Dort, wo vor wenigen Wochen das Download-Festival mit hochkarätigen Bands wie Volbeat, Slipknot oder Prodigy wegen zu geringen Kartenverkäufen kurzfristig abgesagt wurde, verkaufte Bruce Springsteen mal eben 82.000 Tickets und sorgte am 21. Juli für das größte Open-Air-Konzert dieses Sommers in unserer Region. Verkehrschaos rund um den Hockenheimring inklusive. Wohlgemerkt: Bei einem Zusatzkonzert, nachdem Düsseldorf, Hamburg und München schnell ausverkauft waren. Schließlich mussten die Fans sieben Jahre auf den Boss warten, der zusammen mit seiner E-Street Band auch an diesem Abend mit einer energiegeladenen Drei-Stunden-Show alle Erwartungen übertraf.

Zwei Diskussionsthemen beschäftigten die Springsteen-Fans im Vorfeld der Europa-Tour, die den Boss und seine Gefolgschaft zu 31 aus- verkauften Open Airs in 21 Städten führte. Hockenheim war die drittletzte Station, nach dem Konzert in Monza (25.07.) ging es zurück in die Heimat, wo in den USA und in Kanada noch 31 Konzerte anstehen. Die erste Frage, ob der Boss, der im September 74 wird, noch fit genug für seine legendären Drei-Stunden-Shows ist, wurde einmal mehr eindrucksvoll beantwortet. Nahezu ohne Pause ging es Schlag auf Schlag, „One-two-three-four“ und weiter geht’s. Schon beim dritten Song ging Springsteen auf Tuchfühlung zum Publikum und schüttelte in den ersten Reihen fleißig Hände. Von Ermüdungserscheinungen keine Spur. Von der Energie und Leidenschaft, die Springsteen in seinem Alter noch auf die Bühne bringt, könnten sich einige jüngere Kollegen, die ihre Fans mit 60-Minuten-Gigs abspeisen, eine Scheibe ab- schneiden. Das gilt auch für seine grandiose E- Street-Band, die inklusive Bläser und Backgroundsänger 16 Leute zählt, die allesamt im Laufe des Abends ihre Momente bekamen, um ihr Können zu zeigen.

Der zweite Diskussionspunkt war die Setliste. Während Springsteen in der Vergangenheit für ständig wechselnde Setlisten bei seinen Konzerten bekannt war und gerne auch spontan auf Schilderwünsche aus dem Publikum einging, ist die Songabfolge diesmal eher statisch und beinhaltet nur vereinzelt Überraschungen (in Hockenheim die selten gespielten „Darlington County“ und „Working on the Highway“). Trotzdem zeigte auch dieser Abend, dass es eine Songauswahl ist, die genug Raum für Andacht bietet, ebenso wie für eine ordentliche Prise Partystimmung, und die jedes Jahrzehnt seiner Karriere seit 1973 abdeckt (mit Ausnahme der wenig produktiven 90er). Aus seinem jüngsten Soul-Album „Only the strong survive“ wurde lediglich der Commodores-Klassiker „Nighshift“ dargeboten und war dank der famosen Backgroundsänger gar nicht der befürchtete Showstopper, sondern ein souliger Farbtupfer in einem ansonsten eher Rock lastigen Programm. Fast könnte man von einer klassischen „Best-Of- Tour“ sprechen, wenn sich Springsteen nicht den Luxus erlauben würde, Welthits wie „I’m on fire“, „My Hometown“, „Streets of Philadel- phia“, „Hungry Heart“ oder seinen Trademark- Song schlechthin, „Born in the USA“, komplett auszusparen.

Als das Konzert wegen des anhaltenden Besucherandrangs an den Eingängen mit einer halben Stunde Verspätung startete, dürfte spätestens mit dem Opener „No Surrender“ und einem vor Dynamik nur so berstenden ersten Drittel des Konzerts auch dem Letzten klar gewesen sein, dass es an diesem Abend keine Kapitulation geben wird. Weder vor der Hitze, der strapaziösen Anreise und schon gar nicht vor dem Alter. Das Publikum war sofort da, schließlich gab auch der alte Mann auf der Bühne direkt Vollgas. Hierbei kristallisierte sich heraus, dass die vier Lieder aus dem letzten regulären Studioalbum „Letter to you“ zu Schlüsselsongs des Sets wurden. Als zweiter Song des Abends „Ghosts“, eine großartige Hymne über die unbändige Macht des Rock‘n’Roll. Kurz danach der Titelsong mit deutscher Übersetzung auf der Leinwand. Ganz am Schluss ein bewegendes „I’ll See You in My Dreams“, das einen tiefen Einblick in Springsteens aktuelle Gefühlswelt gibt, ebenso wie in der Konzertmitte „Last Man Standing“, bei dem er mit bewegenden Worten davon berichtete, wie er am Sterbebett eines alten Bandkollegen saß, um nach dessen Tod zu realisieren, dass er der letzte Überlebende seiner allersten Band „The Castilles“ ist. Nahtlos übergehend in „Backstreets“, eine großartige Ode an die Freundschaft, die auch fast fünf Jahrzehnte nach ihrer Entstehung immer noch für Gänsehaut sorgt.

Mit „Because the Night“, das im Original von Springsteen stammt und in der Version von Patti Smith ein Welthit wurde, begann dann ein furioses Finale, in dem Hit auf Hit folgte. Und hey, die Besucher auf den Oberrängen, die mitunter bis zu 100 Meter von der Bühne entfernt standen, zum Tanzen zu bewegen, schafft auch nicht jeder. Das mitreißende „The Rising“, ein entfesseltes „Badlands“ und ein bezaubernd schönes „Thunder Road“ sorgten für das vorläufige Ende. Bei den Zugaben war dann traditionell Party pur angesagt. „Born to run“, „Bobby Jean“, „Glory Days“, „Dancing in the Dark“ „Tenth Avenue Freeth- Out“  (inkl.  ausführlicher  Vorstellung  der „Viagra-taking-E-Street-Band“). Als dann Springsteen als letzte Zugabe alleine mit Gitarre „I’ll See You in My Dreams“ anstimmte, wurde es in der von der vorherigen Partystimmung aufgeheizten Arena urplötzlich ganz still und 82.000 lauschten inmitten eines gigantischen Lichtermeers andächtig den Worten des Bosses: „For death is not the end…and I’ll see you in my dreams“. Was für ein großartiger Abschluss eines bewegenden, mit Höhepunkten gespickten Abends. Die Frage, ob dies nun seine finale Tour mit der E-Street-Band war, blieb erneut unbeantwortet. Zwischen den Zeilen war aber herauszuhören, dass dies womöglich die letzte große Rock’n‘Roll Party des Mannes war, über den der amerikanische Kritikerpapst Jon Landau 1974 schrieb: „Ich habe die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen und ihr Name ist Bruce Springsteen.“

 

Text: Frank Fischer, Foto: Stefan Schweizer