Im nunmehr zehnten Jahr läuft in Deutschland die sogenannte Lutherdekade. Mehr Rückbesinnung auf die Bedeutung der Reformation wollte die evangelische Kirche Deutschlands (EKD) damit erreichen, Aufmerksamkeit für die durch die Reformation angestoßenen Veränderungen. Ein bewährtes Marketingkonzept besteht darin, Personen zu präsentieren, die das zu verkaufende Produkt, hier die zu verbreitende Botschaft, vertreten, im Idealfall regelrecht verkörpern. Nichts leichter als das, wird die Überlegung der EKD gewesen sein. Martin Luther bot sich mit seinem angeblichen Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche als Galionsfigur geradezu an – ein Vielredner, Vielschreiber, für seine zeitgenössischen Anhänger ein Star.

Dabei war Luther nicht der erste Reformer der Kirche, auch nicht der letzte, zugegebenermaßen aber der erfolgreichste. Dass dies durchaus als zweifelhafter Erfolg zu werten ist, war am 28. Mai 2017 Thema eines Vortrages des HVD RLP und einer angeregten Diskussion im Anschluss an den Vortrag. Der Einladung des Humanistischen Verbandes zum öffentlichen Vortrag „Der unbekannte Martin Luther“ von Dr. Karl-Heinz Büchner war eine unerwartet hohe Zahl an Interessenten gefolgt.

Was dabei deutlich wurde: Viele Menschen haben sich in den letzten Jahren mit Martin Luther beschäftigt. Insofern hat die EKD ihr Ziel erreicht. Allerdings folgen nicht alle der von der Kirche gewünschten Deutung. Viele Menschen verhalten sich so, wie man das im 21. Jahrhundert erwarten darf: eigenständig denkend, kritisch im Umgang mit Tradition und ungerechtfertigten Ansprüchen. Sie suchen nach zuverlässigen Informationen und geben sich nicht zufrieden mit Antworten, die nicht aufgrund verifizierbarer Fakten überzeugen. Bezogen auf Martin Luther kommt man dann durchaus zu anderen Ergebnissen als die EKD: Martin Luther ist nicht der Held, als der er unseren Kindern etwa im Religionsunterricht oft vermittelt wird. Er war nicht der standhafte Revolutionär, der treu seinen Prinzipien folgt und jede noch so unangenehme Folge dafür in Kauf nahm.

Im Gegenteil: Wenn wir die Fakten sprechen lassen – und genau das war die Vorgehensweise des Referenten – wird Luther zu einem am mittelalterlichen Denken festhaltenden Menschen, der wiederholt das Weltende berechnet und das neue kopernikanische Weltbild abgelehnt hat. Er wird sichtbar als ein Mensch, der sich weniger in den Dienst einer Überzeugung gestellt hat als konsequent und unumkehrbar in den Dienst der Fürsten, die eigene machtpolitische Zwecke verfolgt haben und ihm für seine kompromisslose Treue ein Leben in Sicherheit ermöglicht haben. Ein Mensch, der in heute unvorstellbar menschenverachtender Weise gegen Frauen, Behinderte, aufständische Bauern, abweichende christliche Überzeugungen, Muslime und Juden hetzte – gegen Juden in einer solch konkreten Weise, dass es als Drehbuch für den Umgang der Nationalsozialisten mit den Juden dienen konnte: Martin Luther hatte explizit dazu aufgerufen, Synagogen anzuzünden und die Häuser der Juden zu zerstören, ihnen ihre religiösen Schriften und ihren Besitz wegzunehmen und die jungen und starken unter ihnen der Zwangsarbeit zuzuführen.

Als Humanisten sind wir der Ansicht, dass kein Mensch auf ein Podest gehoben werden soll. Die Leistungen von Menschen können und sollen gewürdigt werden – aber kein Mensch darf zum Kultgegenstand werden. Fakten werden vergessen, wenn große Sehnsucht nach einem Helden besteht. Fakten werden unterschlagen, wenn die Sorge um den Verlust der Deutungshoheit und um den Verlust von traditioneller Macht und Autorität wächst. Bleibende Aufgabe für Humanisten ist, den Fakten Geltung zu verschaffen.

Hedwig Toth-Schmitz
für den Humanistischen Verband Rheinland-Pfalz, Gruppe Worms

Terminhinweis: Wer sich für eine Diskussion humanistischer Themen interessiert, ist an jedem letzten Sonntag des Monats herzlich zu unserem Humanisten-Frühstück ab 10.00 Uhr in Worms, Speyerer Str. 87 eingeladen.

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