Stadt Worms strebt Enteignungsverfahren gegen Bobenheim-Roxheim an
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Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, sang einst Reinhard Mey. Damit hatte er durchaus Recht. Ländergrenzen verschwinden unter der Wolkendecke und Orte verschwimmen kurz darunter zu einer Spielzeuglandschaft, die gleichzeitig faszinierend wie sorglos erscheint. Doch die Freiheit des einen, ist die Last des anderen. So erleben es zumindest zahlreiche Bobenheim-Roxheimer, die bereits seit Jahren über Lärmbelastung in Verbindung mit dem Wormser Flugplatz klagen. Nun erreichte der Konflikt dank Enteignungsplänen seitens der Stadt Worms einen neuen Höhepunkt.
Für die meisten Wormserinnen und Wormser dürfte der Flugplatz, südlich gelegen zwischen Worms und Bobenheim-Roxheim, kein größeres Problem darstellen, außer dass ab und an ein Kleinflugzeug den Himmel streift. Doch abseits der Stadt hat sich der kleine Flugplatz längst zu einer lokalen Größe entwickelt. Gegründet 1957 für den Luftsport, ist der Flugplatz heute besonders für Flugschulen ein begehrter Standort. Die Stadt als alleiniger Beteiligter betreibt den Flugplatz als GmbH. Nicht ohne Stolz betont man, dass alleine im letzten Jahr rund 53.000 Flugbewegungen dort stattfanden. Zum Vergleich, der lokale Flugplatz in Mainz-Finthen verzeichnet gerade mal 21.000 Flugbewegungen. Der deutliche Unterschied ist hauptsächlich auf die Flugschulen zurückzuführen, die zum Leidwesen der Anwohner/innen zahllose Platzrunden drehen müssen und ungefähr sieben Minuten, inklusive Start- und Landung, benötigen und dies sieben Tage die Woche während der Betriebszeit von 8 bis 20:30 Uhr. Für die Anwohner ist das eine belastende Situation, da diese permanenten Flugschleifen immer wieder über den kleinen Ort führen. Die Stadt ist sich des Problems bewusst. In einer Pressemitteilung Ende August teilte man mit, dass man gemeinsam mit der Nahbargemeinde beim LBM (Landesbetrieb Mobilität) einen Antrag zur Verlegung der Platzrunden gestellt hat. Ob diese Verlegung Erfolg hat, scheint fraglich, da kurz zuvor die Behörde bereits schon einmal mit Verweis auf das Flugrecht einen solchen Antrag ablehnte. Für die Stadt ist insofern klar, alles Erdenkliche getan zu haben, um die Belastung zu miniminieren. Grundsätzlich sieht das Regelwerk vor, dass größere Platzrunden über dem Ort nicht gedreht werden dürften. Doch nicht jeder Pilot halte sich daran. Die Argumente seien dabei wiederum flexibel. Außerdem seien die Kontrollen zu lasch, so sehen das zumindest Anwohner im Gespräch mit unserem Magazin. Auf Nachfrage von WO! erklärt die Stadt, dass man zudem die Landegebühren empfindlich erhöht hätte. Davon erhofft man sich eine Reduzierung der Platzrundenflüge. Außerdem wurden zeitliche Einschränkungen bei der Landesluftfahrtbehörde beantragt und von dieser auch zur Umsetzung genehmigt. So dürfen an Sonn- und Feiertagen zwischen 13.00 Uhr und 15.00 Uhr keine wiederholten Platzrunden geflogen werden. Ein weitere Lärmreduzierung sieht man darin, dass Luftfahrzeuge, welche in Worms gestartet sind, erst wieder nah mindesten 60 Minuten anfliegen und landen dürfen. Glaubt man den Anwohnern, hat das am Verkehr bisher nicht viel geändert. Wie viel Flugzeuge tatsächlich die Platzrunden am Tag drehen, vermag die Stadt nicht zu sagen und erklärt: „Eine separate Statistik der Platzrundenflüge wird nicht geführt, da diese keine belastbaren Angaben zu den tatsächlichen Platzrundenflügen machen könnte. Das liegt daran, dass diese auch von normalen An- und Abflüge genutzt werden“.
Zwei Grundstücke vs. Lärmschutz
Für die Stadt steht fest, dass der Flugplatz wachsen soll. Das Ziel ist es, den Flugplatz an einen privaten Investor zu verpachten. Dafür muss er allerdings schwarze Zahlen schreiben und davon ist man im Moment noh ein paar Euros entfernt. Im Beteiligungsbericht der Stadt Worms aus dem Jahre 2019 rechnete man für das Jahr 2020 mit einem Verlust von rund 100.000 Euro. Im selben Bericht kündigte man auch an, die Flugaktivitäten zu steigern. Um zu wachsen, benötigt es aber auch Fläche und die besitzt die Nahbargemeinde. Die Stadt würde die Flächen gerne kaufen, doch die Gemeinde macht dies von dem gemeinsamen An- trag abhängig, der erst im Juli gestellt wurde und dessen Antwort noh aussteht. Die Stadt findet dies nicht nahvollziehbar und erklärte in der Mitteilung: „Trotz dieser und weiterer eingeleiteter und umgesetzter Maßnahmen zur Lärmreduzierung sowie zahlreicher Gespräche, (…), gab es seitens der Gemeinde Bobenheim-Roxheim bislang kein erkennbares Signal des Entgegenkommens bei einer für den Flugplatz unumgänglichen Frage der Erweiterung“. Konkret geht es um zwei für den Flugplatzbetrieb notwendige Grundstücke, die im Eigentum der Nachbarn sind und deren Pachtvertrag mit der Flugplatz GmbH am 30. September 2021 zum Jahresende 2021 gekündigt wurde. Zwar könne man diese weiterhin nutzen, so die Stadt Worms, allerdings möchte man eine Planungssicherheit.
Ein Enteignungsverfahren soll‘s richten
Da die Stadt offenbar selbst Zweifel am positiven Ausgang des Lärmschutzstreites hat, spielte man nun mit den Muskeln gegenüber der kleinen Nahbargemeinde und kündigte ein Enteignungsverfahren an. Die Stadt begründet diesen drastischen juristischen Schritt damit, dass notwendige Investitionen in die Infrastruktur nur sinnvoll getätigt werden können, wenn der Betrieb des Flugplatzes und damit die Benutzung der beiden besagten Grundstücke langfristig und rechtssicher geregelt ist. Für die Stadt ist das von Interesse, da der Flugplatz nebst seiner Infrastruktur (Schule, Tankstelle, Restaurant) auch 90 Personen Arbeit bietet. Bei einer Privatisierung rechnet man zudem mit Gewerbesteuereinnahmen. Und genau hier kommt die Enteignung ins Spiel. Die Stadt schreibt, dass sie eine langfristige Verpachtung an einen privaten Investor anstrebe. Deswegen „wird die Stadt Worms bei der SGD Süd nun die Einleitung eines Enteignungsverfahren gemäß § 28 LuftVG beantragen.“ Flugplatz GmbH Geschäftsführer Mihael Baumann erklärt zudem: „Das Enteignungsverfahren dient daher auch einer objektiven Einordnung der Relevanz des Flugplatzes“. Baumann weiter: „Da der Flugplatz Worms ein wichtiger Teil der regionalen Verkehrsinfrastruktur ist und auch Aufgaben des öffentlichen Dienstes wahrnimmt, gehen wir davon aus, dass der Flugplatz durchaus eine hohe Relevanz für die Allgemeinheit besitzt.“ So würden Teile der Infrastruktur zum Beispiel auch von Behörden, wie der Bundespolizei, Militär, der Luftaufsicht oder von Rettungshubschraubern, genutzt werden.
Brüskierte Nachbarn
Für die Gemeinde kam dieser Vorstoß überraschend, da man sich eigentlich mit dem gemeinsamen Antrag auf einem sehr guten Wege wähnte. „Ich hätte ein Enteignungsverfahren verstanden, wenn wir Findlinge oder eine Schafherde auf unsere Grundstücke gestellt und so den Flug- betrieb verhindert hätten. Wie man aber täglich sieht und hört, darf Worms ja munter weiter fliegen“, so Bürgermeister Mihael Müller enttäuscht. Allerdings gibt er auch zu erkennen, dass man gegen die Pläne mit dem privaten Investor sei: „Gelingt es seit Jahren schon nicht mit der Stadt Worms und ihrer GmbH den Fluglärm über Bobenheim-Roxheim zu reduzieren, wie soll es dann erst mit einem privaten, nur auf Gewinnerzielung fokussierten Betreiber gelingen?“ Ob ein solches Verfahren, begründet mit wirtschaftlichem Interesse, Aussicht auf Erfolg hat, ist zweifelhaft. Müller, der übrigens in Worms für die Wirtschaftsförderung der Stadt arbeitete, sieht dem Verfahren gelassen entgegen: „Enteignung ist in einem Rechtstaat immer das schärfste und letzte Mittel. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass es auch zum Zwecke der Gewinnerzielung eingesetzt werden kann. Denn dann würde Geld ja mehr als der Schutz des Menschen vor Fluglärm zählen“. Fragt man Anwohner nah einer unbürokratischen Lösung, so könnte man die eigentlich schnell finden. Dass Flieger fliegen, sehen viele nicht als das grundlegende Problem. Warum dieses allerdings auch am besonders ruhegeschützten Sonntag sein muss, ist fraglich
Text: Dennis Dirigo, Foto: Andreas Stumpf