Kurz nach Erscheinen unserer Februar-Ausgabe, die in Anlehnung an „Charlie Hebdo“ erstmals eine Satire-Ausgabe war, rief der OB in der WO! Redaktion an. Was zunächst nach Schimpfe für die Redakteure aussah, entpuppte sich als unerwarteter Glücksmoment in der Geschichte unseres Magazins. Auf diesen Moment mussten wir zehn Jahre lang warten. Endlich: Wir sind im Establishment angekommen!!!

Wenn der Chefredakteur in Urlaub ist, dann gilt in den heutigen mobilen Zeiten, wo man in den unmöglichsten Momenten für Störungen sorgen kann, der eiserne Grundsatz: „Bitte nicht wegen jedem Scheiß anrufen…“ Als er nun auf „Schreib-Urlaub“ (im Sommer erscheint eine immerhin 228-Seiten-starke-WO!-Jubiläumsausgabe) im Allgäu war, mitten in den Bergen, alleine mit Hund und bedeckt von meterhohen Schneemassen, da dauerte es gerade einmal fünf Tage, bis Ruhe und Idylle durchbrochen wurden, weil eine wichtige SMS einging. In besonders dringenden Fällen wurde mit den Mädels im Büro als Erkennungszeichen „Code Red“ vereinbart, z.B. wenn ein Gerichtsvollzieher im Büro steht, weil er nicht bezahlte 51,78 Euro Mahngebühren „eintreiben“ will bei einer Firma, die übers Jahr verteilt – zumeist pünktlich – knapp 60.000 Euro an Steuern ans Finanzamt abdrückt. In so einer Situation herrscht natürlich „Gefahr in Verzug“, sowohl für den Verlag als auch für das Finanzamt Worms. Als nun also am 6. Februar 2015, nur wenige Tage nach dem Erscheinen unserer Satire-Ausgabe, in der wir uns Oberbürgermeister Kissel zu seinem 60. Geburtstag als Hauptopfer auserkoren hatten, eine Code-Red-SMS einging, handelte es sich womöglich wirklich um eine wichtige Angelegenheit. Denn kurz zuvor hatte die Vorzimmerdame des OB’s in unserem Verlag angerufen, weil der Herr Kissel den Herrn Fischer oder den Herrn Englert sprechen wollte. Die zarte Antwort der Kollegin: „Ist es denn dringend, der ist gerade…“, wurde von der erbarmungslosen Stimme der Anruferin übertönt: „Sofort!“. Daraufhin hat sich der per Telefon informierte Kollege Englert schon mal prophylaktisch in die Hosen gemacht, weil er befürchtete, dass er sich den Groll des Stadtoberhauptes zugezogen hatte. Und das nur wegen einem einzigen Satz, der nicht einmal von ihm selbst stammte. So hatte er im Liveticker von Kissels 60. Geburtstag geschrieben: „16:57 Uhr: Nun darf der Herr Innenminister mal auf die Bühne. Er brabbelt von seinem in Worms lebenden Sohn, dem er ein paar Tüten Lebensmittel mitgebracht hat. „In Worms gibt’s halt nix!“ sagt der Innenminister von Rheinland-Pfalz.“ Um das Ganze ein bisschen knackiger zu gestalten, hatte der Chefredakteur eine Ergänzung vorgenommen. Und zwar: „Besonders verwundert zeigte er sich darüber, dass die Menschen in Worms gar nicht auf Bäumen leben und auch bei feierlichen Anlässen wie Kissels 60. Geburtstag nicht wahllos in die Ecke scheißen.“ Schließlich müssen wir uns nichts von einem Innenminister sagen lassen, der in Lahnstein (!) geboren ist und 12 Jahre lang Karriere als Ortsbürgermeister von Kamp-Bornhofen (wo issen des?) gemacht hat. Was soll es denn dort bitteschön geben, außer vielleicht frische Milch von der Kuh des Bauern nebenan? Sollte dieser Satz über den Innenminister etwa der Stein des Anstoßes gewesen sein, warum sich der OB beschweren möchte? Oder doch etwa, weil wir Kissel zum Sechzigsten seinen Rücktritt angedichtet hatten und nun täglich Leute im Rathaus anrufen?

Die Auflösung bringt Erleichterung
Da es im tief verschneiten Allgäu (der nächste Supermarkt war 8 km entfernt) nicht immer einfach ist mit dem Handyempfang, versicherte der Chefredakteur, am nächsten Tag bei dem OB zurückzurufen, gemäß der alten Taktik: „Einen Tag später haben sich die meisten Leute schon wieder abgeregt…“. Und dann entwickelte sich das Telefonat mit dem OB zu einer erstaunlich lockeren Angelegenheit, denn der wollte nur mal etwas Lob loswerden, weil er sich beim Lesen unseres aktuellen WO! beinahe in die Hosen gemacht hätte: „Sie sehen, ich kritisiere nicht nur – ich lobe auch!“. Und seitdem ist unsere Belegschaft emotional völlig hin- und her gerissen. Während die einen sagen: „Jetzt sind wir endgültig im Establishment angekommen. Ich bin raus aus der Nummer, meine Kündigung kommt per Post“, sind die anderen immer noch völlig fassungslos, dass sie in einer Stadt leben, in der der Oberbürgermeister Humor hat. Unglaublich, was in dieser Stadt abgeht. Das schreit geradezu nach einem investigativen Artikel über „Die dunkle Seite des Oberbürgermeisters von Worms“, der, entgegen der Annahme vieler, zum Lachen gar nicht in den Keller geht. Demnächst in Ihrem WO!….