WO!: Frau Mehlmann, Sie möchten sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung einsetzen. Was gefällt Ihnen denn nicht an Worms und was würden Sie gerne besser machen?
Isabel Mehlmann: Die Stadt hat Potential. Es ist eine historische Stadt, ich bin hier aufgewachsen. Man kennt die schönen Ecken und sieht, wie sich alles ein bisschen entwickelt. Sie hat liebenswerte Vorzüge und eine gute Verkehrsanbindung. Was mir nicht gefällt, ist die mangelnde Lebensqualität. Die Stadt lädt nicht zum Verweilen ein. Auch im Hinblick auf den demografischen Wandel liegt noch sehr viel Arbeit vor uns und ich habe das Gefühl, dass man dafür in Worms noch kein richtiges Konzept hat.
WO!: Was sagen die beiden Herren zur Stadtentwicklung?
Mathias Englert: Das mit dem Potential lass ich mal so stehen, obwohl man ja sagt: „Wer Potential hat, der taugt nix.“ Ich bin hier geboren und habe immer hier gelebt. Wir haben eine gute Anbindung, Rheinhessen ist wunderschön, es sind viele Arbeitsplätze im Umfeld. Worms hat also durchaus Potential – und das meine ich absolut im positiven Sinne.
Jürgen Neureuther: Worms hat sich in den letzten 25 Jahren, gerade in Bezug auf das kulturelle Angebot, sehr gut gemacht. Worms hat aber auch Brennpunkte, wo einiges im Argen liegt. Stellvertretend sei hierfür die Altstadt genannt, auch wenn der Herr Kosubek das abstreitet – die Wahrnehmung vieler Bürger ist eine andere.
WO!: Trägt ein „Haus am Dom“ zur positiven Stadtentwicklung bei?
Mathias Englert: Ich war schon vor Jahren bei der Bürgerinitiative dabei, die für den freien Blick auf den Dom gekämpft hat, als sich ein Hotel gegenüber ansiedeln wollte. Den Bürgerentscheid haben wir mit 27% (der Wahlberechtigten) knapp verloren, weil das Quorum noch bei 30% lag (aktuell nur noch 20%) Auch heute kann ich nicht nachvollziehen, warum man diesen freien Blick zubauen will. Ich bin sicher: Wenn man die Wormser nach ihrer Meinung fragt, werden sie den Bau mit großer Mehrheit ablehnen. Meine Hoffnung ist, dass die Domgemeinde einlenkt. Was allerdings die Machenschaften unseres Oberbürgermeisters in dieser Sache angehen, da fehlen mir wirklich die Worte. Eigentlich müsste man ihn seines Amtes entheben, aber dafür bräuchte man eine Zweidrittelmehrheit im Stadtrat – da macht die SPD nicht mit.
Jürgen Neureuther: Das eigentlich Brisante an der Geschichte stand vor einigen Tagen in der Wormser Zeitung, als man über den Architektenwettbewerb berichtet hat. Man hat seinerzeit den Springer-Entwurf als Sieger ausgewählt. Als dann aber die meisten Bürger gegen diesen Kasten waren, hat man Springer einfach den Auftrag erteilt, etwas anderes zu entwerfen. Dabei kann man doch nicht von einem transparenten Verfahren sprechen. Leider wird ein Bürgerentscheid vermutlich nicht mehr kommen, weil sich das Verfahren aufgrund der rechtlichen Komplexität verzögert und es wohl nicht bis zur Kommunalwahl reicht. Wobei ich mich diesbezüglich meinem Vorredner anschließen möchte: Kissel ist nicht gleichzeitig die Judikative. Wie sagt man so schön: „Auf hoher See und vor Gericht sind Sie in Gottes Hand…“
WO!: Oder wie man in Worms sagt: In Kissels Hand… Was sagen denn die Grünen zu diesem Thema?
Isabel Mehlmann: Wir heben vor allem die Bürgerbeteiligung hervor. Nicht nur beim „Haus am Dom“, auch beim Thema „Hoher Stein“ war uns das wichtig. Warum sollen die Bürger nicht an der Gestaltung ihrer Stadt teilnehmen dürfen? Das heißt nicht, dass die Grünen automatisch jede BI unterstützen, denn es kommt natürlich auf das Anliegen an. Das Verfahren ist einfach falsch gelaufen, nicht nur was den Architektenwettbewerb angeht. Jetzt will man noch eine dritte Bürgerbefragung. Das ist wieder so ein Alibiverfahren, nach dem Motto: „Wir haben was getan!“ Dabei hat man sich dem Problem gar nicht gestellt.
WO!: Und Ihre persönliche Meinung?
Isabel Mehlmann: Ich habe bei den Lichterketten mit dabei gestanden und Flagge bekannt.
Mathias Englert: Wenn ich noch einhaken darf: Der OB ist in dieser Sache befangen. Er hat sich vor den Karren der Domgemeinde spannen lassen und schon früh Partei ergriffen. Eigentlich dürfte er in dieser Sache gar keine Meinung äußern und sollte im Rat seinem Bürgermeister Kosubek das Rederecht übergeben. Das würde der Anstand gebieten. So anständig ist er aber nicht. Dafür wird er seine Quittung kriegen – hoffentlich am 25. Mai…
WO!: Wir hatten eben schon das Thema „Gewerbegebiet Hoher Stein“, das bekanntlich gekippt wurde. Ähnliche Gründe sprechen auch gegen WEI7 in Weinsheim am See. Die FDP war gegen beides, was eigentlich untypisch ist für eine liberale Partei. Wollten Sie keine neuen Arbeitsplätze schaffen?
Jürgen Neureuther: Ich bin von Beruf Agrar-Ökonom. Für uns Liberale ist auch Landwirtschaft ein Teil der Wirtschaft. Es war total dämlich von der Wirtschaftsförderung, zu sagen, dass dadurch neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die nicht mehr waren als die, die man in der Landwirtschaft verloren hätte. Deswegen sage ich: Kein Ausspielen von vermeintlich guten Arbeitsplätzen in der Wirtschaft gegenüber vermeintlich schlechten in der Landwirtschaft, zumal hier ganz viele Familienbetriebe mit drin hängen. Das war für uns ein wichtiger Punkt, warum wir klare Kante gezeigt haben.
WO!: Und wieso ist die FDP gegen WEI7?
Jürgen Neureuther: Das Schöne an der Stadtführung ist ja, dass man seine eigenen Grundsätze immer wieder über Bord wirft, so wie es einem grad in den Kram passt. Im Landesentwicklungsprogramm wurde festgelegt: Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Dort soll auf der grünen Wiese etwas angeboten werden, was überhaupt keinen Sinn macht. Außerdem wird das unter völlig falschen Gesichtspunkten als „Weinsheim am See“ vermarktet, obwohl überhaupt kein Zugang zum See besteht.
WO!: Doch, einen winzigen Steg soll es geben…
Jürgen Neureuther: Da kann ich auch nach Herrnsheim ziehen und an den dortigen Badeweiher laufen. Das Problem ist, dass Kissel auch hier parteiisch ist, genauso wie beim Haus am Dom und beim Hohen Stein. Hierzu möchte ich noch anfügen, dass am Hohen Stein das komplette Stadtbild zerstört worden wäre. Man hätte eine Parallelstadt zu Worms erzeugt und der Blick zum Donnersberg wäre dahin. Ganz zu schweigen von der Zerstörung der Frischluftschneise.
Isabel Mehlmann: Was das Thema „Hoher Stein“ angeht, gilt für uns das gleiche wie für die FDP. Wenn qualitativ hochwertige Arbeitsplätze ansiedeln sollen, sagen wir doch nicht „nein“. Die sind in Worms herzlich willkommen. Mit dem Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ haben beide Projekte nichts zu tun. Außerdem steht für uns in beiden Fällen ganz klar der Umweltschutz im Mittelpunkt. In Weinsheim am See gab es vermeintliche Gutachten, die gar nicht stattgefunden hatten und man wird das Gefühl nicht los, dass schon Verträge abgeschlossen und Versprechen gemacht wurden, als längst noch nicht alles unter Dach und Fach war.
WO!: Herr Englert, wie steht die FWG zu WEI7 bzw. Hoher Stein?
Mathias Englert: Wir haben beide Projekte abgelehnt. Zunächst aus ökologischen Gründen. Man kann nicht in jedem Wahlprogramm Umweltschutz predigen und wenn es darauf ankommt, sagt man: „Scheiß der Hund drauf!“ Denn ich hab plötzlich ein ganz besonderes Interesse, das jetzt wichtiger als Umweltschutz ist.
WO!: Meistens ist es Geld…
Mathias Englert: …und Versprechungen. Man macht Versprechungen und ist dann moralisch abhängig. Genauso wie beim Haus am Dom. Das geht einfach nicht. Aus ökologischen wie aus städtebaulichen Gründen sind WEI7 als auch Hoher Stein abzulehnen. Wobei ich anfügen möchte, dass auch schon das alte WEI7 ein städtebaulicher Unsinn war. Beim Hohen Stein hat mich geärgert, dass man noch Gutachten macht, obwohl man vorher schon gewusst hat, dass es dort Feldhamster gibt. Man wusste, dass das ein K.O.-Kriterium ist und schmeißt noch Kohle hinterher. SPD und CDU werfen das nicht vorhandene Geld mit vollen Händen aus dem Rathaus. Damit muss jetzt endlich Schluss sein.
WO!: Das ist ein prima Übergang zum Thema „Überschuldeter Haushalt“. Wo sehen Sie Einsparpotentiale?
Jürgen Neureuther: Einsparpotential sehen wir in einer schlanken Verwaltung. Wir reden hier nicht nur von Personalkosten, sondern ebenso von Pensionslasten, die sich auftürmen. Man sollte bei öffentlichen Bauvorhaben genauso stringent planen wie bei privaten Vorhaben. Wenn ich ein Haus baue, sag ich vorab, wie viel das kosten darf. Mehr geht nicht, weil dann die Finanzierung nicht mehr steht. Bei öffentlichen Bauvorhaben sagt man leichtfertig: „Das ist halt teurer geworden…“ Das sind ja Riesenposten im Haushalt, von denen wir da sprechen.
WO!: Aber wenn doch die Chinesen wegen steigender Stahlpreise den gesamten Markt leer kaufen, wird unser KUTAZ halt teurer…
Jürgen Neureuther: Ja, das sind die Verschwörungstheorien, die dann anschließend gebastelt werden.
Isabel Mehlmann: Auf der einen Seite fehlt Geld, weil die Kommunen aufgrund der vom Staat aufgelasteten Sozialleistungen notorisch unterfinanziert sind. Auf der anderen Seite müssen auch die Kommunen schauen, wie sie ihren Haushalt in Ordnung bringen. Man kann nicht mehr so wirtschaften wie vor 50 Jahren. Wir haben z.B. völlig überdimensionierte Prestigeprojekte. Dazu kommt oft, dass die Stadt einfach pennt. Dadurch gehen Fördergelder oder Projektgelder flöten, weil man „vergessen“ hat, Anträge zu stellen. Egal ob bei Asylbewerbern oder bei der Kita-Investitionskostenförderung. Außerdem sollte in Sachen Haushalt viel mehr Transparenz herrschen. Die meisten Bürger bekommen nicht einmal mit, wo Fördergelder überhaupt landen.
Mathias Englert: Die Stadt hat bis Ende des Jahres ungefähr 430 Millionen Euro Schulden. Wir müssen dazu kommen, einen ausgeglichenen Haushalt zu schaffen und irgendwann die Schulden zurückzuzahlen. Ja, Bund und Land versorgen
die Kommunen mit zu wenig Geld und sind auch schuld an der Misere. Was man aber nicht als Sieg verkaufen kann, weil es keiner ist, sind solche Geschichten wie der Kommunale Lügenfond. Das Defizit der Stadt ist jedes Jahr höher, ob mit oder ohne Kommunalen Entschuldungsfond. Das bringt also überhaupt nichts.
WO!: Es ist aber eine gute Gelegenheit, um den Bürger zum Sparen zu erziehen. Auffällig ist auch, dass zwar die Einnahmen stetig steigen, aber auch die Ausgaben mit wachsen…
Mathias Englert: Dann muss man unsinnige Ausgaben vermeiden, wie in der Verwaltung oder wie bei den Gutachten zum Hohen Stein. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Auf der anderen Seite muss man auch entsprechende Fördergelder beim Land beantragen. Das kann man aber nicht, wenn die Roten miteinander kuscheln. Die Stadt Worms hat nicht zu den Städten gehört, die vorm Verwaltungsgericht mehr Geld vom Land gefordert hat. Dafür war man sich zu fein, weil es gegen die SPD gegangen wäre. Man verklagt ja nicht die, mit denen man abends saufen geht.
WO!: Das Thema Kultur lässt man sich in Worms ebenfalls viel Geld kosten. Für die Kommunalwahl hat die FDP die Forderung bekräftigt, das „Millionengrab Nibelungenmuseum“ zu schließen. Hätte man das nicht besser gar nicht erst eröffnet?
Jürgen Neureuther: Natürlich, das sieht man ja an den Besucherzahlen, die auch noch schöngerechnet sind, weil jedes verkaufte Ticket für die Nibelungen in die Zahlen mit einfließt, auch wenn die Leute ihren Gutschein gar nicht einlösen. Ansonsten wird das vom damaligen Kulturdezernenten Heiland angepriesene Erzählkonzept überhaupt gar nicht angenommen. Am sinnvollsten wäre in der Tat eine Schließung…
WO!: Das Thema Nibelungenmuseum spare ich wegen persönlicher Befangenheit aus. Ganz generell die Frage: Kostet uns die Kultur in Worms zu viel Geld?
Mathias Englert: Nur ein Satz: Auch das Nibelungenmuseum hab ich damals mit angezettelt. Kultur darf Geld kosten, aber wir haben eine gewisse Selbstbedienungsmentalität. Die Bürger wollen immer weniger zahlen und die Stadt soll immer mehr dazugeben. Das ist nicht richtig. Eigentlich müssten die Kulturinteressierten tiefer in die Tasche greifen, als diejenigen, die nicht an Kultur interessiert sind. Der Hartz IV-Empfänger geht doch nicht ins Theater. Auch die Nibelungen Festspiele sind eine Veranstaltung, die eine Stange Geld kostet, aber eigentlich unsozial ist. Ich würde die Festspiele nicht abschaffen, das geht mir zu weit. Aber natürlich muss man auch hier auf die Kosten achten. Zudem brauchen wir noch eine andere Form von Kultur, die sich alle leisten können. Ganz ehrlich: Wenn ich keine Freikarten bekäme, würde ich nicht auf die Festspiele gehen.
WO!: Wenn man ohne Defizit arbeiten wollte, müsste der Eintritt für die Festspiele halt 250 Euro kosten…
Mathias Englert: Wenn ich in Mannheim ins Kino gehe, zahle ich mittlerweile auch meine 12 Euro Eintritt. Aber ich zahle die privat oder ich lass es bleiben. Aber hier mischt sich die Stadt ein und subventioniert das mit Geld, das sie gar nicht hat. Nebenbei macht man damit auch noch freie Träger kaputt. Darüber sollte man mal nachdenken.
WO!: Vor ein paar Jahren hat ein Parteikollege von den Grünen gefordert, die Nibelungen Festspiele – ähnlich wie die Passionsspiele in Oberammergau – mit Bürgerbeteiligung statt teuren Stars aufzuführen. Wie stehen die Grünen denn aktuell zu den Nibelungen?
Isabel Mehlmann: Aus unserer Sicht können die Nibelungen Festspiele gerne ganz abgeschafft werden. Das Geld, das dort rein gepumpt wird, ist auf jeden Fall überdimensioniert für eine Veranstaltung, die angelegt ist für eine ganz bestimmte Schicht. Überhaupt, dies als Kultur schlechthin zu verkaufen, damit verkauft man den Bürger für dumm. Unter Kultur verstehe ich etwas anderes als diese aufgeblasenen Nibelungen Festspiele. Uns geht es um die Vielfalt in der Kunst. Künstler, Individuen zu fördern oder Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.
WO!: Die meisten Künstler sind ja erst was geworden, nachdem sie aus Worms weg sind…
Isabel Mehlmann: Es hält ja auch keinen hier. Wir hatten hier Talente. Die gehen nach Heidelberg oder Berlin, wenn sie was auf dem Kasten haben. Das Lincoln Theater sollte ja auch geschlossen werden, aber genau solche Dinge müssen gefördert werden. Kunst und Kultur darf und soll etwas kosten, denn es trägt zur Lebensqualität bei und zeigt, wie tolerant eine Stadt ist.
Lesen Sie in der Mai-Ausgabe Teil 2 des Gesprächs mit Isabel Mehlmann (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Jürgen Neureuther (FDP) und Mathias Englert (FWG Bürgerforum). Die Themen: Migration, Schulpolitik, Innenstadtbelebung, Politikstil in Worms, Selbsteinschätzungen.