Autoren: D. Dirigo, E. Radmacher, F. Fischer
19.-21. Juni 2015
An 5 Plätzen rund um den Wormser Kaiserdom:
Wo! Urteil: ??????(+)
Nach den traumatischen Wettererfahrungen im letzten Jahr, war es sowohl für Veranstalter als auch für die Besucher fast die wichtigere Frage, wie sich Petrus zu Worms verhalten würde, als zu klären, welche Bands auf den fünf Bühnen spielen. Nachdem klar war, dass sich das Wetter für einen zickigen Weg entscheiden würde – teils heiter, teils sonnig, manchmal unangenehm kühl – und man sich letztlich damit arrangiert hatte, war der Weg frei für das ungetrübte musikalische Vergnügen.
Das Schöne bei einer solchen Veranstaltung ist es ja: Wenn man feststellt, dass einem die Band, für die man sich gerade entschieden hat, nicht unbedingt umhaut, man einfach gehen kann, um die nächstbeste Bühne zu besuchen. Und wie so oft gab es auch in diesem Jahr Gutes, Enttäuschendes, aber auch Sensationelles auf dem „25. Jazz & Joy Festival“ zu erleben. Sensationell nicht gerade, aber respekteinflößend war der Auftritt der Frankfurter Jazz Legende EMIL MANGELSDORFF auf jeden Fall. 90 Jahre alt und kein bisschen leise, war er der lebende Beweis, das Kreativität einfach fit hält. Souverän spielte er sich, begleitet vom BASSFACE SWING TRIO, durch ein wohlklingendes Standardrepertoire. Keine 90 Jahre alt, aber auch schon in einem Alter, in dem andere ihren Garten pflegen, waren die beiden Brüder JOACHIM UND ROLF KÜHN. Der eine an der Klarinette, der andere am Steinway Flügel, versprachen die hochgelobten Brüder ein spannendes Konzerterlebnis. Von der angekündigten Melodik war allerdings wenig zu hören, vielmehr gestaltete sich der Auftritt als ein sehr forderndes Erlebnis. Statt mit einem kontrapunktischen Spiel Spannung zu erzeugen, spielten sie im Einklang einen atonalen Jazz, zu dem man schon einen besonderen Zugang benötigte. Aber wie schon erwähnt, es gab ja schließlich die Möglichkeit, den Platz zu wechseln. Deutlich gefälligere Töne waren an der Jugendherberge mit dem englischsprachigen Bandprojekt ROBB zu hören. Gepflegte Melodien und ordentlicher Gesang sorgten dafür, dass sich die Ohren des Rezensenten wieder erholen konnten. Die Erholung währte allerdings nicht lang, da die MARSHALL COOPER BAND einen ausgesprochenen Hang zur Lautstärke hatte. Im Programmheft als Mischung aus Italo-Westernmusik trifft Tarantino beworben, war es in der Tat ein wilder Stilmix, der die zuvor entspannten Ohren einmal mehr herausforderte. Unterhaltsam war es dennoch. Nach diesem Gig und einer kleinen Pause ging es Richtung Platz der Partnerschaft, um dem Konzert von MARILYN MAZUR SPIRIT CAVE beizuwohnen. Live Sampling, Gitarre und ein umfangreiches Percussion Sortiment versprachen ein packendes Konzert. Jedoch traf der Rezensent beim Eintreffen auf der Westseite des Doms auf einen hoffnungslos überfüllten Platz, der konzentriertes Zuhören nahezu unmöglich machte. Nach einem Intro, das von den Stimmen der Zuschauer sprichwörtlich verschluckt wurde, schaffte die „Weltmusikerin“ mit ihren Mitspielern interessante Klangwelten. Erschöpft von der Masse der Menschen ging es schließlich auf dem Schlossplatz weiter. Dort spielte die isländische Kultband MEZZOFORTE, die besten Funk Fusion Sound aus Island mit auf die Volksbank Bühne gebracht hatte. Schon beim ersten Ton wurde direkt klar, wo die Partymesslatte hängt. Die vier Musiker Eythor Gunnarson (Keyboards), Fridrik Karlsson (Gitarre), Johann Asmundsson (Bass) und Gulli Briem (Schlagzeug) waren bei der Gründung von Mezzoforte noch Teenager. Kein Wunder, dass sie so easy und swinging daherkamen. Ein weiteres sehr cooles Konzert mit Musikgrößen auf einer sensationellen Bühne! Ein klein wenig war der Auftritt wie eine Reise in die musikalische Vergangenheit. Einfach grandios! Grandios wäre übertrieben, aber bei einem Musiker wie BOB GELDOF, der bereits mit nur einem einzigen Song Musikgeschichte geschrieben hat, ist es wahrscheinlich unmöglich, Erwartungshaltung und Tatsächliches in Einklang zu bringen. Mit Spannung warteten die Zuschauer auf einem bestens gefüllten Marktplatz auf den schlohweißen Iren, der in seinen 64 Jahren Lebensjahren mehr Rock’n’Roll erlebt hat, als ihm wahrscheinlich lieb war. Kaugummi kauend trat er vor sein Publikum, um launisch zu erklären: „I`m fucking hate Jazz!“ Mit einer bestens aufgelegten Band im Rücken legte er mit dynamisch gespieltem Irish Folk los, um anschließend den Zuschauern einen brazzig fetten Rock Sound entgegen zu schleudern. Höhepunkt war natürlich dieser eine Song, nämlich „Don’t like Monday“, den er mit extrem rauchiger Stimme intonierte, so dass man sich schon mal um seine Stimmbänder sorgen konnte. Indie Rock mit fetten Elektronik Beats, gab es an der Jugendherberge zur späten Stunde. ABBY haben mal ganz klar eines der besten Konzerte zum Jazz & Joy 2015 abgerockt! WOW, was war das bitte für eine grandiose Party mit abgefahrenen Beats? Ein furioser Mix aus Electro Rock Pop! Die Sounds lagen gefühlt zwischen Phoenix und Jet. Geniale Loops und coole Tracks, die die Jungs abgeliefert haben und ein Hingucker sind sie allemal. Ein Live-Highlight für die WO! Redaktion am Samstag.
Der Sonntag:
Wie man als Band auf die Idee kommt, sich SCHWARZWÄLDER KIRSCHTORTE zu nennen, vermochte das junge Quintett zwar nicht zu erklären, aber das spielte bei LA GÂTEAU DE FORÊT NOIRE (so der Name in Französisch) letztlich keine Rolle. Ein wenig unsicher auf der großen Bühne, wusste die ganz in Rot gekleidete Sängerin Nadja Eiselin das Publikum schnell für sich einzunehmen. Überhaupt sollte Rot die Farbe des Tages werden, aber dazu mehr. Die fünf preisgekrönten Musiker kann man getrost als interessante Entdeckung verbuchen, von denen man sich wünschen würde, auch zukünftig noch mehr zu hören. Ein paar Stunden später sorgte auf der selben Bühne die Band VOLXTANZ für den wohl durchgeknalltesten Musikmix. Technisch versiert, gestaltete sich der wilde Stilcocktail der Brass Band mitunter als recht anstrengende Angelegenheit.
Deutlich harmonischere Töne gab es von NILS WÜLKER UND BAND. Der erfolgreiche Trompeter lud mit seinen samtenen Tönen, die er seinem Instrument entlockte, regelrecht zum Träumen ein und unterstrich, dass auch auf dem großen Weckerlingplatz Intimität möglich ist. Bei der nächsten Band MOOP MAMA sollte einmal mehr Rot die dominierende Farbe sein. Anscheinend reizten die in rot gekleideten Musiker Petrus so sehr, dass er deren Auftritt mit einem Regenschauer bedachte. Derweil Zuschauer und Band dem Wetter trotzten, entpuppte sich das Konzert als energiegeladener Höhepunkt des diesjährigen Jazz & Joy. Mit ihrer Mischung aus Brass, Hip Hop und deutschem Rap begeisterte die zehnköpfige Big Band, die sich zuvor ein Basketball Battle mit Wormser Straßenjungs geliefert (und dies verloren hatte), das klatschnasse Publikum. „Mitreißend“, „unterhaltsam“, „begeisternd“ sind Attribute, die keinesfalls übertrieben sind. Sollten Moop Mama irgendwann mal wieder in der Nähe unserer Stadt aufkreuzen, sollte man sich den Auftritt auf keinen Fall entgehen lassen.
Zwar ist er der eindeutig bekanntere Musiker, allerdings hatte der deutsche Reggaesänger PATRICE nach diesem energetischen Auftritt keinen leichten Job. Das Publikum auf dem Marktplatz konnte er mit einem fetten Sound, der auch jeder Rockband gut gestanden hätte, und eingängigen Songs für sich gewinnen, die Herzen der WO! Redaktion allerdings waren zu diesem Zeitpunkt längst an die Musiker von Moop Mama vergeben. Nach diesen erstaunlich rockigen Reggaesounds war die Sehnsucht nach einem ruhigen Ausklang durchaus groß, so dass es noch ein letztes Mal auf den Platz der Partnerschaft ging, um den beiden Franzosen JACKY TERRASSON UND STÉPHANE BELMONDO zuzuhören. Mit Trompete und Klavier spielten sie ihre melancholisch entspannten Eigenkompositionen, die geradezu zum Zurücklehnen einluden. Doch nicht nur das Publikum fühlte sich eingeladen, sondern auch eine Amsel, die sich offenbar von den Tönen angezogen fühlte und mit Pianist Terrasson eine Zeitlang interagierte. Das nennt man dann wohl eine echte Interaktion. Leicht übersättigt von musikalischen Eindrücken und Erlebnisse ging es schließlich am späten Sonntagabend nach Hause!
Fazit: Sowohl was die musikalischen Beiträge als auch die Wetterkapriolen angeht, war die Jubiläumsausgabe von Jazz & Joy ein „Festival der Extreme“. Von ausgelassener Partystimmung auf dem Marktplatz bei Jan Delay und tanzenden Menschen im Regen bei Moop Mama bis hin zu konzentrierter Stille bei Jacky Terrasson und Stéphane Belmondo war wieder die komplette Palette an musikalischer Intensität vertreten