In unserem Wormser humanistischen Gesprächskreis reden wir über „Gott und die Welt“. Zugegebenermaßen: mehr über die Welt. Dabei werfen wir in unseren Gesprächsrunden bisweilen auch recht grundlegende Fragen auf: Was zeichnet den Menschen aus; wie sieht er sich selbst; welchem Welt- und Menschenbild folgt er in seinem Handeln? Aber wir „brechen“ diese Fragen gerne „herunter“ und fragen ganz unmittelbar nach dem Menschen im Alltag bzw. in seinen alltäglichen Handlungen. Bei diesen großen und kleineren Fragen gibt es – wie so oft – natürlich ganz unterschiedliche Antworten; auch kontroverse. Humanisten lassen dabei bisweilen am Ende einer Diskussion über diese Fragen mit Absicht ein Fragezeichen stehen. Das erscheint erklärungsbedürftig.

Zur Erklärung dieses Sachverhaltes: Sehr häufig wird in entsprechenden Diskussionen der Spruch zitiert: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Er wird dabei oft dem altgriechischen Philosophen Sokrates (ca. 480-399 v.u.Z.) zugeschrieben. Dazu sei angemerkt: erstens lautet das Zitat des Sokrates korrekt übersetzt: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Und damit wird dann (wichtiger) auch zweitens, der Sinn des Zitats deutlich anders: man versteht es nämlich erst dann richtig, wenn es im Kontext der Gesamtüberzeugung des Sokrates gesehen wird. Denn Sokrates‘ Leben und Äußerungen, wie etwa in seiner Verteidigungsrede, legen als Ergänzung seines o. a. Zitates nahe:

„Aber dadurch, dass ich weiß, dass ich nicht
weiß, weiß ich mehr als diejenigen, die glauben
zu wissen, was sie jedoch nicht wissen.“

Erst durch diesen Kontext bekommt das Zitat seine richtige und vor allem eine tiefergehende Bedeutung. Sokrates entlarvt damit nämlich Scheinwissen. Auch bei ihm blieb am Ende von Gesprächen oft das Fragezeichen stehen; und zwar absichtlich. Philosophiedozenten, Philologen und Althistoriker sagen dazu: viele Gespräche des Sokrates endeten oft in einer „Aporie“, also in Ratlosigkeit oder Verlegenheit. Das ist richtig. Aber sie waren ehrlich, offen und auch aufschlussreich – wenn auch oft anstrengend; vor allem für die Diskussionspartner des Sokrates.
Sokrates war zudem nicht der einzige altgriechische Philosoph mit einer skeptischen erkenntnistheoretischen Grundüberzeugung. So wird dem Philosophen Protagoras (ca. 490-411 v.u.Z.), also einem Zeitgenossen des Sokrates, u. a. folgende Äußerung zugesprochen: „Was die Götter angeht, so ist es mir unmöglich zu wissen, ob sie existieren oder nicht, – noch, was ihre Gestalt sei.“
Auch in unserer heutigen Zeit sind diese Aussagen des Sokrates und des Protagoras im Grunde immer noch wichtig, richtig und bedeutsam. Da frühere Glaubenswahrheiten und Gewissheiten über „Gott und die Welt“ heute zunehmend immer mehr den Menschen – gut begründet – abhandengekommen sind, gebietet die Ehrlichkeit, diesen Sachverhalt des Nicht-Wissen bzw. des Nicht-Sicher-Wissens offen einzugestehen. Diese Haltung wird in der Philosophie „Agnostizismus“ genannt. Eine Position, die bisweilen bewusst Fragezeichen stehen lässt; und das auch offen sagt.
Es bietet sich also bisweilen nicht nur an, Fragezeichen stehen zu lassen, sondern es ist der Wahrhaftigkeit wegen nötig, dies zu tun. Humanisten lassen folglich am Ende von Diskussionen auch oft deswegen Fragezeichen, weil sie grundlegende Skeptiker und Zweifler sind; aber nicht nur deswegen.

Bernd Werner,
Für den Humanistischen Verband Deutschland (HVD), Landesverband RLP, Gruppe Worms

Terminhinweis:
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Im Februar werden wir uns am Sonntag, dem 26.02.2017, um 9:30 Uhr treffen.