Ist es richtig, die Nibelungen Festspiele in diesem Jahr durchzuführen?
Kommentar: Dennis Dirigo, Frank Fischer
Wie auch in Bad Hersfeld hat man sich in Worms frühzeitig positioniert und will an einer Durchführung der jeweiligen Festspiele im Sommer 2021 festhalten. Beide erhoffen sich eine Signalwirkung für die Livebranche, wenn man den Beweis antritt, dass Kultur unter freiem Himmel auch in Zeiten von Corona möglich ist.
Während aber private Veranstalter aufgrund der ungewissen Lage nicht ins Risiko gehen wollen, verfügen städtische Veranstalter natürlich über andere Möglichkeiten. Vor allem müssen sie nicht ihr eigenes Geld einsetzen, sondern das der Steuerzahler. Dass zudem der Eindruck entsteht, dass sie am längeren Hebel sitzen, ist nicht von der Hand zu weisen. Natürlich kann niemand sagen, wie die Corona Situation zum Start der Nibelungen Festspiele am 16. Juli sein wird. Aufklärung, ob mehr möglich ist, könnte der Modellversuch am Nürburgring verschaffen. Dort ermöglicht die Landesregierung in der Zeit vom 3. bis 6. Juni das 24-Stunden-Rennen mit maximal 10.000 Zuschauern. Sollte der Versuch positiv beurteilt werden, kann es allerdings nicht sein, dass nur wenige Leuchtturmveranstaltungen die Möglichkeit erhalten, ihre Pforten zu öffnen. Von daher wird die Aufgabe, mit der sich die Verantwortlichen der Festspiele in diesem Jahr auseinandersetzen müssen, kaum zufriedenstellend zu lösen sein. Einerseits ist das Jahr 2021 für die Festspiele und vor allem die Stadt Worms ein ganz besonderes. Gekoppelt an das Jubiläum „500 Jahre Luther“ und die Folgen seines Auftritts vor dem Wormser Reichstag 1521 lässt sich dieses nicht einfach verschieben. Für viele Kreativbranchen, die mit den Festspielen ihr Geld verdienen, bedeutet es zudem nach fast eineinhalb Jahren Arbeitsverbot erstmals wieder die Möglichkeit, ihren Berufen nachgehen zu können. Andererseits hat die Politik Regeln vorgegeben, die im Grunde eine Durchführung unmöglich machen, ohne dass der Eindruck von Festspiellobbyismus entsteht. Während zahlreiche Branchen und Künstler noch immer unter dem Arbeitsverbot leiden und keine wirkliche Perspektive geboten bekommen, sollen ausgerechnet die Festspiele einen Sonderstatus erhalten und planen bereits jetzt mit 530 Besuchern pro Vorstellung?
Ohnehin zeigt sich, dass die politischen Maßnahmen der vergangenen Monate die Gesellschaft bereits gespalten haben. Festspiele zu erlauben, aber im gleichen Atemzug andere Veranstaltungen und Branchen unter der Last von Auflagen im Keim zu ersticken oder zu verbieten, wird den Keil noch tiefer treiben. Oberbürgermeister Adolf Kessel erklärte in der Pressemitteilung zum Probenstart, dass die Nibelungen-Festspiele nicht nur seit vielen Jahren ein bundesweit bekanntes, herausragendes Kultur-Ereignis, sondern auch ein Motor der Stadtentwicklung seien. Kessel betonte zudem, dass sie ein bedeutender Faktor für die städtische Wirtschaft sowie für den Einzelhandel und als touristischer Anziehungspunkt für die Region und das Land wichtig sind. Entgegen der nimmermüde werdenden Kritiker der Festspiele, die es auch nach knapp 20 Jahren immer noch gibt, geben wir dem Oberbürgermeister Recht. Nicht nur die auswärtig engagierten Schauspieler, Autoren, Regisseure etc. profitieren wirtschaftlich von den Festspielen. Frisöre, Änderungsschneider, Gastronomen, Modegeschäfte, Kosmetiker oder auch Hoteliers verdienen zwischenzeitlich ebenfalls gutes Geld mit den Festspielen. Ebenso profitiert die Stadt Worms, die oftmals wenig glamourös im Rest von Deutschland wahrgenommen wird, von der mittlerweile guten Reputation der Festspiele. Der Bekanntheitsgrad der Stadt ist gestiegen und damit auch die Tourismuszahlen. Aber auch hier hakt Kessels Argument, denn rund 870 Plätze pro Aufführung weniger in diesem Jahr bedeuten auch, dass der Wirtschaftsmotor Nibelungen eher im Stottermodus für die Stadt laufen wird. Zudem werden natürlich die Einnahmen für die Festspiele deutlich geringer ausfallen, während die Ausgaben sich kaum verändern dürften. Wie dieses Finanzloch aufgefangen werden soll, ist derzeit unklar. Nico Hofmann versprach beim Bund für finanzielle Unterstützung zu werben. In Bayreuth hat das bereits geklappt. Auch die Bayreuther Festspiele öffnen im Juli ihre Toren und haben erkannt, dass diese ohne fremde Hilfe nicht zu stemmen sind. Dort hat der Bund eine Million Euro zugesagt, in Worms gibt es noch nichts Konkretes zu vermelden, außer dass Sascha Kaiser darauf verweist, dass es noch einen Notgroschen in Höhe von einer Million Euro gibt, der vom Stadtrat bereitgestellt wurde. Es zeigt sich, es sind noch viele Frage zu klären und eine „Augen zu und durch“-Haltung wird sicherlich nicht helfen, die Akzeptanz der Festspiele in Worms zu verbessern. Auch wenn die Festspiele zweifellos ein Gewinn für die Stadt sind, gilt dennoch: Sollte es keine Öffnungsperspektiven für andere Branchen geben, wäre die Durchführung der Festspiele ein fatales Zeichen, zumal diese auch mit dem Geld jener Bürger mitfinanziert werden, die womöglich weiterhin keine Öffnungsperspektiven haben.