Manchmal gibt es Momente, die können das ganze Leben auf den Kopf stellen. Die Osthofenerin Christine Gölz erlebte einen solchen im vergangenen September. Als sie auf dem Weg zur Arbeit war, lief ihr ein Mann vors Auto. Die Frau konnte noch rechtzeitig bremsen, stieg aus und sprach den Mann, der sich offenbar in einem desolaten Zustand befand, an. Unterernährt, ohne Schuhe und in abgetragenen Klamotten gekleidet, erzählte er ihr, dass er in der Obdachlosenunterkunft in der Wormser Hafenstraße lebt.
Christine Gölz drückte ihm ein paar Schuhe und Lebensmittel in die Hand. Der Mann bedankte sich, entgegnete aber, dass, wenn er mit den Schuhen in der Unterkunft auftauche, er diese dort gestohlen bekäme. Sie begleitete ihn zu seiner Adresse. Es war eine Begegnung, die sie erschütterte und der Beginn einer Idee, nämlich der, gemeinsam mit anderen Bürgern den Bewohnern zu helfen. Eine Facebook Gruppe wurde eingerichtet, Menschen kamen zusammen, sammelten und begannen, sich auch direkt vor Ort zu engagieren. Zwischenzeitlich hat sich sogar eine zweite Gruppe bei Facebook gegründet, die von den beiden Wormserinnen Birgit Kranz und Lena Michelle Unselt initiiert wurde.
40 Menschen, Männer und Frauen, leben in dieser Unterkunft, die sich in einem abgelegenen Abschnitt der Hafenstraße befindet, der vielen Wormsern bis heute unbekannt sein dürfte. Wer dort lebt, dem hat das Leben übel mitgespielt. Die Gründe sind vielschichtig. Was alle gemein haben, ist, dass sie irgendwann ihre Wohnungen verloren haben und keine Möglichkeit mehr bestand, eine neue zu bekommen. In Deutschland gibt es allerdings einen grundsätzlichen Anspruch auf Unterbringung. Hierfür betreibt die Stadt diese Unterkunft, die durch das Amt zur Vermeidung von Obdachlosigkeit belegt wird. Dass das Leben in dieser Unterkunft kein Ponyhof ist, ist der Stadt bekannt. Immer wieder kommt es in der Unterbringung zu Aggressionen, Vandalismus und ausufernden Alkohol- und Drogenkonsum. Waldemar Herder, Sozialdezernent der Stadt Worms, begrüßt das bürgerliche Engagement, da er erlebt, dass die ehrenamtlichen Helferinnen einen anderen Zugang zu den Bewohnern haben. Die Spenden, Kleider, Lebensmittel und mehr müssen sich die Bewohner „verdienen“. Verteilt werden diese, wenn die Bewohner kleine Beiträge zum Leben in der Hafenstraße leisten. Für den Normalbürger Alltägliches wie das Zimmer aufzuräumen oder gar frisch zu streichen, den Hof zu kehren oder sich ordentlich herzurichten, gehören plötzlich auch zum Alltag in der Hafenstraße.
Frau Kranz und Frau Unselt ist natürlich klar, dass der Weg zu helfen ein langer ist, während die Stadt sich der Verantwortung bewusst ist, die Ehrenamtlichen zu begleiten. Das entbindet natürlich die Stadt nicht von ihrer Verantwortung für die Einrichtung. Waldemar Herder betont WO! gegenüber, dass man immer wieder schaue, verschiedene Aspekte in der Wohnanalage neu zu strukturieren. Ein Thema ist hierbei auch die sozialpädagogische Betreuung durch die Caritas sowie die Schaffung einer neuen Sozialarbeiter Stelle. Das größte Problem des Lebens in dieser Adresse dürfte jedoch sein, den Menschen eine Perspektive zu geben. „Wer bisher noch kein Alkoholproblem hat, wird früher oder später dort eins bekommen“, schätzt Birgit Kranz die Sache nüchtern ein. Hoffnungslos ist sie trotzdem nicht. „Ich glaube, man hilft den Menschen sehr, wenn diese erleben, dass man sie ernst nimmt und man ihnen zuhört. Im Rahmen unserer Möglichkeiten begleiten wir die Bewohner auch zu Ärzten oder Ämtern, wenn diese das wollen.“ Wer helfen will, kann sich gerne an die Stadt oder an Birgit Kranz wenden. Was man hingegen nicht tun sollte, ist aus bloßer Neugier die Hafenstraße zu besuchen, denn auch diese Menschen haben eine Würde und schämen sich oftmals für ihre Situation. Eine Situation, in die jeder Mensch rutschen kann.
Wer helfen möchte, wendet sich bitte an folgenden Kontakt:
Mobil: 01 71-3 12 42 09, E-Mail: cb-harro@t-online (beides Birgit Kranz) oder an eine der Facebook-Gruppen „Notunterkunft Hafenstraße 46“ (Kranz/Unselt) und „Obdachlosenheim Hafenstraße Worms“ (Gölz).