis 2017
Bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2013 haben Deutschlands Wähler durch ihre Stimmen eine Konstellation herbeigeführt, die dafür gesorgt hat, dass die Regierungsgeschicke des Landes zum zweiten Mal in diesem Jahrtausend von einer Großen Koalition aus CDU und SPD gelenkt wurden. Glaubt man dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer (CDU), handelt es sich bei der aktuellen Großen Koalition um die schlechteste Regierung, die er jemals gesehen hat, wie er in einem Gespräch mit WO! verriet. Tatsächlich fällt bei genauerer Betrachtung die Bilanz von Schwarz-Rot eher ernüchternd aus.
Flüchtlingskrise
Besonders ein Jahr kann man als Zäsur für die Regierungszeit betrachten, nämlich das Jahr 2015 und die fatale Entscheidung der Bundeskanzlerin Merkel, Tage der offenen Grenzen zu veranstalten. Mit dem markanten Satz „Wir schaffen das!“ versuchte sie damals, den Deutschen Mut zu machen. Anfangs funktionierte das auch. Es gingen Bilder um die Welt, auf denen die deutsche Willkommenskultur gefeiert wurde. Der britische Politologe Anthony Glees erkannte gar Verhaltensweisen eines Hippie-Staates. Die Folge war jedoch ein beispielloses Chaos, an dem Deutschland wahrscheinlich noch Jahrzehnte zu knabbern hat. Hintergrund für Merkels Entscheidung war der anhaltende Krieg in Syrien und die damit verbundene Flüchtlingswelle. In Wahrheit strömten jedoch nicht nur Kriegsflüchtlinge unkontrolliert ins Land, sondern auch zahllose Armutsflüchtlinge aus zahlreichen anderen Ländern. Schon bald wirkte die Regierung nur noch wie Getriebene. Andere Länder, die sich von dem deutschen Alleingang nicht unbedingt begeistert zeigten, schlossen nach und nach die Grenzen. Die Regierung begann hektisch verschiedene Gesetze zu erlassen (Asylpaket I und II), definierte sichere Herkunftsländer und beschloss eine härtere Abschiebepraxis, die allerdings nur schleppend umgesetzt wird. Auf europäischer Ebene beschloss man einen Millionendeal mit der Türkei und deren umstrittenen Präsidenten Recep Erdogan. Die Folgen dieser Politik sind noch heute spürbar. Seit diesem Schicksalsjahr strömten rund 1,5 Millionen Menschen nach Deutschland. Eine Zahl, die vielerorts nicht nur kulturelle Probleme schaffte, sondern dem Staat auch finanziell einiges abverlangt. So wurde u.a. der Gesundheitsfonds der Krankenkassen angezapft, um die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Gespeist wird der Fonds aus den Beiträgen von 53 Millionen Kassenmitgliedern und Zuweisungen des Gesundheitsministers. 1,5 Milliarden Euro sollen diesem einmalig entnommen werden. Experten zweifeln allerdings daran und befürchten, dass die Zusatzbeiträge demnächst steigen werden. Ein perfekter Nährboden für die rechtspopulistische Partei AfD, die in Folge der „Flüchtlingskrise“ ungeahnten Zulauf erfährt. Viele Bürger fühlen sich von der Regierung ungehört und übergangen. Ein Ende dieser Situation ist nicht in Sicht, zumal Angela Merkel bereits verlauten ließ, dass Europa und auch Deutschland noch mehr Flüchtlinge vertragen könnten. Eine Aussage, der sicherlich viele widersprechen würden.
Verteidigung
In diesen Tagen ist es ein Leichtes, zu der Feststellung zu kommen, dass die Welt längst einem Tollhaus gleicht. Kriege, Terrorismus, Populisten bestimmen weltweit das Tagesgeschehen. Der kalte Krieg ist wieder zurück, Nordkorea treibt die westliche Welt vor sich her – und was fällt Deutschland dazu ein? Die Erhöhung der Rüstungsausgaben. Als beliebtestes Feindbild bei Hardlinern muss besonders der böse Russe herhalten, dem es angeblich gelungen ist, sogar die amerikanischen Wahlen zu manipulieren. Wer braucht da noch ein Silicon Valley? Und weil die Bedrohung durch den russischen Nachbarn angeblich so immens ist und einige Köpfe immer noch glauben, dass es besonders klug ist, in den Konflikten im Nahen Osten mit Waffengewalt mitzumischen, steigt der Verteidigungshaushalt von Jahr zu Jahr. Derzeit beläuft sich der Etat auf 37 Milliarden Euro. Dass Waffen allerdings keine Lösung sind, ist keine Erfindung der Linken oder der Grünen, sondern schlicht und ergreifend eine Erkenntnis, die man aus der Geschichte ziehen kann. Beispiel gefälligst? In Folge der verheerenden Attentate am 13. November 2015 beschloss der damalige französische Präsident Francois Hollande, in Syrien ebenfalls militärisch mitzumischen, da dort die IS wütet, die sich kurz nach dem Anschlag, bei dem 130 Menschen starben, zu der Terroraktion bekannte. Frankreich beantragte als erstes europäisches Land überhaupt einen Verteidigungs- und Sicherheitsbeistand. Bei einer Abstimmung im Bundestag stimmten 445 Abgeordnete einer militärischen Unterstützung in Form von Aufklärungsflügen über syrischem Gebiet zu.
Mit „Ja“ stimmten auch unsere beiden Abgeordneten,
Jan Metzler und Marcus Held.
Zwar hat der IS zwischenzeitlich erheblich an Einfluss in Syrien verloren, das war aber eher die Folge des äußerst unpopulären Militäreinsatzes von Russland. Dennoch hat sich die Bedrohungslage für Europa nicht verändert. Zahlreiche terroristische Anschläge in Europa, auch in Deutschland, forderten seitdem das Leben vieler unschuldiger Menschen. Dabei haben erst die Waffengänge in Folge des 11. September 2001 die Welt in diesen Hexenkessel verwandelt. Als hätte man aus der ganzen Spirale nichts gelernt, träumt vor allem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen von einem erheblich höheren Verteidigungsetat. Nach dem Willen des US-Präsidenten Donald Trump könnten das 60 bis 70 Milliarden Euro sein. Eine Zahl, die die SPD derzeit nicht mittragen möchte.
Soziale Gerechtigkeit
„Den Menschen in Deutschland
ging es noch nie so gut wie heute!“
Mit diesen Worten bilanzierte Angela Merkel während der Haushaltsdebatte Ende 2016 ihr Regierungsgeschäft. Diese oberflächliche und undifferenzierte Einschätzung der Lebenslagen von 82,5 Millionen Bürgern lässt eines völlig unberücksichtigt: In dieser Legislaturperiode sind die Reichen noch reicher geworden, während gleichzeitig die Anzahl der Armen zugenommen hat. Dass Deutschland ein sozial zutiefst ungerechtes Land ist, attestierte unlängst ein Bericht der EU-Kommission. Diese Entwicklung begann bereits unter Schröders Regierungszeit. Für all jene, die sich seitdem im Niedriglohnsektor durchs Leben schlagen müssen, hat sich das Leben unter der Rot-Schwarzen-Regierung nur unmerklich verbessert. Unter Protest vieler CDU-Politiker wurde dennoch im Januar 2015 der Mindestlohn verabschiedet; ein lange währendes Lieblingsprojekt der SPD. Mit 8,50 Euro und seit Januar 2017 sogar 8,84 Euro hat Deutschland dennoch den niedrigsten Mindestlohn in Westeuropa. Desweiteren hat auch der Mindestlohn nicht die Ausweitung des Niedriglohnsektors verhindert. 1,2 Millionen Menschen sind – zusätzlich zu ihrem kläglichen Gehalt – auf Hartz IV angewiesen. Außerdem hat man zahlreiche Ausnahmeregelungen geschaffen, bei denen der Mindestlohn unterschritten werden darf. Gerne rühmt sich die Regierung mit sinkenden Arbeitslosenzahlen. Schaut man allerdings hinter die offiziellen Zahlen, so tritt Ernüchterung ein. Offiziell waren im Juli 2.517.645 Menschen arbeitslos. Die eigentliche Zahl beläuft sich jedoch auf 3.482.009 Menschen. Hierbei bedient sich die aktuelle Regierung einem altbekannten Taschenspielertrick, denn Menschen, die an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, berufliche Eingliederung betreiben und in fremd geförderten Arbeitsverhältnissen stehen, werden einfach heraus gerechnet. Natürlich sollte man auch nicht verschweigen, dass viele Arbeitnehmer in Deutschland vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Die Hauptprofiteure sind jedoch vor allem in den oberen Lohnsegmenten zu finden, also in Sphären, in die der Großteil der Deutschen niemals vordringen wird. Dem gegenüber steht eine stetig wachsende Zahl an Menschen, die sich im Niedriglohnsektor durchs Leben schlagen müssen. Rund 20% der Arbeitnehmer betrifft dies. Viele müssen sich Zweitjobs suchen, um sich über Wasser halten zu können. Nun könnte man reflexhaft sagen, dass dies wohl ausschließlich Menschen mit schlechter Schulbildung betrifft, aber das ist längst nicht mehr so. Ein Ende dieses Trends ist nicht in Sicht. Von schlechter Bezahlung sind oftmals auch die helfenden, also die gesellschaftlich wichtigen Berufe betroffen. Eine Entwicklung, die nachdenklich stimmt. Es geht hier auch nicht um Neiddebatten, sondern darum, dass Arbeiten sich wieder lohnen muss. Von Seiten der Politik müssen hier deutlich mehr Anstrengungen unternommen werden, aber außer Lippenbekenntnissen ist dort wenig zu hören.
Ungerecht ist Deutschland auch, was die Besteuerung angeht. Nach wie vor klafft zwischen Reichtum und einfachen Arbeitnehmern eine gigantische Ungerechtigkeitslücke. Dabei reden wir hier nicht von Managern, Anwälten oder anderen Menschen, die durch ihre Arbeit vermögend geworden sind, sondern vom vererbten Kapital. Zwar wurde unter der Großen Koalition eine Erbschaftssteuerreform verabschiedet, doch die zielt am eigentlichen Problem vorbei. Man muss kein Fan von Sahra Wagenknecht (Die Linke) sein, um diese Ungerechtigkeit zu erkennen. Beispiel: Die 500 reichsten Deutschen besitzen zusammen ein Kapitalvermögen von rund 625 Milliarden Euro. Nur mit der Zahlung von Dividenden vermehrte sich das Geld in einem Jahr um 2,4 Milliarden. Sphären, in die noch nicht mal der frühere Top-Manager Martin Winterkorn jemals vordringen würde. Gebe es eine vernünftige Besteuerung solcher Vermögen, müsste wahrscheinlich nicht einmal der Gesundheitsfonds, wie oben beschrieben, angezapft werden. Ist aber eine Änderung in Sicht? Fehlanzeige. Gerne wird darauf verwiesen, dass womöglich unsere Superreichen auswandern würden. Wie man dem entgegenwirkt, zeigt seit Jahren die USA, die die Steuerpflicht an der Staatsbürgerschaft festmacht. Wie gesagt, es geht nicht um Neid, sondern um eine Solidargemeinschaft, von der unsere Politiker so gerne erzählen. Aber ist das die Solidarität, von der wir träumen? Wohl kaum. Fragen Sie mal eine alleinerziehende, arbeitende Mutter nach ihrer Besteuerung, die wird wahrscheinlich ein Lied der Verzweiflung davon singen können. Ebenfalls keine Lösung gab es für die drohende und immer mehr zunehmende Altersarmut. Vielen Rentnern geht es derzeit noch gut, aber das wird sich in den nächsten Jahren drastisch ändern. Immerhin wurde in dieser Legislaturperiode ein „großes Rentnerpaket“ verabschiedet und eine „Mutterrente“ wurde durchgesetzt, die aber an dem eigentlichen Problem der Altersarmut nichts ändern wird. Es ist Zeit, die Probleme der Zukunft anzugehen. Fast scheint es so, als würde man diese scheuen. Doch genau dafür beziehen Politiker ihr ordentliches Salär.
Was ist sonst noch in der letzten Legislaturperiode passiert?
Man könnte an dieser Stelle noch endlos weiter schreiben, aber das würde den Rahmen unseres Magazins sprengen. Daher hier noch eine kleine Zusammenfassung der weniger gelungenen Gesetze. Fast unbemerkt wurde eine Bargeldobergrenze beschlossen, die einmal mehr die These nährt, dass von oberster Stelle auf kurz oder lang eine Abschaffung des Bargeldes geplant ist. Dabei geht es letztlich nicht um die Eindämmung von Kriminalität, sondern vielmehr um einträgliche neue Geschäftsfelder für Banken, was nebenbei ein brillantes Beispiel dafür ist, wie Lobbyismus in den Berliner Politikalltag eingreift. Ein anderes artverwandtes Beispiel ist die kurz vor der Sommerpause vorgenommene Grundgesetzänderung des Paragraphen 90. Offiziell geht es um eine Gründung einer Autobahn GmbH. Diese Infrastrukturgesellschaft soll für mehr planerische Effizienz sorgen und ist zugleich Türöffner für eine Privatisierung. Das ist insofern skandalös, da die Autobahnen schon längst von den Autofahrern mit ihren Steuern bezahlt bzw. finanziert werden. Im Übrigen stimmte Marcus Held gegen diese Maßnahmen, während Jan Metzler dafür stimmte. In diesem Kontext ist auch die beschlossene PKW-Maut eine brisante Angelegenheit. Zwar sollen deutschen Autofahrern keine Mehrkosten entstehen, aber das muss sich erst noch zeigen. Zunächst wird allerdings die Maut per Lastschriftverfahren von jedem Kfz-Halter eingezogen. Als wenig nützlich erwies sich die seit 1. Juni 2015 geltende Mietpreisbremse. Kernpunkt des Gesetzes ist zum einen, dass die Mietpreise bei Weiter- bzw. Neuvermietungen von Bestandswohnungen maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Damit soll verhindert werden, dass Gering- und Normalverdiener aus begehrten Wohngebieten verdrängt werden. Zum anderen müssen Mieter fortan keine Maklergebühren mehr zahlen, wenn der Makler vom Vermieter beauftragt wurde. Eine im Grunde sinnvolle Sache, doch in der Praxis ein zahnloser Tiger. Warum? Zahlen aus Internetportalen legen nahe, dass die Mietpreisbremse in Großstädten wie München, Hamburg und Berlin nicht eingehalten wird. Warum sollten sie auch? Vermieter müssen keine Sanktionen fürchten, wenn sie die Grenze ignorieren. Außerdem verteuerte der Staat seit 2015 durch einen Schwung neuer Gesetze und Vorschriften den Neubau von Wohnungen und Häusern. Unangenehmer Nebeneffekt: Sozialer Wohnungsbau wird für Investoren und Hausbesitzern zunehmend uninteressant, dabei wird dieser ganz besonders dringend benötigt.
Fazit: Vielleicht hat Willy Wimmer übertrieben, als er von der „schlechtesten Regierung der Nachkriegszeit“ sprach. Dennoch muss man konsternieren, dass das Ergebnis der Regierungsarbeit eher ernüchternd ausfällt. Zumindest ist die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, die ebenfalls noch in diesem Jahr beschlossen wurde, für die Kommunen ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch bleibt insbesondere Kanzlerin Merkels gelegentlich sehr willkürlich erscheinender Politikstil mehr als bedenklich. Dieser wird sich vermutlich auch während einer vierten Legislaturperiode nicht ändern.