Bei der Bundestagswahl 2013 kandidierte Marcus Held als Direktkandidat für den Wahlkreis Worms und zog über die Landesliste in den Bundestag ein. Dort gehört er dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie als ordentliches Mitglied sowie dem Ausschuss für Umwelt und Bauen als Stellvertreter an und vertritt in Berlin die Interessen seines Wahlkreises.
WO! Sie sind jetzt knapp 1,5 Jahre im Bundestag. Wie fällt ihr erstes Fazit aus?
Sehr vielseitig, was die Aufgaben angeht. Nachdem ich erst mal ein wenig gebraucht habe, um mich zurecht zu finden, ist es im letzten halben Jahr richtig losgegangen. Bisher macht es mir großen Spaß, dass ich mich hier vor Ort für Projekte einsetzen kann, die in meinem Wahlkreis ein großes Thema sind.
WO! Wie sieht ein klassischer Arbeitsmonat eines Marcus Held aus?
Ich bin rund 20 Wochen im Jahr in Berlin, d.h. von Montag bis Freitag ist die Sitzungswoche in Berlin. Anreise (MO), Fraktion Landesgruppe (DI), Ausschuss (MI), Plenum (DO) und Freitag Rückreise. Da sind wir sehr festgelegt. Die Wochenenden sind zumeist voll ausgebucht, weil dann viele Termine im Wahlkreis stattfinden. Wenn mich Besuchergruppen nach Arbeitsstunden fragen, erkläre ich immer, dass man das nicht zählen kann. Aber wenn man das nicht will, darf man nicht in die Politik gehen.
WO! Sie sind weiterhin Bürgermeister in Oppenheim und nun auch Bundestagsabgeordneter. Wie gehen Sie mit dieser Doppelbelastung um bzw. wie kann man diesen beiden anspruchsvollen Tätigkeiten gerecht werden?
Ganz gut, weil wir 2014 in Oppenheim eine Umstrukturierung vorgenommen haben. Ich hab drei Beigeordnete mit eigenen Geschäftsbereichen, sodass sich mein Aufgabenfeld reduziert hat. Es ist sogar positiv, Kommunalverantwortung zu tragen, da ich bei vielen Themen immer wieder feststelle, wie wenig bei der Gesetzgebung oder Entscheidungen darauf geachtet wird, wie sich diese in der Praxis auswirken. Gesetzgebung in Berlin ist zum Teil schon sehr abstrakt, das muss ich auch mal kritisch anmerken. Insofern halte ich die Doppelverantwortung für sehr befruchtend.
WO! Können Sie uns über Ihre Tätigkeit im Ausschuss für Wirtschaft und Energie berichten?
In dem Ausschuss sind alleine 14 SPD Abgeordnete und jeder von uns hat ein anderes Arbeitsgebiet. Im letzten Jahr war der Schwerpunkt Energie/Energiewende. Zurzeit beschäftigen wir uns mit Fragen der Außenpolitik, z.B. die Auswirkungen der Sanktionen gegenüber Russland. Ich war vor kurzem bei einem regionalen Unternehmen, das stark darunter leidet, weil es von Exporten nach Russland abhängig ist. Auch über diese Dinge wird in dem Ausschuss diskutiert. Ein großes Thema ist das Wettbewerbsrecht in Bezug auf die Vergaberichtlinien bei Kommunen. Das ging bisher immer an den günstigsten Anbieter, ohne dabei soziale oder ökologische Kriterien zu berücksichtigen. Ein weiteres spannendes Thema ist ein freier WLAN-Zugang. Die SPD macht sich schon länger für die Aufhebung der sogenannten Störerhaftung stark. Allerdings ist das innerhalb der Koalition heftig umstritten, da doch sehr viele konservative Politiker auf Seiten der CDU sind, die hinter jedem Busch einen Kriminellen sehen.
WO! Während Ihre Partei kaum noch von ihrem ehemals sozialen Image profitieren kann, hinterlässt die CDU unter der Kanzlerschaft von Frau Merkel zuweilen den Eindruck, die bessere SPD zu sein. Bei der letzten Wahl waren gerade mal noch 25% bereit, der SPD ihr Vertrauen zu schenken? Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation?
Wir sind sehr unzufrieden damit, da es der Koalitionspartner immer wieder schafft, auf der einen Seite die Kompromisse zwar mit zu beschließen, sie aber dann in der Kommunikation nach außen nicht mitträgt. Das sieht man jetzt wieder bei der Diskussion um den Mindestlohn. Man darf auch den Personenkult zugunsten der Kanzlerin nicht unterschätzen, da rücken Inhalte oft in den Hintergrund. Als Chance für die SPD sehe ich das Thema Außenpolitik. Damit haben wir 2002 schon einmal eine Wahl gewonnen, als Gerhard Schröder die Teilnahme am Irak-Krieg verweigert hat. Frank Walter Steinmeier macht einen sehr guten Job und je näher wir uns der Situation von Krieg und Frieden nähern, desto mehr ist auch die Friedenspolitik der SPD gefragt. Und natürlich hoffe ich auch, dass wir unsere Sozialpolitik stärker betonen können.
WO! Bei der Euro Krise macht die derzeitige Regierung keine gute Figur. Im Grunde ist der Weg, den die Institutionen (Troika) einschlugen, gescheitert, aber keiner mag das offen zugegeben. Stattdessen hält man an diesem selbstmörderischen Kurs fest. Wie sehen Sie das?
Mit großer Sorge verfolge ich die Debatten einzelner CDU Hardliner, die diskutieren, ob sich Deutschland an weiteren Hilfspaketen beteiligen soll. Wenn wir allerdings über Europa reden und europäisch handeln wollen, ist das keine Frage. Immerhin profitieren wir Deutschen auch davon, siehe unsere Exportüberschüsse. Ich glaube auch, dass die EU entstanden ist mit dem Ziel der Völkerverständigung und das so etwas wie der Zweite Weltkrieg hier in Europa nicht mehr geschehen darf. Deshalb darf man Europa nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft sehen, man muss auch Probleme – wie jetzt in Griechenland – gemeinsam lösen.
WO! Auch der Umgang mit der derzeitigen Flüchtlingsproblematik verwundert ein wenig.
Statt die Schlepperbanden zum großen Problem zu erklären, sollte sich Europa mit den Ursachen beschäftigen, die eher in der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents liegen… In meiner Konfirmationszeit haben wir mit dem Pfarrer öfters über diese Problematik gesprochen. Damals sagten wir, wenn es uns nicht gelingt, den Wohlstand auf der Welt gleich aufzuteilen und für eine richtige Entwicklungshilfe zu sorgen, dann werden sich die Menschen ihren Wohlstand holen. Und zwar bei uns. Insofern gebe ich Ihnen vollkommen recht. Ich finde es sehr erschreckend, was die EU da an Entscheidungen oder auch an Nichtentscheidungen getroffen hat. Das ist zum Teil menschenverachtend, wenn man sagt, man hat kein Geld zur Verfügung, um dafür zu sorgen, dass sich die Leute nicht in den Tod stürzen.
WO! In der Regierungszeit Schröder zeigte sich die SPD durchaus Russland-nah, ist aber mittlerweile komplett auf den amerikanischen Kurs Merkels umgeschwenkt. Was soll man von guten Freunden halten, die uns seit Jahren ausspionieren und offensichtlich immer wieder versuchen, für ihre eigenen Interessen zu manipulieren, z.B. beim Ukraine-Konflikt. Wäre da nicht ein bisschen mehr Vorsicht geboten?
Waffen verschlimmern die Sachen. Das lässt sich seit den 60er Jahren bezüglich der amerikanischen Außenpolitik feststellen. Es wurde nie mit den Menschen vor Ort nach Lösungen gesucht, sondern immer von oben eine Diktatur aufgebaut. Das ist eine schreckliche Situation und längst eine innenpolitische Frage: Wie lange können wir so positiv mit Flüchtlingsfällen in Deutschland umgehen? Da müssen wir ganz sensibel dafür sorgen, dass keiner, der hier bereits im Land lebt und sozial benachteiligt ist, am Ende schlechter dasteht als jemand, den wir aufnehmen, weil er von Krieg und Verfolgung gebeutelt ist. Diesen sozialen Aspekt müssen wir in der Diskussion zunehmend stärker berücksichtigen.
WO! Wäre in diesem Zusammenhang ein Stück weit weniger „Nibelungentreue“ gegenüber den Amerikanern nicht angebracht?
(lacht) Das ist ein schönes Bild! Gerhard Schröder hat das ganz gut hinbekommen. Ich denke auch, dass man dem „großen Bruder“ durchaus kritisch gegenüber stehen sollte. Ich merke aber auch, dass unsere Bundeskanzlerin sehr intensiv auf einer Linie mit Amerika liegt. Zumal der Ukraine Konflikt von der NATO mit geschürt ist. Steinmeier sagt auch, lieber 50 Mal reden als einmal schießen. Natürlich sehe ich aber auch die Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern und ihrer Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg.
WO! Noch eine Frage zu den Nibelungen: Sie sind derzeit in Gesprächen bezüglich Fördermöglichkeiten des Bundes. Können Sie was zum aktuellen Stand sagen?
Land und die Stadt fördern seit Jahren, jetzt sind wir überparteilisch bemüht, für die Nibelungen Festspiele auch eine Bundesförderung zu bekommen. Die Festspiele in Bad Hersfeld, wo der Herr Wedel jetzt hingegangen ist, bekommen in diesem Jahr noch mehr Förderung des Bundes. Warum auch immer. Deshalb versuchen wir (zusammen mit Jan Metzler) in Berlin bei Frau Grütters (CDU, Staatsministerin für Kultur und Medien) und dem Siggi Ehrmann (SPD, Vorsitzender Kulturausschuss) für Worms vorzusprechen. Da gibt es durchaus viele Möglichkeiten.
WO! Zum Abschluss: Was sind noch ihre persönlichen Ziele in der Bundespolitik?
Ganz wichtig für Worms ist der B47 Brückenschluss, nämlich von der Renolit bis zur Rheinbrücke, damit endlich für die Innenstadt eine spürbare Entlastung kommt. Wir reden immerhin von ungefähr 30.000 Fahrzeugen am Tag. Das Thema entscheidet sich dieses Jahr. In diesem Zusammenhang ist auch die Verlängerung der B47 auf der Seite des Rosengartens ein großes Thema. Verkehrspolitisch gehört auch der weitere Ausbau der B9 zu den wichtigen Aufgaben, da dies im Bundesverkehrsregelplan 2015 steht, d.h. wenn wir das nicht hinbekommen, müssen wir wieder 15 Jahre warten (lacht).
WO! (lacht) Das sind wir ja gewohnt. Die zweite Rheinbrücke hat gerademal 25 Jahre gedauert… Vielen Dank für das Gespräch, Herr Held!
Das Gespräch führten: Dennis Dirigo, Frank Fischer und Christiane Walther