Man möchte am Ende des Stückes nicht wirklich wissen, wie der Film aussehen würde, den das fiktive Filmteam im Schatten des Wormser Dom über die Nibelungen inszenieren möchte. Bereits der Fake Trailer, der auf der großen LED Leinwand zu sehen war, verströmte mit seiner Hans Zimmer inspirierten Musik und dem gewaltigen THX Sound aller bestes Trash Appeal. Doch letztlich ging es bei der diesjährigen Nibelungeninszenierung weniger um das fiktive Filmepos, vielmehr war es ein Stück über das Scheitern und darüber, wie ein Regisseur tatsächlich ein Drehbuch retten kann. Aber der Reihe nach.

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Im Interview mit WO! erklärte der Autor Albert Ostermaier, dass, wenn er schreibt, er seinen eigenen Film im Kopf habe, der aber so nicht realisierbar sei. Schaut man sich das Stück „Gold. Der Film der Nibelungen“ an, kann man erahnen, was der Autor damit meinte. Zwar wurde das Stück von dem Dramaturgen Thomas Lau mehrfach überarbeitet, dennoch schimmerte Ostermaiers überbordende Fantasie immer wieder durch. Zwar gelang dem Autor – anders als im Vorjahr – ein erfrischender Umgang mit dem üppigen Sagenstoff. Allerdings stand Ostermaier sich mal wieder öfters selbst im Weg. Als hätte er es sich selbst zur Aufgabe gemacht, auszuloten, wie viel Ideen man in zweieinhalb Stunden Theater unterbringen kann, sprintete er durch das Nibelungenlied und kümmerte sich herzlich wenig um eine nachvollziehbare Handlung. Stattdessen arbeitete sich Albert Ostermaier an verschiedenen Szenen ab und füllte diese mit einer grenzenlosen Freude am Fabulieren und Zitieren auf. Man sieht den ehrgeizigen Autor geradezu bildlich vor seinem Text sitzen, wie er sich diebisch über seine eigenen Einfälle freut, die sprachlich immer mal wieder die Grenze zum Vulgären überschreiten. Exemplarisch hierfür stand besonders ein Monolog des traurigen Autors Charlie P. Weide (von Josef Ostendorf treffend gespielt).

„Meine Prosa fühlt sich an wie meine Prostata, jeder Satz ein Stein,
den ich rauspissen muss unter Schmerzen…alles raus durch die kleine Ritze in meinem Schwanz…
Ich bin ein unfinished fuck, ein coitus interruptus“

Die eigentliche Geschichte ist dabei fast schon rudimentär. Ostermaier erzählt von aus dem Ruder laufenden Dreharbeiten zu dem besagten fiktiven Film. Es soll der neue deutsche „Nationalfilm“ werden, ein Streifen, der nicht weniger als „Filmgeschichte“ schreiben soll. Der sterbenskranke Produzent Konstantin Trauer (Uwe Ochsenknecht), der irgendwo zwischen Helmut Dietl und Bernd Eichinger angelegt ist, will sich damit ein Denkmal setzen. Ein junger größenwahnsinniger Regisseur mit dem Namen Arsenij Kubik (Vladimir Burlakov) will alles aus seinen Schauspieler/innen heraus kitzeln. Aus diesem Grund entscheidet er sich für eine Doppelbesetzung, jeweils einer alten und jungen Darstellerin von Kriemhild und Brunhild und versucht sie permanent gegeneinander auszuspielen. Auch die restliche Besetzung schreit mehr nach Provokation und Skandal. Als Siegfried-Darsteller lässt er einen Möchtegern Gangsta Rapper mit Migrationshintergrund antreten: Mohammed Söder (körperbetont gespielt von Ismail Deniz), während Hagen von einem Schweizer Nazi (aggressiv: René Inner) gespielt wird. Schließlich gibt es noch den Klatschjournalisten Peter Scheumer (intensiv: Dominic Raacke), der stets darauf bedacht ist, das Filmteam zu provozieren und in Unruhe zu versetzen. Subtil ist das alles nicht, ganz im Gegenteil. Dass das Stück dennoch nicht zur überdrehten Farce verkam, hat vor allem mit einem zu tun – mit Regisseur Nuran David Calis, der seit längerem als neuer Darling am Theaterhimmel gilt. Der in Bielefeld geborene Regisseur ist bekannt für seinen dynamischen Inszenierungsstil und eine kraftvolle Bildsprache, die oftmals dem Kino näher ist als dem klassischen Theater. Dies kam auch Worms zugute. Selten waren die Nibelungen so kurzweilig, bunt, intensiv und vor allem relevant. Schon Dieter Wedel bemühte sich redlich, den Nibelungenstoff in das „Heute“ zu übertragen, letztlich konnte er sich aber nie von seiner Fixierung auf die Nazifizierung des Nibelungenliedes lösen. Als Ostermaier im letzten Jahr den Stift überübernahm, konnte man in dem Stück „Gemetzel“ dezent erkennen, wo der Münchner Autor hinwollte. Als sei die Handbremse nun gelöst, tobte er sich auf dem Schlachtfeld der Nibelungen aus und fand in dem Regisseur seinen kongenialen Zuchtmeister, der es immer wieder verstand, Ostermaiers Sprachexzessen die notwendigen Bilder entgegenzusetzen. Es war vor allem Calis untrügliches Gespür für Timing, der stete Wechsel zwischen schnell und langsam, zwischen überdreht und gefühlvoll, was dem Stück einen stimmigen Rhythmus gewährte. Untermalt von der kongenialen Musik der Bhatti Brüder, mit denen Calis schon mehrfach zusammenarbeite und die zuweilen das Zirkushafte betonten, aber auch immer wieder mit den richtigen Noten die Dramatik verstärkten. Gespielt wurde die Musik live auf der Bühne von einer famos aufspielenden Band, die dem wuseligen Treiben so einen passenden Rahmen gab.

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Spielfreudiges Ensemble
Unterstützung fand der Regisseur in einem Ensemble, dem die Freude an dem ausufernden Wahnsinn, der angereichert wurde mit einer ordentlichen Portion Nonsens, förmlich anzusehen war. Als Komödie vom Autor angekündigt, entpuppte sich die Inszenierung jedoch als Mediensatire, bei der einem das Lachen mehrfach im Halse stecken bleiben konnte. Calis entschied sich in Anbetracht dieses Way of Ostermaier für das einzig Richtige, nämlich dem Autor konsequent in das „Herz der Finsternis“ zu folgen. Visuell brachen gegen Ende schließlich alle Dämme und Calis inszenierte das abschließende Gemetzel, dem sich Ostermaier im letzten Jahr verweigerte, irgendwo zwischen „Apocalypse now“ und dem italienischen Horrorfilm der 70er Jahre. Dario Argentos Klassiker „Suspiria“ erhob klammheimlich sein gruseliges Haupt, während Uwe Ochsenknecht sich in einen modernen Colonel Kurtz alias Marlon Brando samt Dschungellandschaft verwandelte. Dominic Raacke indes bewies, dass er als Tatort Kommissar chronisch unterfordert war und zu Höheren berufen ist. Als ginge es um seine Seele, beeindruckte der Schauspieler mit unheimlicher Intensität. Da konnte man sich schon mal fragen, ob die Drogen, die da auf der Bühne konsumiert wurden, wirklich nur Attrappe waren. Diese Frage müsste sich auch der gebürtige Russe Vladimir Burlakov gefallen lassen, dessen Regisseur wie ein verzogener hyperaktiver Bengel wirkte, dem man das Ritalin weggenommen und durch eine ordentliche Ladung Koks ersetzt hat. Der neue „anatolische Super Siegfried“, der von Ismael Deniz gespielt wurde und Hagen Darsteller René Inner (Sascha Göpel) lieferten sich mit geckenhaften Superstargehabe ein herrliches Duell auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, Wrestling inklusive. Etwas zu kurz kamen leider die großartigen Darstellerinnen, die Calis auf der Bühne versammelte. So wirkte es fast schon ein wenig wie eine Pflichtübung, dass diese nach der Pause ihren jeweiligen Monolog bekamen, mit denen sie auf ihre darstellerischen Qualitäten aufmerksam machen konnten. Den sicherlich gelungensten Monolog hatte hierbei Katja Weizenböck, die die ältere Kriemhild-Darstellerin Karina Bergmann spielte und zu Recht mit Szenenapplaus bedacht wurde. Übertragen auf die große LED Leinwand wurden ihr Schmerz und ihre Einsamkeit geradezu physisch spürbar. Auch Alexandra Kamp nutzte ihre Chance und schaffte es in dem kurzen Moment ihres Monologs, der ansonsten etwas oberflächlich angelegten Produktionsassistentin Carmen ein wenig tragische Tiefe zu verleihen. Als Karikatur einer abgetakelten Diva, die nicht mit dem Altern klar kommt und Trost in der Affäre mit dem krebskranken Produzenten Trauer sucht, glänzte Michaela Steiger. Als „Pfälzer Kennedy“ hatte Bürgermeister Heiner Lauterbach zwar wenig Szenen auf der Leinwand, dafür aber den ein oder anderen Lacher zu verbuchen. Selbstverständlich war dieser jedoch nur ein Abklatsch des Originals, wie unser echter OB süffisant gegenüber WO! erklärte.

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Man darf gespannt sein, wohin die Reise im nächsten Jahr gehen wird. Ostermaier selbst verkündete im WO! Interview in der Juli Ausgabe, dass er sich erzählerisch noch mehr von den Ketten des Nibelungenliedes befreien möchte. Nach dieser Inszenierung weiß man nicht wirklich, ob das gut oder schlecht ist. Sollte Calis zurückkehren, darf man sich allerdings mit ziemlicher Sicherheit wieder auf ein verwegenes Stück Theater freuen.

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Fazit
Vom Autor als Komödie angekündigt, entpuppte sich die Inszenierung als ein wilder Ritt durch die Untiefen menschlicher Eitelkeiten. Calis hatte wohl eher weniger Lust auf Komödie und betonte verstärkt die wahnsinnigen Momente. Statt zu moralisieren, schaffte er es, durch die Nutzung satirischer Elemente uns allen einen Spiegel vorzuhalten. Denn Wahnsinn und Eitelkeit sind nicht alleine das Vorrecht von Künstlern. Oder anders gesagt, in jedem von uns stecken ein bisschen die Nibelungen.