Solange Dieter Wedel Intendant bei den Nibelungen-Festspielen in Worms war, gab es immer ein Plätzchen im Ensemble für den Wormser Bub André Eisermann. Mit Wedels Abgang nach 13 Jahren schien auch dessen Festspielkarriere vorerst beendet, als der Neue Nico Hofmann ankündigte, mit einem komplett neuen Team an den Start zu gehen. Doch dann folgte er dem Ruf von Joern Hinkel aus Bad Hersfeld und wurde dort so glücklich, wie er es in Worms nie sein durfte. Am Ende der sechswöchigen Festspiele wählten die Besucher traditionell ihren Publikumsliebling und gewonnen hat – André Eisermann.

Fast immer als Giselher, zuletzt auch mal als wahnsinniger Kaplan konnte Eisermann, der sich gerne als Mitinitiator der Nibelungen Festspiele sieht, mal mehr und mal weniger glänzen. Als Sturm, einem Mitglied der Landstände, durfte er in „Jud Süss“ immerhin ein bisschen polarisieren, als er lauthals „Hängt auf den Juden!“ vor dem Wormser Dom brüllte. Wirklich tragende Rollen hatte ihm Wedel jedoch nie zugedacht, dafür immerhin eine Jobgarantie, die bis 2014 reichte. Auch als Siegfried hatte sich Eisermann schon frühzeitig ins Spiel gebracht, aber in der langen Zeit war es ihm nur ein einziges Mal vergönnt, den Helden der Nibelungensage spielen zu dürfen. Als 2009 eine Komödie aufgeführt wurde, da gehörte er eigentlich nicht zu dem komischen Ensemble von Regisseur Gil Mehmert. Traditionell bekam er in der Verwechslungskomödie ganz am Schluss als „echter Siegfried“ trotzdem noch seinen standesgemäßen Auftritt. Und Eisermann nutzte sogar diese wenigen Sekunden, um als fitnessgestählter Siegfried mit Sixpack-Bauch für Aufsehen zu sorgen. Die intensive Vorbereitung auf seine Rollen gehört bei ihm zum Standardprogramm. Zur Vorbereitung der Rolle als „Kaspar Hauser“ (1993) las er über 30 Bücher über ihn und verzichtete auf Alkohol, Nikotin und Fleisch. Als Vorarbeit zu Joseph Vilsmaiers Verfilmung des Romans „Schlafes Bruder“ (1995) erlernte er das Orgelspiel und nahm zehn Kilogramm ab, um die Rolle des Musikers, der an unerfüllter Liebe zugrunde geht, bestmöglich darstellen zu können. „Schlafes Bruder“ erhielt, ebenso wie „Kaspar Hauser“, mehrere Auszeichnungen und wurde sogar für den Golden Globe nominiert. Für „Kaspar Hauser“ von Peter Sehr erhielt Eisermann den Darstellerpreis auf dem Filmfest von Locarno, den Bayrischen Filmpreis und den Deutschen Filmpreis. Seitdem sind 20 Jahre vergangen, in denen sich seine Vita nicht so entwickelt hat, wie man dies nach den beiden großen Erfolgen hätte erwarten können. Ein Engagement im Füssener Festspielhaus, eine Rolle in dem Kinofilm „Ludwig II.“, kleinere Auftritte in „Tatort“ oder „Der Staatsanwalt“ – zu wenig für einen, der einst ausgezogen war, um die Filmwelt zu erobern. So waren die Nibelungen Festspiele seit 2002 tatsächlich so etwas wie eine regelmäßige Beschäftigung, mit der sich Eisermann Jahr für Jahr wieder der Öffentlichkeit präsentierte, auch wenn sich diese lediglich auf seinen Heimatort beschränkte. Der Sohn eines Schausteller-Ehepaars, der nie einen festen Wohnsitz hatte, hat es irgendwann in den letzten 20 Jahren, nach einem hoffnungsvollen Start in die Filmbranche, verpasst, sich zu etablieren. Für Viele ist er seitdem nur noch der Spinner, der damals „Kaspar Hauser“ und Schlafes Bruder“ gespielt, aber danach nie mehr was gerissen hat. Das meiste hat er sich selbst kaputt gemacht, weil Eisermann einer ist, der schnell die Bodenhaftung verliert und sich auch gerne mal für den Größten hält. Als er einmal von dem mittlerweile eingestellten Kulturmagazin MEIER gefragt wurde, ob ihn denn in Worms jeder kenne, da antwortete Eisermann, dass er hier ungefähr den Bekanntheitsgrad von Thomas Gottschalk hätte. Wobei so ein Funken Größenwahn in seinem Beruf durchaus nicht schaden kann. Leute, die seine in ganz Deutschland aufgeführten und in der Regel recht gut besuchten Goethe-Lesungen „Die Leiden des jungen Werther“ aufsuchen, beschreiben ihn anschließend als „durchgeknallt, aber genial“. Da sich die exzentrische Art des Wormsers auch bei Regisseuren rumgesprochen hat, ist es in erster Linie Eisermann selbst, der dafür sorgt, dass sein Name nicht ganz von der Bildfläche verschwindet. Vermutlich war es auch diesmal wieder Eisermann selbst, der die aus Worms abgewanderten Dieter Wedel und Joern Hinkel so lange penetriert hat, bis auch er zum Ensemble der Bad Hersfelder Festspiele gehörte. Dort hat Joern Hinkel ihn zum Publikumsliebling gemacht, weil er ihm eine Rolle gab, die dem einstigen Shootingstar der deutschen Filmszene wie auf den Leib geschneidert war, war es doch gewissermaßen die seines eigenen Lebens. Der Weber Nick Bottom alias Klaus Zettel in Shakespeares „Sommernachtstraum“ ist einer von sechs Handwerkern, die auf der Hochzeitsfeier von Theseus und Hippolyta die „tief-tragische Komödie“ von Pyramus und Thisbe aufführen sollen. Immer und immer wieder ruft der mit einem unfassbaren Selbstvertrauen ausgestattete Zettel am lautesten „hier“, wenn jemand für eine Rolle gesucht wird. Dass er zudem mit einem unüberhörbaren Sprachfehler ausgestattet ist, scheint seinem Selbstverständnis nicht im Geringsten zu schaden. Und André Eisermann füllte „seine“ Rolle mit so viel Leben, Enthusiasmus und Freude am Schauspielern aus, dass die Besucher allabendlich von den Sitzen sprangen, wenn der saukomische Zettel, der ja eigentlich nur ein Nebendarsteller war, vor das begeisterte Publikum trat. Als sie dann nach Abschluss der Bad Hersfelder Festspiele aufgerufen wurden, aus den sieben aufgeführten Produktionen und mehr als 100 Darstellern ihren Publikumsliebling zu wählen, da entschieden sich die Osthessen für André Eisermann und ließen dem abgewanderten, verlorenen Wormser Sohn die Wertschätzung zukommen, die er in seiner Heimatstadt nie erfahren durfte. Zwanzig Jahre nach seinen größten Erfolgen ist das womöglich der ehrlichste Preis, den Eisermann je erhalten hat.