DER STAR WAR DER TEXT
Rezension zu „See aus Asche: Das Lied der Nibelungen“
Der letzte Vorhang ist gefallen, der Kies wieder dort, wo er herkam und die Schauspieler spielen längst wieder andere Rollen. Alles scheint gesagt zu sein und doch möchten wir Sie zu einem letzten Blick auf „See aus Asche“ einladen.
Seit 23 Jahren laden die Nibelungen-Festspiele im Schatten des Dom St. Peters zum großen Theaterevent. 18-mal widmeten sich die Festspiele in dieser Zeit den titelgebenden Nibelungen. Zumeist führten die Inszenierung das Publikum und die Protagonisten in den Untergang. Wie Sisyphos immer wieder den Stein empor rollen musste, lügen, verraten und morden die Nibelungen immer wieder aufs Neue. Scheinbar jede Perspektive und jede Deutung des Stoffes scheint erzählt zu sein. Die Bilder, mit denen die Regisseure in den vergangenen Jahren den Untergang zelebrierten, waren manchmal eindrucksvoll, gelegentlich verblüffend, manchmal stimmungsvoll und vereinzelt auch mal provokant. Ein gewaltiges Erbe für jeden Autoren und Regisseuren. Es scheint, als seien sich Autor Roland Schimmelpfennig und Regisseurin Mina Salehpour dieser Bürde bewusst gewesen. Während Schimmelpfennig dennoch einen gewissen Dreh fand, den Nibelungen weitere Facette abzugewinnen, ging Salehpour einen gegensätzlichen Weg und verweigerte sich in ihrer Inszenierung einfach dem großen Sommerspektakel. Das Publikum und das Feuilleton liebten erstaunlicherweise den minimalistisch kargen Ansatz, der irgendwie so gar nicht zu Schimmelpfennigs sprachlich schillernder Erzählung mit epischem Charakter passen wollte.
Geschliffene Dialoge
Der renommierte Autor muss wiederum geahnt haben, dass es nahezu unmöglich sein sollte, seinen Worten und der geschilderten Reise entsprechende Bilder entgegenzusetzen und entschied sich für einen erzählerisch ungewöhnlichen Ansatz im Theater, in dem er auf erzählende Monologe zurückgriff. Natürlich ist es nicht neu in der Theatergeschichte, Erzähler zu bemühen. In der griechischen Antike kam diese Rolle dem „Chor“ zu oder den „Göttern“, die die Geschichten kommentierend begleiteten. In „See aus Asche“ wechselten hingegen die Schauspieler fließend zwischen ihren Rollen und Erzählperspektiven, manchmal kommentierten sie damit ihr eigenes Handeln, manchmal schilderten sie einfach Handlungsstränge und manchmal wechselten sie einfach die Perspektive und sprachen beispielsweise im Namen der Nebelkappe. Ein Kniff, der inszenatorisch wiederum bei vielen Zuschauern zunächst Irritation auslöste und viel Konzentration abforderte. Vielleicht nicht das schlechteste in Zeiten, in denen Kultur oftmals der Logik des Spektakels unterworfen ist und sich der Rezipient nur allzu leicht ablenken lässt. Obwohl man Salehpours Entscheidung, sich eben diesem Spektakel zu verweigern, um den Fokus auf den Text zu lenken, begrüßen kann, wirkte dennoch die karge Inszenierung in ihrem kammerspielartigen Ansatz seltsam fremd im Verhältnis zum Text. Ein Umstand, der in den überwiegend positiven Rezensionen oftmals nur rudimentäre Beachtung fand. Denn auch hier zeigte sich in diesem Jahr, der Star war der Text.
Sisyphos und die Nibelungen
Als hätte sich die Sandbank vom Rhein an den Wormser Dom verschoben, lagen zwei sanft aufsteigende Dünen aus Kies, getrennt von einem türkisschimmernden Teich, im Schoß der historischen Mauer. Währenddessen schaufelte ein Mann gekleidet in einem grauschwarzen Anzug inmitten der vermeintlichen Berge beharrlich vor sich hin, während das Festspiel Publikum noch seine Plätze einnahm. Fast hätte man den Mann im Kontext mit den Nibelungen für einen Schatz-, wahlweise auch Totengräber halten können. Doch in Zeiten, in denen bedeutungsvolle Symbolik einem Stück zusätzliche Tiefe verleihen soll, ist es natürlich nicht so einfach. Der Mann, das war Hagen alias der Schauspieler Wolfram Koch und wie Mina Salehpour bei den „Theaterbegegnungen erklärte, symbolisierte Hagen in diesem Moment vielmehr einen ewigen Sisyphos. Gefangen in einer Dauerschleife zwischen Lügen, Verrat und Mord. Umgedeutet in eine Metaebene könnte man diesen Regieeinfall im Nachhinein auch ersten Hinweis auf den ewigen Kreislauf der Festspiele verstehen: auf die Nibelungen folgen erneut die Nibelungen, die am Ende erneut untergehen, um sich im kommenden Jahr wieder dem Premierenpublikum zu stellen. Auch Schimmelpfennigs eigentlicher Auftakt in dessen „Lied der Nibelungen“ ließ diesen Ansatz der redundanten Ereignisse rund um die Nibelungen erkennen. Geradezu wie eine Vorausahnung Volker von Alzeys (konzentriert Andreas Grötzinger), sprach der Poet das Lied vom Mann mit der Geige, der Zeuge barbarischer Greul wird, in deren Verlauf ein Kind, wir ahnen es, es ist Ortlieb, seinen Kopf verliert.
Perspektiven
Zum allgemeinen Verwirrspiel rund um die erzählerischen Perspektiven sei gesagt, dass Volker von Alzey, die erzählende Perspektive in der Inszenierung schon bald verließ, um selbst Teil des Spiels zu werden. Diese Position des Erzählers nahm er erst am Ende wieder ein. Dazwischen folgte Schimmelpfennig treu seinem Anspruch, die gesamte Geschichte zu erzählen. Wie er bei einer Pressekonferenz Anfang April erklärte, sei seine Inspiration eine Hörspielfassung vom damals legendären Kinderhörspiel Verlag Europa gewesen. Während sein dramaturgischer Kniff, die Schauspieler seine Geschichte erzählen zu lassen, dem Konzept eines Hörspiels bei geschlossenen Augen erstaunlich nahekam, reicherte er allerdings die klassische Siegfried Reise mit allerlei Motiven aus der Lieder Edda, Wagner, Völsunga Saga, nordische Mythologie, aber auch Wolfgang Hohlbein an. Diese Elemente streute der wortgewandte Autor bereits mit der Vorstellung der burgundischen Königsfamilie bestehend aus Gunter, Kriemhild, Giselher und Hagen in das Stück. Während der Autor den adligen Geschwistern die üblichen Attribute zuordnete (Gunter=machtbessesen und triebgesteuert, Giselher=naiv, Kriemhild = idealistisch und intelligent, will Landwirtschaft studieren), bekam Hagen im Gegensatz zu früheren Stücken ein wenig Hintergrundgeschichte abseits des üblichen Machtarchitekten spendiert. Das Problem war hierbei, dass die eigentliche Geschichte durch Erzählungen, wie Hagen zu seiner Augenklappe kam und dass der Nicht-Zwerg Alberich ihn durch eine Vergewaltigung zeugte, keinen inhaltlichen Mehrwert besaßen und den Eindruck verstärkten, eine ohnehin überfrachtete Erzählung mit unnötigen erzählerischen Schlenkern noch mehr zu belasten.
Perspektiven II
Dazu passte dann auch das eher albern geschriebene und inszenierte Liebesouting Hagens, als dieser in besagtem Teich, alias See aus Aschen, sitzt und versucht, einen Liebesbrief an Kriemhild zu formulieren. Hagens Liebe zu Kriemhild wirkte allerdings an diesem Punkt zu forciert, um dem späteren Mord an Siegfried eine weitere tragische Note zu verleihen. Zugleich war diese Szene auch symptomatisch für die Art des Humors, wie er heute in Film, Fernsehen und Theater gerne verwendet wird, eine Figur erlebt einen dramatischen Moment, der dann alsbald ironisch gebrochen wird. Momente, die sich im Laufe des Stücks auch bei der Reise zu Brünhild oder der Vergewaltigung Brünhilds wieder fanden und immer wieder die erzählerische Immersion schadeten. Die schnellen Lacher waren dem Stück indes sicher. Dem gegenüber standen sowohl schauspielerisch als auch erzählerisch starke Momente, wie Schimmepfennigs Entscheidung, den Nibelungen auch einen ökologischen Aspekt abzugewinnen, der zugleich „See aus Asche“ etwas zeitloses verlieh. Siegfried ist in dieser Lesart nicht einfach nur der Recke, der auszieht, Abenteuer zu erleben und eine schöne Frau zu ehelichen. Vielmehr war es seine Gier, die zum Motor seines Handelns und des Untergangs. Als schauspielerische Höhepunkt zeigte sich die dramatische Konfrontation mit dem von Jasmin Tabatabai stark gespielten Drachen. Der war zugleich als Sinnbild für die Natur und deren Bodenschätze zu verstehen und bewies, dass die Nibelungen mit einem klugen Kopf an der Tastatur durchaus noch mehr erzählen könnten.
Fazit: All diese unterschiedlichen Ansätze, Ideen und Deutungen, gepaart mit dem Anspruch, die gesamte, also wirklich die gesamte Geschichte zu erzählen, führte letztlich zu einer unruhigen Inszenierung, die mit klugen Dialogen brillierte, um im nächsten Moment mit unnötigem Ballast und unglücklich platzierten Humor sich selbst das Theaterleben erschwerte. Vielleicht war das wortgewaltige Stück mit seinem hörspielartigen Gestus einfach nicht dafür geschaffen, im Schatten des Doms zum Sommertheater der Sinne zu werden. Vielleicht war es aber auch die Suche des Rezensenten nach der perfekten Symbiose aus Anspruch und Spektakel, die „See aus Asche“ auch im Rückblick als seltsam freudloses Ereignis, getragen von einem engagiert spielenden Ensemble, wahrgenommen wird. Aber bekanntlich heißt es ohnehin „nach dem Stück ist vor Stück“. Und so wie das Lied des Geigers niemals endet, setzt sich auch die Suche des Rezensenten im kommenden Jahr fort.
Text: Dennis Dirigo Fotos: Andreas Stumpf
Bildergalerie zu „See aus Asche“: