Eine Pressemitteilung von Asyl Worms:
Am späten Abend des 10. Mai 2023 wurden die Ergebnisse des sogenannten „Flüchtlingsgipfels“ im Bundeskanzleramt bekannt gegeben und von allen Beteiligten als Erfolg verkauft. Der Flüchtlingsrat RLP e.V. sowie der Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP und die Arbeitsgemeinschaft der Diakonie in RLP halten die Einigung, nach der der Bund in 2023 seinen Kostenanteil für die Versorgung und Unterbringung von geflüchteten Menschen um 1 Milliarde Euro erhöhen wird, in finanzieller Hinsicht für unzureichend. Zugleich kritisieren sie, dass der Preis dafür, nämlich die Verständigung auf nochmalige, gravierende Verschärfungen des Asyl- und Abschiebungsrechts auf nationaler wie europäischer Ebene, inakzeptabel hoch ist.
„Die eine Milliarde, die der Bund in diesem Jahr zusätzlich für die Versorgung und Unterbring von Geflüchteten in den Kommunen und für die Digitalisierung der Ausländerbehörden zur Verfügung stellen will, muss von den Ländern schnell, vollständig und zweckgebunden an die Städte und Gemeinden weitergegeben werden“, so Pierrette Onangolo, die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrat RLP. „Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass die verabredeten Verschärfungen des Asylrechtes nicht von einem informellen Gremium wie der Konferenz von Bund und Ländern mit einem Federstrich festzulegen, sondern immer noch von Gesetzgeber zu verabschieden sind.“
„Der mit der unzureichenden Finanzmittelerhöhung des Bundes verbundene Plan zur Abkehr vom Koalitionsvertag und zur Hinwendung zu einer Politik der Abschreckung, Abschottung und Ausgrenzung sind nahezu deckungsgleich mit rechtspopulistischen Forderungen, gegen die sich die Ampelparteien in der Vergangenheit zurecht und mit Erfolg gewehrt haben“, beklagt Albrecht Bähr, Sprecher der Diakonie in Rheinland-Pfalz. „Wir erwarten, dass insbesondere die Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die sich seit Beginn der Legislaturperiode klar für eine humanitäre Flüchtlingspolitik positioniert haben, diesen Weg der Menschenrechtsvergessenheit nicht mitgehen.“
In der bisherigen Diskussion und dem Beschluss vom 10. Mai 2023 wird zur Rechtfertigung der verabredeten asylpolitischen Grausamkeiten problematisiert, dass sich die Zugangszahlen Asylsuchender im Jahr 2022 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 um etwa 50 Prozent erhöht haben. Dabei gerät aus dem Blick, dass Menschen, die in 2022 insbesondere aus Syrien, Afghanistan, der Türkei, dem Iran, Russland oder Somalia nach Deutschland gekommen sind, durchaus triftige Gründe für die Flucht aus ihrem Herkunftsland und für ein Schutzgesuch haben.
Und es gerät aus dem Blick, dass sie diesen Schutz in der übergroßen Mehrheit auch erhalten: Die bereinigte Gesamtschutzquote des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2022 lag mit 72,4 Prozent auf absolutem Rekordniveau. Viele der vom BAMF abgelehnten Asylsucheden haben oder werden zudem noch auf dem Klageweg eine Schutzzuerkennung erhalten. Im vergangenen Jahr endeten ca. 25 Prozent aller Asylklagen mit einem (besseren) Schutzstatus für die Klageführenden. Der Beschluss manifestiert zudem auch die unsägliche und rassistisch motivierte Ungleichbehandlung der „einen“, nämlich der ukrainischen Flüchtlinge und der „anderen“, nämlich der Schutzsuchenden aus anderen Staaten.
„Es ist beschämend, dass den Verantwortlichen im Bund und in den Ländern bei den aktuellen humanitären Herausforderungen nur Restriktion und Abschreckung in den Sinn kommen. Es ist die Fortführung eines zum Scheitern verurteilten Politikansatzes“, resümiert Torsten Jäger, Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migrationspolitik Rheinland-Pfalz. „Deshalb fordern wir die Landesregierung in Rheinland-Pfalz dazu auf, in den kommenden Abstimmungs- und Gesetzgebungsverfahren darauf hinzuwirken, dass grundlegende Standards einer humanitär orientierten Politik gewahrt bleiben“, verlangt Jäger weiter.
Dies umfasst unter anderem:
? Keine Asylverfahren an den EU Außengrenzen! Diese führen, das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, zu unfairen Verfahren, Langzeitinhaftierungen und willkürlichen „push backs“. Sie widersprechen sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Europäischen Menschenrechtskonvention.
? Keine Ausweitung der sogenannten „sicheren Drittstaatenregelung“! Damit würde nicht mehr die Frage nach den Fluchtgründen zentral sein, sondern nur noch die Frage, ob die Betroffenen nicht auch die (theoretische) Möglichkeit gehabt hätten, andernorts Schutz zu suchen.
? Keine Verschärfung des Abschiebungshaftrechts! Eine nochmalige Ausweitung der schon jetzt ausufernden Haftgründe ist unverhältnismäßig. Die geplanten Verschärfungen würden das menschenrechtswidrige, rechte Credo untermauern, nachdem Flucht ein Verbrechen ist. Das Konzept der Abschiebehaft gehört abgeschafft und nicht ausgebaut.
? Auf- und Ausbau der zuständigen Behörden insbesondere in den Städten und Kommunen! Die drei Organisationen erheben schon lange die Forderung, dass die zuständigen Behörden technisch und personell so aufgestellt werden müssen, dass sie ihren Aufgaben und den Anliegen der Betroffenen sachgerecht und umfassend gerecht werden können. Dies ist derzeit nicht der Fall.
? Ausbau von Integrationsangeboten und nachhaltige Strukturen schaffen! Integration von Anfang an ist der Schlüssel für ein erfolgreiches Ankommen in unserer Gesellschafft. Eine Langzeitunterbringung in Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften läuft diesem Ziel zuwider. Unterstützungsstrukturen müssen nachhaltig auf- und ausgebaut werden. Die rein auf Kurzfristigkeit zielende Politik ist mehr denn je gescheitert.
gez:
? Pfarrer Albrecht Bähr, Arbeitsgemeinschaft der Diakonie in RLP
? Pierrette Onangolo, Flüchtlingsrat RLP e.V.
? Torsten Jäger, Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP